Am Donnerstag trifft sich der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zum ersten Mal nach dem Brexit-Votum in Großbritannien zum Zinsentscheid. Die Folgen des Referendums für die Euro-Zone dürften daher das beherrschende Thema der Sitzung sein.
Schon kurz nach der Abstimmung in Großbritannien hatte EZB-Chef Mario Draghi erklärt, das Wachstum könne in den kommenden drei Jahren insgesamt um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen als zuvor angenommen.
Auch Fragen hinsichtlich der kritischen Lage der italienischen Banken muss sich Draghi wohl stellen.
Viel wurde daher im Vorfeld spekuliert, die EZB könnte schon im Juli ihre ultra-expansive Geldpolitik erneut lockern, etwa indem sie ihr Anleihekaufprogramm noch weiter ausbaut. Nachdem auch die Bank of England in der vergangenen Woche abgewartet hat und nicht an der Zinsschraube drehte, spricht einiges dafür, dass auch die EZB zunächst abwartet und ihre letzten Patronen noch zurückhält.
Denn viel bleibt nicht mehr: Der Leitzins ist mit null Prozent bereits auf einem Rekordtief und auch der Einlagenzins, den Banken zahlen, wenn sie Geld kurzfristig bei der EZB anlegen wollen, liegt bei minus 0,4 Prozent.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Deutlich wahrscheinlicher wird eine Änderung der Geldpolitik beim nächsten Zinsentscheid der Notenbank im September, bei dem auch neue Prognosen zu Wachstum und Inflation in der Euro-Zone vorgestellt werden.
Spannend wird allerdings, ob die Notenbanker ihr milliardenschweres Anleihekaufprogramm nachjustieren. Immer mehr Anleihen notieren im negativen Bereich und sind, wenn sie unter dem Einlagezins von minus 0,4 Prozent liegen, für die EZB damit nicht mehr kaufbar. Gerade bei Bundesanleihen wird der Bestand der kaufbaren Anleihen immer dünner.
An diesen Stellschrauben könnte die EZB drehen:
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
- Bisher kauft sie die Anleihen nach dem Kapitalschlüssel der Notenbank. Die Bundesbank kauft entsprechend knapp 26 Prozent der Anleihen. Ein Ansatz wäre, diese Regel zu lockern. Die EZB könnte dann beispielsweise mehr italienische Anleihen kaufen und weniger deutsche. Das ist allerdings höchst umstritten und gilt daher als wenig wahrscheinlich. Die EZB würde damit einzelne Länder bevorzugen und den Eindruck der monetären Staatsfinanzierung erwecken.
- Möglich wäre auch, dass die EZB an der Regel zum Einlagezins dreht. Bisher kauft sie nur Anleihen, die höher rentieren als der Einlagezins von minus 0,4 Prozent. Anleihen unter dem Einlagezins zu kaufen macht für die EZB wenig Sinn, da sich die Notenbanken damit Verluste einhandeln. Gleichzeitig hält es Commerzbank-Analyst Michael Schubert für möglich, dass die EZB künftig Anleihen kauft, die im Durchschnitt über dem Einlagesatz rentieren, die Regel also nicht mehr für jede einzelne Anleihe anwendet, sondern für die Gesamtheit der jeweiligen Papiere.