EZB Fünf Jahre Draghi - eine Bilanz in Grafiken

Nach fünf Jahren Amtszeit wird nun Bilanz gezogen: Wie hat sich Draghi geschlagen? Die größten Veränderungen während Draghis Amtszeit im Überblick.

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EZB: Fünf Jahre Mario Draghi. Quelle: Collage

Alles begann mit einem Paukenschlag. Von Beginn an kam kein Zweifel auf, dass mit Mario Draghi kein Zauderer an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) steht. Schon bei seinen ersten beiden Ratssitzungen senkte der Italiener den Leitzins jeweils um 0,25 Prozentpunkte.

Nachdem er im November 2011, bei seinem ersten Auftritt im Eurotower, noch charmant mit den Fotografen scherzte und über das alte Vorbild Bundesbank plauderte, war Draghi im Dezember schon voll im Euro-Retter-Modus und beglückte Europas Banken mit billigen Langfristkrediten.

Ähnlich wie am Anfang ließ der EZB-Chef während seiner gesamten bisherigen Amtszeit keine Zweifel daran aufkommen, nicht handlungsbereit zu sein. Eine Zeit lang schien als, als rette der mächtige Europäer den Euro im Alleingang. Schnell hatte er mit seiner ultra-expansiven Geldpolitik die deutschen Sparer gegen ihn aufgebracht, mittlerweile haben sich sogar die Banker gegen ihren einstigen Goldman-Sachs-Kollegen eingeschworen.

Trotzdem dürfte Draghis persönliche Bilanz nach exakt fünf Jahren Amtszeit nicht ganz schlecht ausfallen. Immerhin ist der Euro nicht zerbrochen und ein paar Indikatoren deuten sogar eine leichte Erholung an. Immerhin ist die Wirtschaft der Euro-Zone zwischen Juli und September erneut um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Dass er dafür quasi sämtliche ökonomischen Gepflogenheiten außer Kraft setzte, in dem er beispielsweise einen negativen Zins einführte, dürfte Draghi akzeptieren.

Unsere Übersicht zeigt die größten Veränderungen während Draghis bisheriger Amtszeit:

Zins

So tief hat noch kein EZB-Chef den Zins gesenkt. Nicht nur, dass der Leitzins sich mit null Prozent auf einem absoluten Rekordtief befindet, Banken zahlen mittlerweile einen Strafzins von 0,4 Prozent, wenn sie ihr Geld kurzfristig bei der EZB lagern. Auch für Unternehmen ist das Undenkbare Wirklichkeit geworden: sie zahlen oft eine Verwahrgebühr, wenn sie über das übliche Maß hinaus Liquidität bei der Bank einlagern, statt sie für Investitionen jeglicher Art zu nutzen.

Aus dem Negativzins rührt auch Draghis immer schlechteres Verhältnis zu Europas Bankchefs. John Cryan ist sicherlich kein schillernder, lauter Banker, sondern einer, der lieber mit seiner Botschaft überzeugen will. Fast reglos steht der Deutsche Bank-Chef Ende August mit gefalteten Händen am Rednerpult, der Brite spricht langsam, aber auf Deutsch. Mario Draghi dürfte den Appell, den Cryan öffentlichkeitswirksam bei einer wichtigen Bankentagung in Frankfurt platzierte, trotzdem verstanden haben. Die Notenbanken müssten handeln, fordert Cryan. Die erhofften Effekte ihrer Geldpolitik blieben aus, stattdessen werde die Wirtschaft eher geschwächt statt gestärkt.

Harte Worte, zumal Großbanken sich bisher mit Kommentaren in Richtung Notenbank diskret zurückhielten. Die Rolle des Poltergeistes überließen sie lieber Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon, der nicht müde wird, die niedrigen Zinsen und das Leid der Sparer zu beklagen. Bei Strafzinsen von 0,4 Prozent wurde es aber auch der Deutschen Bank zu bunt. Für den ehemaligen Goldman-Banker Draghi wird es eng - selbst in den Türmen der Banken wird seine Politik nicht mehr toleriert.

Mini-Inflation und Strafzins

Inflation

Bei Draghis Amtsantritt im November 2011 lag die Inflationsrate noch über der wichtigen Zwei-Prozent-Marke, nun dümpelt sie bei mageren 0,4 Prozent, obwohl die Zentralbank mittlerweile Staatsanleihen von über einer Billion Euro in ihren Bilanzen hat. Ist Draghi gescheitert? Die EZB verkauft ihre Politik trotz schlechter Zahlen als Erfolg. Das Argument ist so zweifelhaft wie unwiderlegbar: hätten wir nicht gehandelt, läge die Wirtschaft in der Euro-Zone erst Recht am Boden und der Euro wäre möglicherweise längst Geschichte. Dieser „Was wäre wenn“-Erfolg ist zwar weder messbar noch transparent, lässt sich aber gut kolportieren.

Trotz der bisher ausbleibenden Inflation hält die EZB weiterhin an ihrem Ziel der Preisstabilität von knapp unter zwei Prozent fest. Dabei waren es zuletzt vor allem die Energiepreise, die den Indikator auf Tiefststände drückten. Das könnte sich in Zukunft ändern. Allein aufgrund des Basiseffekts hat schon ein geringer Anstieg der Preise eine enorme Wirkung im Vergleich zum Vorjahr. In Deutschland sind die Verbraucherpreise im Oktober bereits um 0,8 Prozent zum Vorjahr angestiegen.

