Bindseil: Sie schreiben über die Liste der von der EZB akzeptierten Wertpapiere: „Die Liste, die 30.000 bis 40.000 Papiere umfasst, wird täglich aktualisiert. Und doch befinden sich derzeit Anleihen der spanischen Bank Banco Popular darauf… Auch Anleihen der notleidenden italienischen Banken Banca Popolare di Vicenza, Veneto Banca und Banca Monte dei Paschi di Siena nimmt die EZB als Sicherheiten entgegen.“
Anders als sie behaupten, wird die Akzeptanz von Sicherheiten auf Basis von Regeln bestimmt. Diesen Regeln folgend wurden die betreffenden Anleihen von Banco Popular von der Sicherheitenliste gestrichen, als der Emittent in die Abwicklung ging. Sie wurden demselben Regelwerk folgend wieder aufgenommen, nachdem die Anleihen nach der Übernahme durch Santander wieder ein ausreichendes Rating erhielten. Diese Änderungen können auf der täglich aktualisierten Liste von akzeptierten Sicherheiten auf der EZB-Website verfolgt werden.
Von den drei erwähnten italienischen Emittenten werden derzeit nur gedeckte Anleihen (Pfandbriefe) oder vom italienischen Staat garantierte Anleihen akzeptiert. Gedeckte Anleihen sind mit einem eigenständigen Deckungsstock, der im Fall der Fälle dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen ist, besichert. Deshalb gelten für sie besondere Regeln, zumal das Rating weniger als bei anderen Anleihen von der Kreditwürdigkeit des Emittenten und mehr von der Qualität des Deckungsstocks abhängig ist. Auch diese wichtigen Unterschiede, die für die Beurteilung entscheidend sind, finden in Ihrem Artikel keinen Niederschlag.
Fischer: Die wundersame Mutation der Anleihen von Banco Popular von beleihungsfähigen zu nicht-beleihungsfähigen und wieder zu beleihungsfähigen Sicherheiten ist das Ergebnis einer hektischen Bankenrettungspolitik, die erforderlich wurde, weil die Bankenaufsicht unter dem Regime der EZB die Ausfallrisiken in den Bankbilanzen zu lange ignorierte.
Dass die EZB die vom italienischen Staat garantierten Anleihen der italienischen Krisenbanken als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte akzeptiert, offenbart das absurde Ausmaß, das die allumfassende Rettungspolitik der EZB mittlerweile erreicht hat. Der italienische Staat ist nur deshalb kreditwürdig, weil die EZB ihn durch ihre Anleihekäufe kreditwürdig hält. Die EZB produziert auf diese Weise Schein-Sicherheiten, die sie dann als Grundlage für Geldleihgeschäfte mit den Banken nutzt. Das erinnert eher an Finanzalchemie als an solide Geldpolitik.
Geldpolitik der EZB
Die EZB setzt ihre ultralockere Geldpolitik unverändert fort: Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Monatlich kauft die Notenbank weiter Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Milliardenumfang. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZB-Rat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, begründete Draghi. Immerhin sagt Europas oberster Währungshüter, dass die Notenbank derzeit keine Notwendigkeit sehe, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen - etwa über neue Langfristkredite für Banken.
Die EZB strebt für den Euroraum eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug von der Nulllinie entfernt. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum robust um 1,7 Prozent. Im Februar 2017 dann knackte die Teuerung erstmals seit vier Jahren wieder die Marke von zwei Prozent - die von den Währungshütern angepeilten Ziele scheinen erreicht. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraumes groß. „Die EZB hat einen Auftrag für den Euroraum insgesamt, und darauf muss sie ihre Geldpolitik ausrichten“, sagte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing dem „Handelsblatt“.
