EZB-Zinsentscheid Triumphator Draghi bereitet letzte Eskalationsstufe vor

Die Europäische Zentralbank belässt ihren Leitzins auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent. Mario Draghi gab bekannt, dass weitere Maßnahmen gegen die niedrige Inflation vorbereitet würden. Zu rechnen ist daher mit allem. Im schlimmsten Fall mit dem Kauf von Staatsanleihen.

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Zeitweise hatte EZB-Chef Mario Draghi auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid sichtbar Spaß. Quelle: AP

Mario Draghi lacht laut auf. Entgegen aller Erwartungen hatte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) auf der letzten Pressekonferenz im alten Eurotower richtig Spaß. Grund dafür war eine Studie der Ratingagentur Fitch, der zufolge die von der Notenbank gekauften verbrieften Kredite (ABS) eine Ausfallrate von unter einem Prozent hätten. Weit geringer, als das Risiko bei den Kreditpaketen, welche in den USA einst gekauft wurden. "Weil wir keine Subprimekredite kaufen", sagt Draghi und scheint dabei immer aggressiver zu werden.

Denn der Italiener weiß genau, gegen wen sich seine offensichtliche Freude richtet. Gegen Kritiker wie den Ökonomen Hans-Werner Sinn, der der EZB attestiert, sie würde durch den Kauf von ABS und Pfandbriefen zu einer "Bad Bank" weil sie sich undurchschaubare Risiken in ihre Bilanz hole. Nichts da, meint Draghi. Schließlich besage die Studie ja das Gegenteil. Lacht und triumphiert - denn kurz danach ist die Pressekonferenz zu Ende, Draghi verbucht so etwas wie einen Etappensieg über seine Gegner.

Das sind die drei Leitzinssätze der EZB

Der Italiener Draghi ist eben ein Profi darin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Zwar schaute er zunächst etwas skeptisch auf die zahlreich anwesenden Journalisten drein, ließ sich dann aber nicht in die Karten schauen. Mehrere Male wurde der EZB-Präsident auf das angebliche Zerwürfnis mit einigen Ratsmitgliedern angesprochen. Zuletzt hieß es, es gebe massive Irritationen über den Führungsstil des ehemaligen Goldman-Bankers. Einige Zentralbanker seien mit seinen Aussagen nicht zufrieden gewesen.

Alles Quatsch, wenn es nach Draghi geht, der Italiener lächelte das weg. Mehrfach betonte er, dass die Stellungnahme der EZB in völliger Einigkeit entstanden sei und berichtete von einem sehr entspannten Dinner am gestrigen Mittwoch. Konflikte unter einzelnen Notenbankern wollte er nicht bemerkt haben.

Mögliche Kritikpunkte gibt es dabei genug - zumindest wenn man zu den geldpolitischen Falken gehört und es eher mit konservativen Institutionen wie der Deutschen Bundesbank hält. Denn Draghi hat nicht nur triumphiert und weggelächelt, er hat auch gleichzeitig die Spekulationen für eine weitere geldpolitische Lockerung geschürt - auch wenn die EZB den Leitzins auf seinem Rekordtief von 0,05 Prozent nicht antastete.

Zunächst konkretisierte er seine Aussagen in punkto Bilanzsumme. Das ABS-Kaufprogramm werde zwei Jahr dauern, so Draghi. Zusammen mit dem Erwerb der Pfandbriefe und den langfristigen Finanzierungsinstrumenten für die Euro-Banken (TLTROs) solle die Bilanzsumme der Zentralbank merklich ausgeweitet werden. Konkret heißt das: sie soll wieder auf das Niveau steigen, auf dem sie im März 2012 kurz nach dem Start des zweiten Langfristtenders (LTRO) war. Zu der Zeit lag die Summe bei rund drei Billionen Euro, mittlerweile sind es "nur noch" etwas mehr als zwei Billionen. Während Draghi zumindest offiziell die Meinung vertritt, man wolle diesen Schritt mit Hilfe der bisher angekündigten Maßnahmen bewerkstelligen, ist so eine Ausdehnung der Bilanzsumme laut Kritikern ohne eine großflächiges Anleihekaufprogramm ("Quantitative Easing"), wie es beispielsweise die amerikanische Notenbank Fed praktizierte, gar nicht möglich.

