Europas Zentralbank (EZB) steht in den Startlöchern. Laut Präsident Mario Draghi bereite sie eine "ganze Palette" an Maßnahmen für die nächste Zinsentscheidung am kommenden Donnerstag vor. In einem Brief an einen Europa-Abgeordneten schrieb Draghi, die EZB könne dadurch alle zur Verfügung stehenden Optionen nutzen. "Es gibt keine Grenzen, wie weit wir gewillt sind mit unseren Instrumenten innerhalb unseres Mandats zu gehen".
Klingt so Verzweiflung? Zuversicht? Zielstrebigkeit?
Das sind die drei Leitzinssätze der EZB
Der wichtigste Leitzins ist der Hauptrefinanzierungssatz. Er legt den Mindestzins fest, den Geschäftsbanken der EZB für einen Kredit mit einwöchiger Laufzeit im Rahmen der sogenannten Tenderauktionen bieten müssen. Änderungen wirken sich in der Regel direkt auf die Zinsen am Geld- und am Kapitalmarkt aus.
Für Banken, die sehr kurzfristig Geld brauchen, wird es teurer, hier bietet die EZB die sogenannte Spitzenrefinanzierungsfazilität an. Diese Kredite haben eine Laufzeit von einem Tag. Der Zins, den Banken für das über Nacht geliehene Geld zu zahlen haben, ist der Spitzenrefinanzierungssatz. Er liegt in der Regel rund einen Prozentpunkt über dem Hauptrefinanzierungssatz.
Die Einlagefazilität ist das Gegenstück zur Spitzenrefinanzierungsfazilität. Sie gibt Banken die Möglichkeit, einen Überschuss an flüssigen Mitteln bis zum nächsten Geschäftstag bei der Zentralbank zu parken. Die Verzinsung gibt der Einlagefazilitätssatz an. Spitzen- und Einlagefazilität sind Instrumente, mit denen die EZB weitere Feinsteuerung verwirklichen kann. Wenn die Banken zum Beispiel nur sehr wenig oder gar keinen Zins auf das Geld bekommen, das sie bei der EZB parken, dann steigt der Anreiz, es an einen Kunden zu verleihen. Derzeit ist der Einlagezins negativ - und bestraft somit Banken, die Geld bei der EZB parken.
Die Äußerungen machen deutlich, dass die EZB mit der bisherigen Wirkung ihrer Geldpolitik nicht so zufrieden ist, wie sie es gerne wäre. Draghi schrieb, die EZB werde ihre Haltung auf der Sitzung am 10. März möglicherweise überdenken. Die Inflationsdynamik im Euro-Raum sei weiterhin schwächer als erwartet, insgesamt hätten die Gefahren zugenommen, schreibt der Italiener. Der Euro reagierte auf Draghis Äußerungen und wertete am Mittwoch den vierten Tag in Folge gegenüber dem Dollar ab. Pumpt die EZB tatsächlich mehr Geld in den Markt, würde das den Euro weiter schwächen.
Mandat gegen Bankenaufsicht
Dass die bayerischen Sparkassen offenbar überlegen, größere Mengen Bargeld lieber im Tresor zu lagern, um die Strafzinsen bei der EZB zu umgehen, dürfte nicht gerade zur Beruhigung der Notenbanker beitragen. Denn was Draghi in seinem Brief nicht geschrieben hat: die EZB sitzt zunehmend zwischen den Stühlen.
- Die Erwartungen der Finanzmarktakteure sind vor der Sitzung am kommenden Donnerstag extrem hoch. Belässt die EZB alles beim alten oder reagiert nur in geringem Maße, dürften die Märkte enttäuscht reagieren. Diese Erfahrung machte EZB-Chef Draghi bereits im Dezember, als die Märkte enttäuscht reagierten, weil sie eine stärkere geldpolitische Lockerung erwartet hatten. Intern hieß es zudem, Draghi hätte die Erwartungen an den Märkten zu hoch gehängt. Was heißt das für den kommenden Zinsentscheid? Draghi dürfte sich diese Kritik zu Herzen genommen haben und wird wohl kaum den selben "Fehler" noch einmal machen. Die Ankündigung einer ganzen Maßnahmenpalette lässt einiges erahnen.
- Hinzu kommt das eigene Mandat. Bisher hat die EZB sich recht stoisch als Wächterin der Preisstabilität gezeigt. Auch bei ihrer März-Sitzung dürfte sie mögliche Maßnahmen damit rechtfertigen. Die Inflationsrate in der Euro-Zone ist im Februar erneut in den negativen Bereich gefallen. Die Verbraucherpreise fielen im Jahresvergleich um 0,2 Prozent. Im Vormonat hatte die Inflationsrate noch bei mageren 0,3 Prozent gelegen - ebenfalls weit weg von den von der EZB angestrebten zwei Prozent Preissteigerung. Unerwartet dürfte der Preisfall die EZB nicht treffen. Bundesbank-Chef Jens Weidmann kündigte in der vergangenen Woche auf der Jahrespressekonferenz der Bank bereits an, die Teuerungsrate könne kurzfristig wieder in den negativen Bereich fallen. Entsprechend müssen auch die EZB-Volkswirte ihre Inflationsprognosen anpassen, welche bei der Sitzung in der kommenden Woche ebenfalls vorgestellt werden. Geht es schlicht nach dem Mandat, hat die Zentralbank kaum eine andere Möglichkeit, als auf die fallenden Preise eine geldpolitische Antwort zu geben.