Hauptgrund für den Anstieg der Inflation ist ein kräftiger Sprung der Energiepreise. Ökonomen rechnen damit, dass der Höhepunkt zunächst erreicht ist. „In den nächsten Monaten dürfte die Inflationshysterie wieder etwas nachlassen“, erklärt die Commerzbank. Wichtig ist für die Währungshüter eine nachhaltige Entwicklung der Verbraucherpreise. Dabei haben sie auch die Kerninflation im Blick - also die Teuerung ohne stark schwankende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Februar verharrte diese Rate bei vergleichsweise niedrigen 0,9 Prozent.
„Der große Belastungstest steht vermutlich am 7. Mai an, wenn die Stichwahl darüber entscheidet, ob mit Marine Le Pen eine erklärte Euro-Feindin französische Präsidentin wird“, erläutern Ökonomen der Landesbank Helaba. Solange dies nicht geklärt sei, dürfte EZB-Präsident Draghi keine geldpolitische Kursänderung zulassen. Ähnlich sieht das ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sollte sich die politische Unsicherheit nach den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich legen, könnte die Notenbank im Sommer Hinweise auf einen Ausstieg im Jahr 2018 geben. „Dieses Timing könnte helfen, das EZB-Bashing im beginnenden Wahlkampf in Deutschland zu dämpfen“, sagt Brzeski.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Draghi bekräftigte erneut, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden - mindestens bis zum Auslaufen der Anleihekäufe Ende 2017. Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen ohnehin kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei steigenden Verbraucherpreisen bleibt Sparern unter dem Strich aber weniger Geld.
Alle, die Kredite aufnehmen, zum Beispiel Immobilienkäufer. Auch wenn die Zinsen wieder leicht steigen, sind Hypothekenkredite immer noch günstig. Die ultralockere Geldpolitik kommt auch dem deutschen Fiskus zugute, weil er sich günstig verschulden kann. „Wären die Zinsen auf dem Niveau des Jahres 2007 geblieben, hätte der deutsche Staat über die Zeit um rund 250 Milliarden Euro höhere Zinsausgaben stemmen müssen“, rechnete Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor.
Die EZB kann nicht von heute auf morgen einfach den Geldhahn zudrehen. Das würde zu schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Um den Markt vorzubereiten, müssten die Währungshüter das Auslaufen der Wertpapierkäufe einige Monate vorher ankündigen, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Friedrich Heinemann, Experte am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, mahnt: „Dringend nötig wäre eine klare Perspektive für 2018 mit einer realistischen Strategie zum Auslaufen der Anleihekäufe. Wie bei jedem Ausstieg aus einer Droge ist mit Entzugserscheinungen an den Anleihemärkten zu rechnen, auch Panikattacken sind denkbar.“
Bindseil: Herr Fischer, Sie behaupten in Ihrem Artikel zudem, dass die Akzeptanz der Ratingagentur DBRS finanzschwächeren Ländern im Euroraum helfe und dass die Nutzung von eigenen Kreditbewertungen durch die Notenbanken des Eurosystems ein Missbrauch des Systems sei. Beides ist falsch. Die Qualität aller Quellen für Kreditbewertungen, auch die der eigenen Bewertungen, wird jährlich anhand objektiver Kennzahlen gemessen und überwacht. Für alle gelten dieselben Anforderungen. DBRS wurde bereits vor Beginn der Finanz- und Schuldenkrise in die Liste der akzeptierten Ratingagenturen aufgenommen.
Fischer: Die kanadische Ratingagentur DBRS ist für ihre vergleichsweise großzügige Bewertung von Schuldnern bekannt. Das gilt auch für die Bewertung von staatlichen Kreditnehmern. So hat es Portugal allein DBRS zu verdanken, dass die EZB weiter portugiesische Staatsanleihen kauft. Denn DBRS ist die einzige der von der EZB berücksichtigten Ratingagenturen, die portugiesische Staatsanleihen noch als kreditwürdig einstuft, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass die EZB die Anleihen des Landes kauft. Dank des großzügigen Ratings von DBRS kann die EZB die Beleihungswerte für die Staatsanleihen von Krisenländern höher ansetzen. Das verschafft den Banken Zugang zu mehr Krediten der EZB.