EZB und WiWo im Streitgespräch Müllschlucker EZB – wie gefährlich sind Draghis Geschäfte wirklich?

Die Europäische Zentralbank wehrt sich gegen die massive Kritik der WirtschaftsWoche an deren riskanten Geldgeschäften. Ein Streitgespräch zwischen den Volkswirten von EZB und WiWo.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Quelle: Getty Images

Die WirtschaftsWoche hat sich jüngst in einem Artikel kritisch mit den Geldleihgeschäften der Europäischen Zentralbank (EZB) auseinander gesetzt. Anlass war ein Buch des norwegischen Ökonomen Kjell Nyborg, in dem dieser der EZB vorwirft, den Geschäftsbanken Zentralbankgeld gegen fragwürdige Sicherheiten zu leihen und sich so vor den Karren maroder Banken und überschuldeter Staaten spannen zu lassen. Die EZB hat der WirtschaftsWoche daraufhin vorgeworfen, sich zum Adjutanten einer ungerechtfertigten Kritik an ihrer Geldpolitik zu machen.

In einem umfangreichen „Faktencheck“ haben die Notenbank-Ökonomen unter Leitung des EZB-Generaldirektors für Finanzmarktgeschäfte, Ulrich Bindseil, kritisch Stellung zu dem Artikel der WirtschaftsWoche bezogen und ihre Sicht der Dinge dargelegt. Wir haben uns entschlossen, an dieser Stelle die Kritik von Bindseil an dem von WiWo-Chefvolkswirt Malte Fischer verfassten Artikel zu veröffentlichen und mit den Gegenargumenten von Fischer zu konfrontieren.

Bindseil: Herr Fischer, Sie schreiben in Ihrem Artikel über die Wertpapiere, die die EZB als Sicherheit für Geldleihgeschäfte mit den Banken akzeptiert, folgendes:  “Denn viele der Wertpapiere, die die EZB als sicher einschätzt, sind es in Wahrheit nicht; die EZB gibt sich mit fragwürdigen Zahlungsversprechen zufrieden.” Das ist eine unbelegte und falsche Aussage. Der Sicherheitenrahmen des Eurosystems basiert auf Regeln. Diese Regeln gelten für alle Wertpapiere und sind für jedermann – auch für Sie – auf der EZB-Website einsehbar (siehe beispielsweise den Rechtlichen Rahmen zur Geldpolitik und geldpolitischen Instrumenten, das Occasional Paper zum Thema „The Eurosystem collateral framework explained“ oder die Veröffentlichung zum Risikomanagement der geldpolitischen Operationen des Eurosystems).

Die Entscheidung, ob ein Wertpapier von Banken beliehen werden kann, fällen die Notenbanken des Eurosystems also nicht auf Basis von Stimmungen oder Annahmen über eine einzelne Bank oder ein Bankensystem, wie es Ihr Artikel insinuiert, sondern auf Basis objektiver Fakten und den Regeln folgend.

Eine dieser Regeln ist das geforderte Mindest-Rating, mit dem das Wertpapier, der Emittent oder ein eventueller Garantiegeber von mindestens einer Ratingagentur bewertet sein muss. Weiterhin können zum Beispiel unbesicherte Anleihen nicht vom Emittenten selbst beliehen werden. Dadurch ergibt sich immer eine doppelte Absicherung.

Fischer: Bei der Akzeptanz von Staatsanleihen als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte orientiert sich die EZB nur am jeweils besten Rating der von ihr berücksichtigten Ratingagenturen. Dieses Vorgehen ist in höchstem Maße fragwürdig. Warum ignoriert die EZB die ungünstigeren Ratings der übrigen Agenturen? Schon das kaufmännische Vorsichtsprinzip, das jeder einigermaßen solide wirtschaftende Unternehmer zur Sicherung der eigenen Existenz anwendet, gebietet die Ausrichtung der Akzeptanz von Sicherheiten mindestens am Durchschnitt aller Ratings, besser noch am ungünstigsten Rating.

Aus der Tatsache, dass unbesicherte (Bank-)Anleihen nicht vom Emittenten selbst beliehen werden können, ergibt sich keinesfalls immer eine doppelte Absicherung, wie Sie behaupten. Im Fall einer systemischen Krise – und diesen Fall sollte eine Zentralbank im Blick haben, die sich nicht als permanenter Banken- und Staatenretter versteht – droht nicht nur die Bank als Kreditnehmer der EZB auszufallen. Auch das von ihr eingereichte Kollateral, das aus Anleihen anderer Banken oder aus Staatsanleihen besteht, droht dann wertlos zu werden.   

Bindseil: Nur wenn die kreditnehmende Bank ausfällt und der Wert der Sicherheit nicht ausreichend ist, können Verluste auftreten. Dies ist umso unwahrscheinlicher, da der Wert der Sicherheiten täglich überprüft wird, entweder auf Basis von Marktpreisen oder durch Modellbewertung. Wenn also der Wert einer Sicherheit etwa im Laufe einer Krise sinkt, reduziert sich auch der zur Verfügung stehende Kreditbetrag. Ihr Artikel erwähnt diese für die Absicherung der Kreditgeschäfte entscheidenden Aspekte nicht.

Fischer: Die von Ihnen angesprochene Modellbewertung von Sicherheiten ist fragwürdig. Kein Modell der Welt kann ein Ersatz für echte Marktpreise sein. Zudem sind die Bewertungsmodelle der EZB und der nationalen Notenbanken für die Öffentlichkeit eine Blackbox, weil niemand außerhalb der Notenbanken weiß, wie die Parameter der Modelle spezifiziert sind. Hier mangelt es an Transparenz und Vergleichbarkeit mit alternativen Modellrechnungen. Zudem zeigt die  Erfahrung, dass Modelle zur Bewertung von Finanzaktiva gerade in Krisenzeiten häufig versagen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%