




Dass der Ökonomen-Aufruf so viel Aufmerksamkeit erreichen würde, damit hat Walter Krämer nicht gerechnet. Vor ziemlich genau einem Jahr schrieb der Dortmunder Wirtschaftsprofessor seine Kollegen an, um Stimmung gegen die geplante Bankenunion in der Euro-Zone zu machen. 276 Wissenschaftler unterzeichneten – von Hans-Werner Sinn über Bernd Raffelhüschen bis zu Joachim Starbatty. Doch in einigen Medien hagelte es Kritik. „Mich hat die teils feindliche Reaktion auf unseren Ökonomen-Aufruf überrascht. Aber ich kann das aushalten – und bin froh, dass unsere Aktion wahrgenommen wurde“, erklärte Krämer im Interview mit WirtschaftsWoche Online vor wenigen Wochen.
Einen zweiten Aufruf im Sommer 2013 schloss Krämer aus, obwohl er längst nicht mit der Euro-Krisenpolitik der Europäischer Zentralbank, der Euro-Zone und der Bundesregierung einverstanden ist. „Eine Kampagne kann sich auch tot laufen. Wir werden sicher nicht noch einmal so eine Aufmerksamkeit erreichen wie beim ersten Mal. Von daher sollten wir uns auf andere Formen konzentrieren“, so Krämer.
Ökonomen-Streit - Die Geschichte
Initiator des ursprünglichen Protestbriefes war der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer. Einen Entwurf des offenen Briefs hatte IMK-Chef Gustav Horn auf seiner Facebook-Seite öffentlich gemacht und seine Empörung über das Werk zum Ausdruck gebracht. Vor der tatsächlichen Veröffentlichung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Donnerstag (5. Juli 2012) wurden noch kleinere Korrekturen an dem Entwurf vorgenommen.
Zu den Unterzeichner gehörten renommierte Wissenschaftler wie Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Abeit (IZA) und Charles Blankart, Seniorprofessor für Öffentliche Finanzen an der Berliner Humboldt-Universität und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Zunächst unterschrieben 160 Ökonomen, die Zahl kletterte bis zum 9. Juli 2012 auf über 200.
Die Ökonomen kritisieren, dass zu auf dem EU-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu folgenschwere Zugeständnisse gemacht wurden. Die Unterzeichner sehen den „Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge“. Es seien „riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar“ für die „Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder“ nicht in Haftung genommen werden dürften.
Für ihre Aussagen wurden die Ökonomen scharf kritisiert, unter anderem vom Handelsblatt (dieser Beitrag basierte auf der ersten Entwurfsfassung des offenen Briefs). Ein Kritikpunkt: Die Aussage, dass die solideren Euro-Staaten für die Bankschulden der anderen Länder haften sollten, sei nicht richtig. Vielmehr gehe es allenfalls um eine gemeinsame Einlagensicherung und eine Rekapitalisierung angeschlagener Institute, aber keine Gesamthaftung.
In einem Beitrag für das Handelsblatt reagierten am Freitag (6. Juli 2012) sieben bekannte Ökonomen rund um den ehemaligen Chef des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup.
„In einer solchen Situation kann es nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern“, heißt es darin.
Zu den Autoren des Beitrags zählten zudem Peter Bofinger (Uni Würzburg), Gustav Horn (IMK), Michael Hüther (IW), Dalia Marin (LMU), Friedrich Schneider (DIW Berlin) und Thomas Straubhaar (HWWI).
Finanzminister Wolfgang Schäuble kritisierte den ursprünglichen Protestbrief scharf. „Finanzwissenschaftler sollten eigentlich mit dem Begriff Bankenschulden verantwortlich umgehen“, sagte Schäuble im RBB-Inforadio. Stattdessen würde eine Verwirrung der Öffentlichkeit betrieben. „Ich finde das empörend.“
Am Freitagabend (6. Juli 2012) machte ein zweiter offener Brief die Runde, in der sich ebenfalls prominente Ökonomen gegen die Aussagen des ursprünglichen Protestbriefs stellten. Mit dabei: Michael Burda (HU Berlin), Martin Hellwig (MPI Bonn), Hans-Helmut Kotz (Ex-Bundesbankvorstand), Jan Pieter Krahnen (Uni Frankfurt), Dennis Snower (IfW Kiel) und Beatrice Weder di Mauro (Ex-Sachverständigenratmitglied).
„Ein gemeinsamer Währungsraum mit freien Kapitalströmen kann ohne eine Europäische Bankenunion nicht sinnvoll funktionieren“, hieß es darin. „Die Beschlüsse auf dem letzten EU Gipfeltreffen gehen deshalb in die richtige Richtung.“
Ebenfalls am Freitag (6. Juli 2012) präsentierte der Sachverständigenrat der Bundesregierung ein Sondergutachten zur Lage der Euro-Zone. Darin begrüßten sie die Gipfelbeschlüsse als zumindest kurzfristig richtig, eine langfristige Lösung gebe es aber nach wie vor nicht. Die gemeinsame Währung sei in ihrem Bestand gefährdet. Sie verteidigten ihr Modell eines Schuldentilgungsfonds.
Der Sachverständige Peter Bofinger hatte auch die erste Gegenreaktion gegen den ursprünglichen Ökonomen-Protestbrief unterzeichnet.
Nun aber kommt es doch noch zu einem zweiten Aufruf – allerdings von der „gegnerischen“ Seite. Fünf namhafte Ökonomen – Marcel Fratzscher (Chef des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung), Beatrice Weder di Mauro (ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrats), Francesco Giavazzi (Ökonom an der Mailänder „Bocconi University“), Richard Portes (Professor an der „London Business School“) und Charles Wyplosz (Professor für Internationale Volkswirtschaft am Graduate Institute in Genf) – haben einen weltweiten Aufruf gestartet. Darin bitten sie, den Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) zu unterstützen. Konkret geht es um die Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi „alles für den Euro zu tun“ – und im Zweifelsfall auch, im großen Stil Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen.
„Die Ankündigung des OMT-Programms im Sommer 2012 ist eine der geschicktesten und erfolgreichsten Ankündigungen in der Geldpolitik seit Jahrzehnten“, heißt es in dem Aufruf, der „WirtschaftsWoche Online“ vorliegt. Ohne einen einzigen Euro auszugeben sei es der EZB gelungen, die Liquidität zu verbessern, einen Bank-Run zu verhindern, Unsicherheit und Volatilität an den Finanzmärkten zu reduzieren, die Fremdkapitalkosten für Staaten, Banken und Unternehmen zu senken, und das Vertrauen in die Nachhaltigkeit des Euros und die Aussichten der Wirtschaft im Euro-Raum zu verbessern.