Für Draghi sind das einerseits gute Nachrichten, schließlich wartet die EZB sehnsüchtig auf steigende Preise. Andererseits sind steigende Preise bei ultra-niedrigen Zinsen für Konsumenten und Sparer eine denkbar schlechte Kombination. Der Druck auf Draghi, die Zinsen zu erhöhen, dürfte steigen. Einfach wird das nicht, denn das Geldsystem hat sich längst an die Niedrigzinsen und das billige Geld gewöhnt.

Anleihekäufe

Draghi steckt in der Klemme. Verweigert die Politik weiter Reformen, kommt die EZB aus ihrer ultra-expansiven Geldpolitik so schnell nicht raus. Welche neue Dimensionen diese angenommen hat, durfte die Unternehmenswelt erst in den vergangenen Monaten bestaunen: Bayer kauft den US-Saatguthersteller Monsanto für monströse 66 Milliarden Dollar und stemmt damit die größte Übernahme, die je ein deutsches Unternehmen bewältigt hat. Auch die EZB habe Monsanto gekauft, hieß es in Finanzkreisen. Tatsächlich profitieren die Leverkusener von Draghis Husarenritt, denn die EZB hat Bayer-Anleihen in ihren Büchern. Seit Juni hat die Zentralbank schon für fast 36 Milliarden Euro Unternehmensanleihen gekauft.

Ein Szenario, was vor ein paar Jahren wohl noch undenkbar gewesen wäre. Aber Draghi macht eben "whatever it takes", um den Euro zu retten. Seine berühmte Londoner Rede ist wohl einer der einschneidendsten Momente in Draghis Karriere als EZB-Chef. Ohne detaillierte Absprachen mit seinen Ratskollegen erklärte der Italiener auf einer Investorenkonferenz am 26. Juli 2012 in London, die EZB werde alles Notwendige tun, um den Euro zu retten. Ihre Wirkung verfehlte die Rede nicht, während die Zinsen für Anleihen von Krisenstaaten vorher bedrohlich hoch stiegen, fielen sie danach steil ab. Bei Analysten war von "magischen Worten" die Rede. Deren Wirkung hatte wohl selbst Draghi unterschätzt.

Rat

Auch in seiner grundsätzlichen Arbeit im EZB-Rat setzt Draghi auf einige wenige Vertraute. Draghi ist effizienzbezogen. Das lässt der Römer auch seine Kollegen im EZB-Rat spüren. Unter Vorgänger Jean-Claude Trichet ging das traditionelle Dinner am Vorabend der Ratssitzung auch gerne mal weit über Mitternacht hinaus. Im Gegensatz zum detailverliebten Franzosen hält Gastgeber Draghi den Schmaus lieber kurz. Nutzenoptimierend maximiert der MIT-Ökonom lieber seinen Schlaf.

Kleiner Kreis Vertrauter

Auch die eigentlichen Sitzungen in der 41. Etage des Zentralbank-Turms sind unter dem Italiener sehr viel kürzer. Während Trichet jeden Bericht mit eigenen Kommentaren unterlegte, beschränkt sich sein Nachfolger auf Verständnisfragen und ein Schlusswort. Trommelte Trichet seine Räte regelmäßig zu Telefonkonferenzen an die Strippe, werden nun öfter vorgefertigte Botschaften übermittelt. Das kommt längst nicht bei allen Ratsmitgliedern gut an, einige würden gerne früher in Entscheidungen eingebunden werden, heißt es in Ratskreisen.

Draghi dagegen, heißt es in seinem Umfeld, ist zwar offen für das Gespräch mit den anderen Gouverneuren – Vier-Augen-Gespräche mit dem Römer werden in EZB-Kreisen manchmal augenzwinkernd als „Beichte“ bezeichnet. Insgesamt setze Draghi aber auf einen kleinen Kreis von Beratern, sagt einer, der eng mit dem EZB-Chef zusammen gearbeitet hat. Dazu gehöre nicht nur Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré, sondern unter anderem auch Bankenaufseher Ignazio Angeloni.

Für die meisten anderen der rund 2500 EZB-Mitarbeiter ist ihr Präsident aber nur schwer greifbar. Anders als Trichet mischt sich Draghi nicht unters Frankfurter Volk, sondern verbringt oft nur zwei oder drei Nächte pro Woche in seiner Wohnung im Westend. Obwohl Draghi so oft wie möglich zur Familie flüchtet, verfügt der Ökonom über ein enormes Netzwerk. Vor allem telefonisch pflegt er seine Kontakte zu den wichtigen Staats- und Regierungschefs. Öffentliche Auftritte sind dagegen nicht seins, Draghi scheut das Rampenlicht.

Ausblick

Laut Insidern könnte die EZB ihre Anleihekäufe noch über den März 2017 hinaus verlängern. Dabei würden wohl auch Stellschrauben des auf 1,74 Billionen Euro angelegten Programms zur Stützung der Konjunktur geändert, damit die Währungshüter auch künftig genügend Anleihen zum Kauf finden, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Zuletzt durften die Euro-Hüter gemäß ihrer Vorgaben viele Bundesanleihen und auch niederländische Staatstitel wegen zu niedriger Renditen nicht mehr kaufen. Die Notenbank will das sehr erhebliche Ausmaß an geldpolitischer Unterstützung beibehalten, was zur Erreichung ihres Inflationsziels von knapp zwei Prozent notwendig sei, wie Draghi nach der vergangenen Zinssitzung im Oktober sagte. Ein abruptes Ende der Anleihenkäufe hatte er zudem als unwahrscheinlich bezeichnet.

Mit einem dramatischen Strategieschwenk seitens des EZB-Chefs ist also auch nach fünf Jahren Amtszeit nicht zu rechnen.

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