
Als Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), an diesem Donnerstag auf der Pressekonferenz über die Details der geldpolitischen Entscheidungen der Währungshüter informierte, gab es in den Börsensälen lange Gesichter.
Denn Europas Notenbanker blieben mit ihren Beschlüssen weit hinter den Erwartungen der Märkte zurück. Zwar senkte die EZB den Zinssatz für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB um zehn Basispunkte auf minus 0,3 Prozent. Zudem verlängerte sie den Zeitraum für den Ankauf von Staatsanleihen um sechs Monate bis mindestens März 2017. Außerdem will sie demnächst Anleihen von Kommunen und anderen regionalen Gebietskörperschaften kaufen. Neu ist darüber hinaus, dass die Eurohüter künftig die Geldrückflüsse aus fälligen Anleihen in den Kauf neuer Anleihen stecken, um die Schrumpfung ihrer Bilanz zu verhindern.
Das sind die drei Leitzinssätze der EZB
Der wichtigste Leitzins ist der Hauptrefinanzierungssatz. Er legt den Mindestzins fest, den Geschäftsbanken der EZB für einen Kredit mit einwöchiger Laufzeit im Rahmen der sogenannten Tenderauktionen bieten müssen. Änderungen wirken sich in der Regel direkt auf die Zinsen am Geld- und am Kapitalmarkt aus.
Für Banken, die sehr kurzfristig Geld brauchen, wird es teurer, hier bietet die EZB die sogenannte Spitzenrefinanzierungsfazilität an. Diese Kredite haben eine Laufzeit von einem Tag. Der Zins, den Banken für das über Nacht geliehene Geld zu zahlen haben, ist der Spitzenrefinanzierungssatz. Er liegt in der Regel rund einen Prozentpunkt über dem Hauptrefinanzierungssatz.
Die Einlagefazilität ist das Gegenstück zur Spitzenrefinanzierungsfazilität. Sie gibt Banken die Möglichkeit, einen Überschuss an flüssigen Mitteln bis zum nächsten Geschäftstag bei der Zentralbank zu parken. Die Verzinsung gibt der Einlagefazilitätssatz an. Spitzen- und Einlagefazilität sind Instrumente, mit denen die EZB weitere Feinsteuerung verwirklichen kann. Wenn die Banken zum Beispiel nur sehr wenig oder gar keinen Zins auf das Geld bekommen, das sie bei der EZB parken, dann steigt der Anreiz, es an einen Kunden zu verleihen. Derzeit ist der Einlagezins negativ - und bestraft somit Banken, die Geld bei der EZB parken.
Die Teilnehmer an den Finanzmärkten hatten allerdings mit größeren Stimuli gerechnet. In den vergangenen Wochen waren einige Notenbanker vorgeprescht und hatten die Erwartung geweckt, die EZB werde ihre monatlichen Anleihekäufe von derzeit 60 Milliarden auf mindestens 70 Milliarden Euro erhöhen. Dass die EZB dahinter zurückgeblieben ist, dürfte nicht zuletzt auf den Widerstand der Falken um Bundesbankpräsident Jens Weidmann zurückzuführen sein. Die Entscheidung im EZB-Rat sei nicht einstimmig, aber mit sehr großer Mehrheit erfolgt, sagte Draghi auf Nachfrage von Journalisten.
Geldpolitisches Desaster
Auch wenn Weidmann und Co. Schlimmeres verhindert haben, so ist die heutige Entscheidung der EZB dennoch ein geld- und wirtschaftspolitisches Desaster. Die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone schreitet voran. Dass das Tempo nur moderat ausfällt, hat Gründe. Die Schuldenüberhänge aus den Zeiten des Booms liegen noch immer wie Mehltau auf der Wirtschaft. Die Unternehmen und die privaten Haushalte in den Krisenländern sind bestrebt, ihre Schulden zu tilgen.
Das bremst den Konsum und die Investitionen. Gemessen an den Bremsfaktoren sind die von der EZB erwarteten Wachstumsraten für die nächsten Jahre von 1,5 bis zwei Prozent nicht schlecht. Jedenfalls stellen sie keinen Grund dar, die Geldpolitik weiter zu lockern.
Daher verweist die EZB zur Begründung ihrer Entscheidung auf die niedrige Inflation, die mit 0,1 Prozent weit von ihrem Zielwert (knapp unter zwei Prozent) entfernt ist.
Dass die Geldschwemme der EZB die Teuerungsrate bisher nicht nennenswert nach oben getrieben hat, liegt an mehreren Faktoren. Zum einen drücken die niedrigen Energie- und Rohstoffpreise auf die Teuerungsrate. Zum anderen gibt es in den Krisenländern weiter hohe Überkapazitäten, nicht nur am Immobilien-, sondern auch am Arbeitsmarkt. Angesichts des Abwärtsdrucks auf die Löhne senken viele Unternehmen ihre Absatzpreise und verbessern so ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Daher ist die niedrige Inflation – anders als die EZB es darstellt – kein Problem, sondern ein Segen für die Wirtschaft der Euroländer.