EZB, Fed und Co. Grüne Geldpolitik der Zentralbanken: Dürfen die das?

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Der Blick in die Glaskugel

Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, die Finanzmarkt- und Preisniveaustabilität im Währungsraum sicherzustellen, müssen die Zentralbanken verstärkt auch die Risiken des Klimawandels in den Blick nehmen, so die Logik. Dabei geht es zunächst um die direkten physischen Risiken wie veränderte klimatische Bedingungen und Naturkatastrophen. Diese könnten die wirtschaftliche Aktivität und den Handel beeinflussen, indem „Kapital für eine produktivere Verwendung wie Technologie und Innovation hin zum notwendigen Wiederaufbau umgelenkt wird“, heißt es beim NGFS.

Der zweite Risikobereich sind indirekte „transitorische“ Risiken. Sie beschreiben den Strukturwandel hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft und die politischen Maßnahmen, wie etwa der Kohleausstieg, die diesbezüglich ergriffen werden. Die Angst der Zentralbanken ist, dass ein zu abrupter Wandel negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnte. Im NGFS wollen die Geldexperten daher diskutieren, wie sich diese Risiken abfedern lassen.

Ulf Moslener, Experte für nachhaltige Finanzierung an der Frankfurt School of Finance, beobachtet, dass das Thema bei privaten Geldhäusern, die auf langfristige Investitionen setzen, schon länger an Bedeutung gewinnt. „Das ist ein großes Thema in der Branche“, sagt Moslener. Jetzt wollen auch die Zentralbanken nachziehen.

Doch muss das NGFS analytisch neues Terrain betreten. Während die Entscheidungen der Zentralbanken bisher vor allem auf Ex-Post-Analysen basierten, müssen sie jetzt in eine Zukunft mit veränderten Grundparametern schauen. „Der Strukturwandel ist da - und es gibt Dinge, die sich nicht aus den Daten der Vergangenheit ableiten lassen“, sagt Ulf Moslener. Damit der Blick in die Glaskugel für die Finanzinstitute nicht zu wahrsagerisch wird, hat das NGFS im Juni 2020 evidenzbasierte Klimaszenarien veröffentlicht, an denen sich Zentralbanken, aber auch die Privatwirtschaft orientieren können.

Dass diese Risikoevaluierung mit dem Mandat der Zentralbanken vereinbar ist, ist relativ unumstritten. Anders sieht es bei der Frage aus, ob die Zentralbanken durch ihre Investitionen aktiv zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens beitragen sollten – durch den bevorzugten Kauf grüner Anleihen zum Beispiel. In einer NGFS-Umfrage unter Notenbanken im Dezember 2020 gaben 88 Prozent der Befragten an, sie planten oder hätten bereits Schritte eingeleitet, Nachhaltigkeit als Kriterium für ihre Investitionen zu etablieren.

Dass die Zentralbanken verstärkt auf grüne Anleihen zurückgreifen, ließe sich vor allem über die niedrigen transitorischen Risiken rechtfertigen. Doch die Frage, ob grüne Anleihen tatsächlich risikoärmer sind, lässt sich aufgrund fehlender Informationen noch nicht immer abschließend beantworten. Hier fordert das NGFS klare Definitionskriterien von der Politik, um diese Entscheidung nicht selbst treffen zu müssen und die Marktneutralität wahren zu können.

Unternehmen sollten in ihren Berichten auf diese transitorischen Risiken des Klimawandels eingehen müssen. Eine Forderung, der sich auch die vom Finanzstabilitätsrat gegründete „Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) anschließt.

Streit unter Ökonomen

Der Präsident des Münchener ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, kritisierte den Ansatz im Oktober trotzdem als „zutiefst undemokratisch“ und „Verstoß gegen das EZB-Mandat“. Die Befürchtung stabilitätsorientierter Ökonomen: Je stärker eine Notenbank ergrünt, umso mehr erodiert ihre politische Unabhängigkeit – und umso stärker wächst auch die Gefahr, dass sie von der auf den Geschmack gekommenen Politik in weitere mandatsferne Politikbereiche hineingezogen wird.

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Doch auch hier ist die Ökonomenzunft gespalten: Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, widersprach seinem Kollegen Fuest auf Twitter prompt. Die aktive Steuerung des Klimawandels sei notwendig, um Preisstabilität zu erreichen. Und somit Teil des Mandats der Zentralbanken.

Mehr zum Thema: Die Zentralbanken sind so einflussreich wie nie zuvor. Ohne ihre Notenpresse läuft in der Weltwirtschaft nichts mehr. Jetzt wollen sie auch noch die Wirtschaftspolitik bestimmen. Die Politik lässt die Herrscher des Kapitals gewähren – auf Kosten des Kapitalismus.

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