EZB senkt Leitzins auf null Prozent Draghi schafft die Zinsen ab

Paukenschlag in Frankfurt: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins erstmals auf null Prozent gesenkt. Zunächst jubelte die Börse, der Euro ging in die Knie. Später stürzte der Dax ab, der Euro kletterte.

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Mario Draghi. Quelle: dpa

Europas Währungshüter legen im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche massiv nach - zum zweiten Mal binnen drei Monaten. Die Währungshüter senkten den Leitzins am Donnerstag überraschend von 0,05 Prozent auf Null Prozent. Zudem müssen Banken wie erwartet künftig noch mehr Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken, statt Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu vergeben. Auch die milliardenschweren Anleihenkäufe werden weiter ausgeweitet. Und es gibt neue Langfristkredite für Banken.

Der vormittags noch träge Dax schwankte am Nachmittag um fast 500 Punkte und schloss auf seinem Tagestief 2,31 Prozent niedriger bei 9498,15 Zählern. Nach der Dreifach-Zinssenkung war er um mehr als 2,5 Prozent in die Höhe geschnellt. Erst gut 4 Punkte vor der „magischen“ Marke von 10 000 Punkten drehte das Börsenbarometer ab. Damit erreichte der Dax den höchsten Stand seit dem 13. Januar. Vor gut drei Wochen hatte der Leitindex noch rund 13 Prozent oder 1300 Punkte tiefer notiert.

Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung

Der Euro kletterte am späten Nachmittag bis an die Marke von 1,12 US-Dollar heran und damit auf den höchsten Stand seit Mitte Februar. Zuletzt notierte der Euro bei 1,1178 Dollar. Gegen Mittag hatte die EZB den Referenzkurs noch auf 1,0857 Dollar festgesetzt. Der Dollar kostete damit 0,9211 Euro.
"EZB-Chef Mario Draghi hat es geschafft, die Markterwartungen doch noch zu übertreffen", sagte Helaba-Analyst Ralf Umlauf. Vor allem die Ausweitung des Kaufprogramms auf Unternehmensanleihen sei ein starkes Signal. Das große Bündel an Maßnahmen zeuge allerdings von einer enormen Nervosität der obersten Währungshüter, kommentierte Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank.
Seit einem Jahr steckt die EZB Monat für Monat 60 Milliarden Euro in den Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Die Maßnahme, die im Fachjargon „Quantitative Easing“ oder kurz „QE“ genannt wird, wurde erst im Dezember um ein halbes Jahr bis mindestens März 2017 verlängert. Ab April will die EZB nun monatlich 80 Milliarden Euro investieren. Zudem werden weitere Papiere in den Korb aufgenommen.

Nochmals verschärft wurde der Strafzins für Bankeinlagen. Statt 0,3 Prozent müssen Geschäftsbanken künftig 0,4 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld kurzzeitig bei der EZB parken. Mit dem negativen Einlagenzins wollen die Währungshüter die Kreditvergabe im Euroraum ankurbeln. Müssen Banken mehr für das Bunkern von Liquidität zahlen - so die Theorie - bringt sie das eher dazu, das Geld als Kredit an Verbraucher und Unternehmen weiterzureichen.

Die Strafgebühr für Bankeinlagen ist umstritten. Ökonomen befürchten, dass Banken die Kosten auf ihre Kunden abwälzen könnten, statt mehr Kredite zu vergeben. Dadurch könnten Sparer, die bereits unter den Niedrigzinsen der EZB leiden, noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden.

Ab Juni wird die EZB den Banken im Euroraum weitere zielgerichtete Langfristkredite mit vier Jahren Laufzeit anbieten (TLTRO) - mit negativen Zinsen. Zuletzt war die Nachfrage nach solchen Krediten verhalten.

Trotz der massiven Geldschwemme wird die Inflation im Euroraum nach Einschätzung EZB in diesem Jahr deutlich schwächer ausfallen als zuletzt erwartet. Die Notenbank senkte ihre Inflationsprognose für dieses Jahr drastisch auf 0,1 Prozent (bisher 1,0 Prozent). Für 2017 sagen die Währungshüter nun einen Anstieg der Verbraucherpreise um 1,3 Prozent (bisher: 1,6 Prozent) voraus. Erstmals gaben die Währungshüter auch eine Prognose für 2018 ab: Sie rechnen mit einer Teuerung von 1,6 Prozent. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von knapp unter 2 Prozent an.

Im Februar waren die Verbraucherpreise im Euroraum erstmals seit einem halben Jahr wieder gefallen. Die jährliche Teuerungsrate ging nach ersten Schätzungen wegen des erneuten Absturzes der Ölpreise auf minus 0,2 Prozent zurück. Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten Investitionen aufschieben, in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.

Gleichzeitig beurteilen die Notenbank-Experten die Konjunkturaussichten pessimistischer als im Dezember. Für das laufende Jahr erwarten sie ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im Euroraum von 1,4 Prozent (bisher 1,7 Prozent). Für 2017 sagen sie ein Plus von 1,7 Prozent (bisher: 1,9 Prozent) voraus. 2018 soll die Wirtschaft im Euroraum um 1,8 Prozent zulegen.

Draghi hat die Finanzmärkte aber auch auf eine lange Zeit mit ultra-billigem Zentralbankgeld eingestimmt. "Der Rat erwartet, dass die Leitzinsen für längere Zeit auf dem jetzigen oder einem noch niedrigeren Niveau liegen werden", sagte er am Donnerstag vor der Presse.

Der Goldpreis hat derweilen am Freitag den höchsten Stand seit einem Jahr erreicht. In der Spitze mussten die Anleger für eine Feinunze (etwa 31 Gramm) an der Börse in London 1284,64 US-Dollar hinblättern. Damit ist Gold so wertvoll wie zuletzt im Februar 2015. Der deutliche Preisanstieg sei erfolgt, nachdem Draghi am Donnerstag geäußert habe, dass er weitere Zinssenkungen derzeit nicht für nötig erachte, meinen Experten der Australia & New Zealand Banking Group.

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