Feri-Studie über Eurozone Der Zerfall des Euro ist nicht abgewendet

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Es drohen Trittberttfahrer

Dazu kommen, so Rapp, die „systemischen Bruchlinien“. Sie offenbarten sich erst in der Euro-Krise und ihren Reparaturmaßnahmen, die deutliche Spuren im Institutionengefüge der Währungsunion hinterließen (nicht zuletzt etwa den Rettungsschirm ESM). Diese Maßnahmen entwerteten das ursprüngliche Regelwerk des Maastricht-Vertrages – vor allem das zentrale No-Bail-Out-Gebot, das genau solche Rettungsmaßnahmen verbot.

Jenseits offizieller Beteuerungen haben diese Maßnahmen die Regierungen der Krisenländer von unmittelbarem Handlungsdruck befreit. Spieltheoretisch gesprochen: Die Erfahrung eines Mitspielers, dass der offene Verstoß gegen Regeln keine Bestrafung, sondern im Gegenteil Unterstützung der anderen Spieler nach sich zieht, führt unmittelbar zu einem Moral-Hazard-Phänomen, mit anderen Worten Trittbrettfahrern. Im Endeffekt offenbart sich eine Währungsunion als höchst labiles System, in dem vermeintliche Stabilisierungsaktionen letztlich nur zu neuer Instabilität führen.  

Die Aussicht auf extreme ökonomische und vor allem politische Verwerfungen, die bei einem völligen Zusammenbruch der Währungsunion drohen, dürften aber für regierende Politiker nicht zuletzt in Deutschland ein Motiv sein „zumindest diejenigen Minimum-Schritte vorzunehmen, die einen break Up gerade noch verhindern können“.

Die wahrscheinlichste Zukunftsperspektive der Währungsunion sei „ein schleichender Übergang in eine teure und ineffiziente Transferunion“. Angesichts genannter spieltheoretischer Überlegungen geht Rapp davon aus, dass währenddessen eine grundlegende und tatsächlich umgesetzte Reform mit zunehmender Dauer bedingungsloser Hilfstransfers immer unwahrscheinlicher werde, weil der Anreiz dazu für die nationalen Akteure schwindet. Implizite Folge: „Deutlich erhöhte Transferlasten und stetig steigende Zukunftsrisiken speziell für Deutschland“.

Der Weg in die Transferunion sei daher, so Rapp, „nicht nur eine Bankrotterklärung für alle früheren Versprechungen einer stabilen Währungsunion; er führt auch direkt in die weitere Zerrüttung der Euro-Zone.“  Die Transfers stabilisieren also nicht grundlegend und langfristig, sondern machen immer neue Krisen, ausgelöst durch ungeahndete Regelverstöße wahrscheinlicher. Ergebnis: eine fragile Transferunion.

Die keinesfalls unmögliche Alternative zur dauerhaften Transferunion: der Austritt einzelner Mitgliedsländer. Das dürften, so vermutet Rapp, wohl eher kleine, volkswirtschaftlich starke Mitgliedsländer wie Österreich oder Finnland sein, da für diese irgendwann der Anreiz zum Verlassen stärker werden könnte als der Nutzen des Verbleibs in einer Union, die ihnen wachsende Verpflichtungen auferlegt.

Ein solches Schwinden oder auch der völlige Zusammenbruch der Eurozone sei auch als langfristiges Folgeszenario einer lange Zeit erfolglos und immer teurer werdenden „ermüdeten“ Transferunion denkbar. Für Deutschland – volkswirtschaftlich stark, aber aus politischen Gründen ohne jegliche Exit-Option – bedeutet die Währungsunion demnach für die Zukunft die Aussicht auf Pest oder Cholera – oder beide Krankheiten hintereinander.

Zur Pest der Transferunion und der Cholera der möglichen Verwerfungen durch das Zerbrechen des Euro, kann man für Deutschland und letztlich auch den Rest Europas übrigens noch eine weitere Krankheitserwartung hinzufügen, die zeitlich durchaus mit den beiden ersten zusammenfallen könnte, wie Hans-Werner Sinn bei Markus Lanz klarmachte: Was ist in 15 Jahren in Deutschland los, wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen und ihre Renten und Pensionen von Kindern finanziert haben möchten, die sie nie bekamen? Dann konkurrieren die Ansprüche heimischer Transferempfänger mit denen des europäischen Auslands. Und beiden steht das Interesse der schwächer werdenden Gruppe gegenüber, die alle finanzieren soll: die Steuerzahler.

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