Fischer: Um den Wert von Sicherheiten zu bestimmen, für die keine Marktpreise vorliegen, orientiert sich die EZB an Wertpapieren mit ähnlichen Charakteristika, die am Markt gehandelt werden. Aber woran wird die Ähnlichkeit von Wertpapieren gemessen? Hier entstehen zwangsläufig diskretiönäre Entscheidungsspielräume.
Die Tatsache, dass es den nationalen Zentralbanken möglich ist, zusätzliche Kreditforderungen auf eigenes Risiko als Sicherheiten zu akzeptieren, gibt ebenfalls Anlass zu Besorgnis. Wird das Eurosystem wirklich an der für diese Fälle vereinbarten nationalen Haftung festhalten, wenn milliardenschwere Verluste einer nationalen Zentralbank deren Eigenkapital auszulöschen drohen? Die Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen eher vermuten, dass im Rahmen der „europäischen Solidarität“ dann die Steuerzahler der anderen Länder die finanziellen Lasten mittragen müssen.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Bindseil: Sie behaupten, die Bewertungsabschläge der EZB bei Sicherheiten seien zu niedrig und werden zu selten angepasst. Diese Behauptungen sind falsch. Eine generelle Überprüfung der Bewertungsabschläge findet alle zwei Jahre statt, das können Sie auf unserer Website nachlesen. Darüber hinaus werden Anpassungen kurzfristig durchgeführt, wenn dies aus Risikosicht erforderlich erscheint, ebenfalls auf unserer Website nachzulesen. Außerdem sorgt die tägliche Bewertung von Sicherheiten (mit Nachschusspflicht, wenn notwendig) für eine wesentliche Verringerung der Risiken.
Fischer: Eine generelle Überprüfung der Bewertungsabschläge im Abstand von zwei Jahren ist angesichts der raschen Änderungen des gesamtwirtschaftlichen und politischen Umfelds nicht ausreichend. Zudem bleibt es dem Ermessensspielraum der EZB überlassen, ob es darüber hinaus zu kurzfristigen risikoadäquaten Anpassungen kommt. Besser wäre es, dem Vorschlag von Professor Kjell Nyborg zu folgen und die Höhe der Bewertungsabschläge für Staatsanleihen für jedermann nachvollziehbar direkt an der Höhe der Verschuldung des jeweiligen Staates auszurichten. Gegenwärtig wirkt sich die Verschuldung nur als eine von vielen Bestimmungsfaktoren auf das Rating einer Staatsanleihe aus, welches neben anderen Faktoren den Bewertungsabschlag bestimmt. Orientierte sich der Abschlag direkt an der Schuldenquote, reflektierte er die Ausfallwahrscheinlichkeit von Staatsanleihen besser und reduzierte zudem die Anreize für die Regierungen, Schulden aufzunehmen.