Das Kernproblem: Für Europas Banken hat die EZB eine verzwickte Situation geschaffen. Einerseits sorgt das billige Geld der Notenbank auch bei Geldinstituten dafür, dass diese sich leichter refinanzieren können. Was allerdings schwer auf den Bilanzen der Geldhäuser lastet, sind die niedrigen Margen. Durch die Mini-Zinsen werden die Zinserträge im Bankengeschäft gen Null gedrückt. Gleichzeitig bestraft die EZB die Institute, wenn sie ihre Einlagen bei der Zentralbank halten. Noch liegt der Strafzins bei minus 0,3 Prozent, nach der Entscheidung in der kommenden Woche dürfte der Einlagezins aber noch weiter sinken.
Tresor statt EZB-Konto
Mit dem Strafzins will die EZB Banken eigentlich dazu zwingen, mehr Kredite zu vergeben. Zwar ist die Kreditvergabe in der Euro-Zone leicht angestiegen. Trotzdem leiden die Banken unter den Negativzinsen und kompensieren diese teilweise, in dem sie etwa für Girokonten höhere Gebühren verlangen. Beispiele aus Dänemark oder Schweden zeigen bereits, dass der Negativzins den unerwünschten Nebeneffekt haben kann, dass Banken im Gegenzug die Gebühren für Kredite erhöhen - und die Kreditnachfrage entsprechend noch geringer wird, als sie es ohnehin schon war. Denkbar, dass dieses Szenario auch der Euro-Zone droht. Bisher wehren sich Banken vehement dagegen, Negativzinsen direkt an ihre Kunden weiterzugeben. Zu groß ist der Wettbewerb unter den Instituten, flüchtende Kunden kann sich keiner erlauben.
Flucht ins Bargeld
Drückt die EZB den Einlagezins nun wie erwartet noch weiter ins Minus, droht das gefürchtete Ausweichmanöver ins Bargeld. Laut einem Bericht der "FAZ" wirbt der bayerische Sparkassenverband unter seinen Mitgliedsinstituten bereits offen dafür, Geld lieber im Tresor zu horten, als es bei der EZB gegen eine Strafgebühr anzulegen. Als "EZB-Bargeldschutz" wird diese Möglichkeit offenbar erörtert.
Beobachter hatten bereits befürchtet, dass ein zu stark negativer Zins zu derartigen Ausweichreaktionen führen könnte. Entsprechend aufmerksam registriere die EZB diese Bewegungen, heißt es im Bericht der "FAZ". Solange es nur einzelne kleine Geldinstitute sind, die derartige Überlegungen anstrengen, sind die Effekte zu vernachlässigen. Je mehr Banken und Sparer allerdings darüber nachdenken, das Geld aus dem Finanzkreislauf abzuziehen, desto kontraproduktiver wirkt der Strafzins. Die EZB weiß um diese Gefahr, denkbar wäre daher die Einführung eines gestaffelten Einlagezinses. In dem Fall könnte der höchste Strafzins beispielsweise nur für Überschussreserven gelten, die durch zusätzliche Anleihekäufe der Notenbank entstehen.
Grundsätzlich dürfte der Strafzins kaum wirken, solange die Kreditnachfrage gering bleibt. Für viele Unternehmer ist das Umfeld weiterhin zu unsicher, sie scheuen vor Investitionen zurück und fragen entsprechend auch keine Darlehen nach. Aus Sicht einiger pessimistischer Volkswirte ist das sogar ein positives Zeichen. Würde die Kreditnachfrage nun deutlich zunehmen, heißt es, stiege damit gleichzeitig das Risiko für reihenweise Kreditausfälle in der mittleren Frist. Denn der Aufschwung, so die kritischen Stimmen, sei in der Euro-Zone keinesfalls in Stein gemeißelt.
Banker schlagen Alarm
Umso spannender ist, dass mittlerweile einige Banker selber davor warnen, die negativen Zinsen könnten dafür sorgen, dass Institute ihren Bestand an riskanten Krediten weiter ausbauen. "Einige Banken gewähren Kredite im Übermaß zu Konditionen, die nach meiner Einschätzung auch Potenzial für künftige Risiken im System bergen", sagte der Chef der Schweizer UBS, Sergio Ermotti, im Interview mit Bloomberg TV. Laut Ermotti könnten Risiken etwa bei der Vergabe von Hypotheken entstehen, da Banken dort Kredite ausweiten würden, um die Erträge zu steigern. Ebenfalls hätten Kreditinstitute begonnen, Gebühren für Dienstleistungen zu verlangen, welche früher durch Einlagen subventioniert gewesen seien. Drängt am Ende die Zentralbank Banken ins Risiko?
