
Es scheint ein wenig, als stünde die Inflation quasi an einer Kreuzung, und könne sich nicht entscheiden, in welche Richtung es zukünftig gehen soll. Steigen die Preise in den nächsten Monaten schneller an als erwartet? Oder bleibt es dabei, dass die Preissteigerung trotz der stabilen wirtschaftlichen Lage weiterhin gering ausfällt? Während einige Finanzmarktanalysten in ihrem Konjunkturausblick für das kommende Jahr schon vor Ersterem warnen, sind die Notenbanker von Europäischer Zentralbank (EZB) und Fed gedanklich noch bei der Frage, warum die Inflation weiterhin so niedrig ist.
Die EZB hat am Donnerstag die Protokolle ihrer vergangenen Sitzung im Oktober veröffentlicht. Demnach rechnen Europas Zentralbanker weiterhin mit einer gedämpften Preissteigerung. Es gebe weiterhin nicht genug Anzeichen dafür, dass die Inflationsrate schon bald auf das von der EZB angestrebte Niveau klettert. Die Notenbank definiert Preisstabilität mit Inflationsraten von knapp unter zwei Prozent. Aktuell liegt der Gradmesser in der Euro-Zone bei 1,4 Prozent.
Mehr Kopfzerbrechen bereitet den Ratsmitgliedern die "Diskrepanz zwischen der anziehenden Konjunktur und der gedämpften Inflations- und Lohnentwicklung", heißt es im Protokoll. Zwar liefern die Notenbanker einige mögliche Erklärungsversuche wie externe Preisschocks (zum Beispiel der niedrige Ölpreis), eine Flaute am Arbeitsmarkt oder schlicht eine verzögerte Lohn- und Preisbildung. Einige Ratsmitglieder befürchten sogar, Effekte wie die Digitalisierung, strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt oder das insgesamt maue Wachstum der Weltwirtschaft könnten den gesamten Inflationsprozess verändern. Wäre das der Fall, müsste die EZB wohl ihr selbstgestecktes Inflationsziel noch einmal überdenken.
Glossar zur Zinspolitik
Preisstabilität ist als Mandat der EZB in den Europäischen Verträgen festgeschrieben. Die EZB definiert Preisstabilität als eine jährliche Teuerungsrate von knapp unter 2 Prozent. Das Niveau gilt als wünschenswert, da es einen Sicherheitsabstand zur Deflation wahrt, ohne Ersparnisse zu schnell aufzuzehren.
Bei fallenden Preisen spricht man von Deflation. Erwartet ein Konsument, dass ein Produkt in Zukunft günstiger wird, verschiebt er seine Kaufentscheidung. Dadurch bricht die Nachfrage ein. Es entsteht ein gefährlicher Kreislauf, gegen den die Zentralbank kaum vorgehen kann.
Mit dem Leitzins legt die Zentralbank den Preis des Geldes fest. Banken können sich zu diesem Zins kurzfristig Geld bei der Zentralbank leihen. Das beeinflusst alle anderen Zinsen in der Volkswirtschaft.
In einem QE-Programm kauft eine Zentralbank Schuldscheine (Anleihen), beispielsweise von Staaten und Unternehmen in großem Umfang auf. Da sie diese Papiere nicht den Schuldnern selbst, sondern deren Gläubigern (in der Regel Banken) abkauft, spült sie so zusätzliches Geld in das Finanzsystem.
Rätselraten auch in den USA
Nicht nur in Frankfurt, auch bei der Fed in Washington wird gerätselt, warum die Inflationsraten trotz des stabilen Wirtschaftswachstums nicht höher ausfallen. Die Arbeitslosigkeit in den USA liegt bei läppischen 4,1 Prozent, für eine derart große Volkswirtschaft ist das quasi Vollbeschäftigung. Trotzdem verharrt auch in den USA die Inflationsrate stoisch unter der Marke von zwei Prozent. Auch in den USA haben die Notenbanker über das Phänomen diskutiert, wie die am Mittwoch veröffentlichten Protokolle zeigen.
Notenbankchefin Janet Yellen bezeichnete die niedrige Inflation am Dienstag vor Studenten der New York University erneut als "Rätsel". Sie glaube zwar, dass die Preissteigerungsrate in den kommenden ein bis zwei Jahren zulegen werde, fügte aber Zweifel an: "Ich will sagen, dass ich in diesem Punkt sehr unsicher bin". Würde das Inflationsziel der Notenbank längerfristig nicht erreicht, wäre das gefährlich.