EZB-Ratssitzung Draghi lässt seinen Worten keine Taten folgen – vorerst

Mario Draghi spricht während der Pressekonferenz in der EZB-Zentrale. Quelle: dpa

Der Rat der Europäischen Zentralbank verzichtet in der letzten Sitzung vor der Sommerpause darauf, die Zinsen weiter zu senken. Er gibt aber entsprechende Pläne in Auftrag – ein Balanceakt.

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Als Mario Draghi unlängst vor der versammelten Notenbankerwelt im portugiesischen Sintra sprach, brauchte er nur wenige Worte, um die Fantasie an den Finanzmärkten zu wecken. Der Chef der Europäischen Zentralbank stellte einen „zusätzlichen Stimulus“ aus dem geldpolitischen Instrumentarium der EZB in Aussicht – für den Fall, dass Konjunktur und Inflation weiter schwächeln.

Das war Mitte Juni. Seit dieser Rede erwarten Investoren und bangen Banker, dass den Worten Taten folgen werden. Die sind zwar vorerst ausgeblieben – aber wohl nur aufgeschoben.

Balanceakt Zinspolitik

Zwar belässt die EZB den Leitzins einstweilen bei null Prozent und den für die Banken wichtigeren Einlagezins bei minus 0,4 Prozent. Gleichzeitig deutete Draghi aber an, dass die Zinsen noch tiefer sinken könnten. Und dass die negativzinsgeplagten Geldinstitute in diesem Fall mit Erleichterungen rechnen dürfen.

Entsprechende Pläne lässt der EZB-Rat während der Sommerpause ausarbeiten. Die beauftragten Komitees sollen dabei auch Vorschläge entwickeln, wie sich Nebenwirkungen mildern lassen, wenn die Zinsen noch weiter in den negativen Bereich sinken.
Für die Banken der Eurozone ist das ein Hoffnungsschimmer. Ihnen entstehen Jahr für Jahr Milliardenkosten für bei der Zentralbank geparktes Geld. Die Hilferufe aus der Branche waren deswegen zuletzt immer lauter geworden.

Am deutlichsten äußerte sich Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Einen Staffelzins, „der die Kreditinstitute durch angemessene Freibeträge entlastet“, nannte Kolak „dringend erforderlich“. Sie verwies auf Berechnungen, nach denen Kreditinstitute im Euroraum im vorigen Jahr 7,5 Milliarden Euro Strafzinsen zahlten. 2,4 Milliarden Euro davon entfielen den Statistiken zufolge auf deutsche Banken.

Der EZB-Rat hat nun verschiedene „Optionen“ ins Spiel gebracht, darunter ein gestaffelter Einlagezins. Im Anschluss reagierte der Euro Stoxx Banken zunächst mit einem Kurssprung von drei Prozent, gab die Zugewinne aber zwischenzeitlich wieder ab. In dem Index sind die wichtigsten Banken der Eurozone zusammengefasst.

BVR-Chefvolkswirt Kai Wohlfarth nahm den EZB-Rat in die Pflicht. Sollte die Geldpolitik tatsächlich noch lockerer werden, so Wohlfarth, müssten die Notenbanker „der angekündigten Überprüfung von Staffelzinsen zur Entschärfung der Nebenwirkungen Taten folgen lassen, um die Kreditinstitute durch angemessene Freibeträge zu entlasten“.

Anleihekaufprogramm

Auch eine Wiederaufnahme der Käufe von Staats- und Unternehmensanleihen hat EZB-Präsident Draghi ins Spiel gebracht. Ende vergangenen Jahres hatte die EZB das Programm bei einer Bilanzsumme von 2,6 Billionen Euro eingefroren. Seitdem hält sie den Bestand an Anleihen konstant.

Schon in seiner Sintra-Rede hatte Draghi diesen Schritt erwogen. Nun ist es auch hier an den Komitees, „Optionen für Umfang und Zusammensetzung möglicher neuer Nettokäufe“ zu entwickeln. Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe, hält das Signal für „neue unkonventionelle Maßnahmen“ im vierten Quartal für eindeutig: „Vor allem hinsichtlich neuer Wertpapierkäufe hat die EZB derartige Erwartungen stark angeheizt, dass sie diese nicht schadlos enttäuschen kann“, so Krüger.

Konjunktur und Inflation

Draghis Hauptsorge: Die Inflation in der Eurozone zieht partout nicht an. Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum laut der Statistikbehörde Eurostat lediglich 1,3 Prozent höher als vor zwölf Monaten. Und damit deutlich unter der von der EZB angestrebten Marke von nahe, aber unter zwei Prozent. Die sogenannten Kerninflation, die Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, verharrt noch darunter, bei 1,1 Prozent.

Was die Lage noch verschärft: Eine höhere Inflation ist nicht in Sicht. Entsprechende Umfragen weisen sogar in die entgegengesetzte Richtung. „Das gefällt uns gar nicht“, betonte Draghi mehrfach. Das anhaltend stabile Lohnwachstum schlage sich noch immer nicht in höheren Preisen nieder. „Das dauert länger, als wir erwartet haben“, räumte Draghi ein.

Dagegen wächst die Wirtschaft im Euroraum nach den Worten Draghis gegenwärtig zwar schwächer, aber nach wie vor robust. Die Gefahr einer Rezession bleibe gering. Dennoch mehren sich auch hier schlechtere Vorzeichen. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie der Eurozone ist im Juli auf den niedrigsten Stand seit sechseinhalb Jahren gefallen.

„Besonders dramatisch“, schreibt Commerzbank-Analyst Bernd Weidensteiner, „ist die Entwicklung in Deutschland, wo das Stimmungsbarometer in der Industrie um knapp zwei Punkte auf 43,2 gefallen ist.“ Als neutral gilt ein Wert von 50. Auch das vom Münchner Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima schwächte sich stärker als erwartet ab und fiel auf den tiefsten Stand seit April 2013. Mit einer Besserung der Lage sei vorerst nicht zu rechnen, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Weidensteiner vertrat deshalb die „Minderheitenmeinung“, der EZB-Rat werde den Strafzins für Bankeinlagen bei der Zentralbank gleich auf minus 0,6 Prozent noch tiefer ins Minus drücken. Das wird frühestens am 12. September passieren.

„Herausragende“ Nachfolgerin

Mit seiner letzten Rede bei der EZB-Konferenz in Sintra hat Draghi im Juni auch eine Art Vermächtnis für seine designierte Nachfolgerin Christine Lagarde hinterlassen. Diese werde „eine herausragende EZB-Präsidentin sein“, erwartet Draghi. Eine Formalie zur Berufung der Französin ist seit Donnerstag abgehakt: Der EZB-Rat, so eine Mitteilung im Vorfeld des Zinsentscheids, habe „keine Einwände“.

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