Banken müssen mehr aufräumen
Für die EZB ist die Situation vor allem aufgrund ihrer Doppelfunktion brisant. Als Bankenaufsicht ist sie immerhin oberste Kontrollinstanz der wichtigsten Geldinstitute Europas. Als Notenbank schwächt sie eben diese aber mit ihrer Negativzins-Politik. Einräumen will die Zentralbank das allerdings nicht. Direktor Benoît Cœuré erklärte am Mittwoch in Frankfurt, die Banken kämen mit der Niedrigzinspolitik gut zurecht, viele könnten die sinkenden Zinsmargen ausgleichen.
Die drei Pfeiler der Bankenaufsicht
Die zentrale Bankenaufsicht („Single Supervisory Mechanism“/SSM) wird unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) eingerichtet und soll am 4. November 2014 die Arbeit aufnehmen. Die EZB wird künftig die etwa 120 größten und wichtigsten Banken im Euroraum direkt überwachen. Vor dem Start durchleuchten die Aufseher deren Bilanzen und testen die Krisentauglichkeit der Institute.
Von 2016 an sollen gemeinsame Regeln zur Sanierung und - im Notfall - Schließung von Banken greifen („Single Resolution Mechanism“/SRM). Erklärtes Ziel ist, dass im Fall der Schieflage einer Bank zunächst deren Aktionäre und Sparer herangezogen werden - und nicht mehr allein der Steuerzahler. Alle Länder sollen Notfallfonds aufbauen, die sich aus Abgaben der Banken finanzieren.
Der grenzüberschreitende Schutz der Bankguthaben von Kunden ist noch Zukunftsmusik. Dagegen gibt es starken Widerstand aus vielen Staaten. Gerade die deutschen Sparkassen und Volksbanken befürchten, dass die üppig gefüllten deutschen Töpfe im Fall von Schieflagen von Instituten in anderen Euroländern geschröpft werden.
Allerdings machte er deutlich, dass die EZB nicht für alle Probleme der Banken verantwortlich ist. Bisher gäbe es beispielsweise zu geringe Fortschritte beim Abbau fauler Kredite. "Das untergräbt das Vertrauen in ihre Fähigkeit, weitere Verluste aufzufangen", erklärte Cœuré. Behalten die pessimistischen Volkswirte recht, sollte das bei uns alle Alarmglocken läuten lassen.
Weidmann außen vor
Die EZB ist mittlerweile also in der Zwickmühle angelangt, welche ihr Kritiker längst prognostiziert haben. Noch bevor die Bankenaufseher in ihre Büros im renovierten Euro-Tower in der Frankfurter Innenstadt ziehen, machen ihnen die Kollegen aus dem neuen Zentralbank-Gebäude im Frankfurter Ostend mit ihrer Geldpolitik das Leben schwer. Sinkt der Negativzins weiter, weil die EZB sich ans Mandat hält, jammern die Banken. Handelt Draghi nicht, meutern die Finanzmärkte und die Deflations-Kritiker holen zum Rundumschlag aus. Sparer und Versicherer sind sowieso schon enttäuscht.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird mit dieser nicht einfachen Entscheidung direkt nichts zu tun haben. Laut geltendem Rotationsprinzip im 25-köpfigen EZB-Rat darf Weidmann im März nicht mitstimmen - seit mit Litauen 2015 das 19. Euro-Land zur Runde der Zentralbank-Räte kam, entschied die EZB, dass nicht alle Notenbanker bei jeder Entscheidung mitstimmen dürfen. Am kommenden Donnerstag wird es erstmals Weidmann sein, der aussetzen muss. Er wird mitdiskutieren, hat aber keine Stimme.
Verschwörungstheoretiker witterten schon bei der Einführung des Rotationsprinzip Draghis Chance, Weidmanns Pause für eine expansive Entscheidung zu nutzen. Beobachter warnen allerdings vor derartigen Interpretationen. Nicht nur Weidmann wird am Donnerstag nicht mitstimmen, auch die Notenbanker aus Estland, Irland und Griechenland dürfen ihre Finger nicht heben. "Das gleicht sich aus", sagt Michael Schubert, Zentralbank-Analyst der Commerzbank. Der Este Ardo Hansson sei wie Weidmann ein Falke, während der Ire und der Grieche zu den geldpolitischen Tauben zu zählen seien, die eine expansive Politik vorziehen. Per Saldo dürfte sich also nichts ändern.