Was so ein Programm angeht, öffnet Draghi die Tür weit für Spekulationen. Denn er erklärt den Märkten, die EZB habe ihre Experten damit beauftragt, zeitnah weitere unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen vorzubereiten. Diese sollen zum Einsatz kommen, falls das Risiko der niedrigen Inflationsraten trotz des derzeitig bereits beschlossenen Maßnahmenpakets nicht bekämpft werden kann.

Woran er da genau denkt, darauf will sich Draghi natürlich nicht festlegen lassen. Im Gegenteil, der EZB-Chef gibt sich optimistisch, dass die bisherigen Instrumente ausreichen. "Wir sind zuversichtlich, dass die Maßnahmen greifen werden", erklärt Draghi. Auf die Frage, ob die EZB auch Unternehmensanleihen kaufen könnte, erklärt er: "Wir haben noch nicht über spezifische Instrumente diskutiert".

Neue Maßnahmen schon im Dezember?

Analysten rechnen bereits für den kommenden Monat mit weiteren Neuerungen. "Mario Draghi hat gleich mehrfach mit dem Zaunpfahl gewinkt", sagt Nordea-Analyst Holger Sandte. Ein weiteres Paket könne den Ankauf von Unternehmensanleihen und auch Agency-Anleihen wie solche der Europäischen Investitionsbank (EIB) umfassen. Auch günstigere Bedingungen bei den TLTROs seien möglich.

2014 – ein heikles Jahr für die EZB

Wenn Draghi Glück hat, reichen seine Ankündigungen aus, und die Euro-Zone kommt um ein umfassendes Anleihekaufprogramm herum. Dafür müsste sich aber die Lage bei den beiden Problemfeldern der EZB verbessern. Danach sieht es zumindest kurzfristig nicht aus.

Da ist zum einen die schwächelnde Wirtschaft. Die Herbstprognose der EU-Kommission sah düster aus, das Wachstum wird flächendeckend schwächer ausfallen. Für 2014 prognostizieren die Kommissare mittlerweile nur noch ein Plus von 0,8 Prozent statt der bisherigen 1,2 Prozent. Vor allem das Zugpferd Deutschland schwächelt. Für das dritte Quartal erwartet Brüssel, dass das Wachstum in Europas größter Volkswirtschaft stagniert. Gleichzeitig korrigierte auch das Münchner ifo-Institut seine Prognose herunter, der gleichnamige Index sank Ende Oktober unerwartet deutlich um 1,5 auf 103,2 Punkte auf den tiefsten Stand seit fast zwei Jahren.

Auch die OECD senkte ihre Prognose für die 20 größten Wirtschaftsnationen für dieses und das nächste Jahr leicht nach unten. Gleichzeitig forderte die Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung die EZB dazu auf, die Wirtschaft stärker zu unterstützen, um eine drohende Deflation zu vermeiden.

Denn sinkende Preise sind das zweite große Problemkind der EZB. Trotz der zahlreichen geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbank verbleibt die Preissteigerungsrate in der Euro-Zone auf einem äußerst niedrigen Niveau. Die Rate lag im Euro-Raum zuletzt bei 0,4 Prozent und damit weit unter dem Niveau von knapp unter zwei Prozent, welches die EZB als Preisstabilität bezeichnet.

Die Märkte rechnen nach Draghis Äußerungen offenbar damit, dass die EZB nachlegen wird. Der Euro fiel auf den tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren, der Dax dagegen schoss nach Draghis Äußerungen deutlich ins Plus auf über 9400 Punkte.

Vieles deutet also darauf hin, dass die EZB die Märkte mit noch mehr billigem Geld beglücken wird. Denn auch wenn Draghi sich versöhnlich gegeben hat ist eins klar. Der Italiener ist nicht nur ein guter Schauspieler, er ist auch ein großer Stratege. Und wenn er will, wird er einen Weg finden, den EZB-Rat von neuen Maßnahmen zu überzeugen.

Ob die EZB aber gleich zum umfangreichen Kauf von Staatsanleihen greifen wird, bleibt fraglich. Denn Draghi ist nicht nur ein guter Schauspieler, er weiß auch dass diese Maßnahme höchst umstritten ist. Spätestens dann dürfte es ihm nicht mehr so leicht fallen, seine Kritiker vom Gegenteil zu überzeugen. Und genau daran hat der Italiener doch so viel Spaß.

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