
Die Märkte reagierten euphorisch. Kurz nachdem Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am Donnerstag ein gigantisches Ankaufprogramm für Staatsanleihen verkündet hatte, schoss der Dax auf ein Allzeithoch. Mit dem Einstieg in das „Quantitative Easing“ hat die EZB ein neues Kapitel expansiver Geldpolitik eröffnet.
Was plant die EZB?
Die Währungshüter werden ab März Wertpapiere im Wert von 60 Milliarden Euro monatlich von den Banken erwerben und diesen dafür Zentralbankgeld gutschreiben. Die Käufe werden von der EZB koordiniert und von den nationalen Notenbanken umgesetzt. In dem Gesamtumfang von 60 Milliarden Euro sind forderungsbesicherte Wertpapiere (ABS) und Pfandbriefe enthalten, die die EZB bereits seit Ende 2014 kauft und weiter erwerben wird.
Zusätzlich kaufen die Notenbanken demnächst auch Staatsanleihen und Anleihen staatlicher Agenturen wie der Europäischen Investitionsbank. Das Kaufprogramm läuft bis mindestens September 2016 und spült so 1140 Milliarden Euro an frischem Geld in das Finanzsystem.
Sollte die Inflation bis dahin noch unter dem Zielwert der EZB von knapp zwei Prozent liegen, folgen weitere Käufe. Die Aufteilung nach der Nationalität der Emittenten orientiert sich am Anteil der Länder am Kapital der EZB. Griechische Staatsanleihen wird die EZB jedoch erst erwerben, wenn sich Athen mit der Troika auf ein neues Hilfsprogramm geeinigt hat.
Insgesamt entfallen von den zusätzlichen Käufen zwölf Prozent auf Anleihen staatlicher Agenturen. Diese werden von den nationalen Notenbanken erworben, die Risiken daraus aber teilen sich alle Länder. Weitere acht Prozent der Käufe nimmt die EZB auf ihre Bilanz.
Damit gilt für 20 Prozent der Wertpapierkäufe eine gemeinsame Haftung. Für die übrigen 80 Prozent haften die jeweils kaufenden nationalen Zentralbanken. Die Laufzeiten der Anleihen liegen zwischen 2 und 30 Jahren. Dabei verzichtet die EZB auf den Status als bevorrechtigte Gläubigerin.
Welche Motive stecken hinter den Anleihekäufen?
Die Euro-Hüter begründen ihre Entscheidung mit ihrem Mandat, die Preise stabil zu halten. Unter Preisstabilität versteht die EZB eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Derzeit liegt die Euro-Teuerung jedoch bei minus 0,2 Prozent. Zudem sind die mittelfristigen Inflationserwartungen an den Märkten auf rund 1,5 Prozent gesunken.
Die EZB argumentiert, dies könne in eine Deflationsspirale münden. Dem will sie entgegenwirken, indem sie den Banken Wertpapiere abkauft. Mit dem erhaltenen Zentralbankgeld sollen die Banken Kredite vergeben, um Konjunktur und Inflation anzukurbeln.
Kritiker argwöhnen jedoch, das Deflationsargument sei vorgeschoben. „Eine ausgeprägte Deflation liegt nicht vor und ist auch nicht zu erwarten“, sagt Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats (SVR). Die negative Teuerungsrate ist in erster Linie auf den Absturz des Ölpreises zurückzuführen.
Eine Deflation, also ein allgemeiner Rückgang des Preisniveaus, droht nur, wenn die Geldmenge schwächer als die Gütermenge wächst. Derzeit aber expandiert die Euro-Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) mit rund drei Prozent deutlich stärker als die Güterproduktion (rund ein Prozent). Daraus leitet sich mittelfristig ein Anstieg des Preisniveaus um etwa zwei Prozent ab.
Die Krisenpolitik der Euro-Zone seit 2010
Erstmals muss mit Griechenland ein Euro-Mitglied ein internationales Hilfsprogramm beantragen, um eine Staatspleite zu verhindern. Das Programm erweist sich später als nicht ausreichend.
Ein „Europäischer Rettungsschirm“ wird beschlossen. Er soll sicherstellen, dass die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Euroländer gesichert wird. EFSF („Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“) reichte Kredite aus, für die die Euro-Länder mit Garantien bürgten. Der maximale Garantieanteil Deutschlands betrug rund 211 Milliarden Euro. Unter diesen Rettungsschirm schlüpfen - neben Griechenland - später auch Portugal, Irland, Spanien und Zypern.
Parallel beginnt die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Das „Securities Markets Programme“ (SMP) sollte den Anstieg der Renditen von Anleihen angeschlagener Euroländer bremsen. Das SMP läuft bis Anfang 2012.
Die EZB verspricht, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu erwerben. Gekauft wurde nach dem Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT) bisher noch keine Anleihe. Dennoch beschäftigt der OMT-Beschluss den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Mit dem ESM („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) geht ein neuer Rettungsschirm an den Start, der den EFSF dauerhaft ablöst. Wichtigster Unterschied der beiden Einrichtungen: Der ESM erhält eigenes Kapital, zu dem die Euroländer beitragen. Der deutsche Kapitalanteil beträgt 21,7 Milliarden Euro; hinzu kommen Garantien mit einem deutschen Anteil von 168,3 Milliarden Euro.
Wieder eine Premiere bei der EZB: Die Notenbank beschließt ein riesiges Anleihekaufprogramm - im Fachjargon „Quantitative Easing“ (QE). Damit sollen Milliarden und Abermilliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt werden - als Stütze für die schwache Konjunktur.
Das legt den Verdacht nahe, dass es der EZB mit dem Kauf von Staatsanleihen vielmehr darum geht, die Banken und Regierungen in Südeuropa zu entlasten. Die Finanzinstitute dort haben sich auf Geheiß ihrer Regierungen mit Staatsanleihen eingedeckt. Mit dem Kauf der Anleihen übernimmt die EZB die Ausfalllast. Zugleich drückt sie die Effektivzinsen der Papiere und damit die Refinanzierungskosten der Regierungen nach unten. Die Euro-Hüter werden so zum Dienstleister der Finanzminister – und gefährden ihre Unabhängigkeit.