Von Malte Fischer, Frank Doll, Mark Fehr, Stefan Hajek, Henning Krumrey, Niklas Hoyer, Annina Reimann, Hauke Reimer, Anton Riedl, Heike Schwerdtfeger, Cornelius Welp, Florian Zerfaß
Routiniert wie ein „Tagesschau“-Sprecher verliest Mario Draghi seine Einschätzung, souverän, kühl und emotionslos verpasst er Sparern einen Schlag mitten ins Gesicht. Die wichtigsten Leitzinssätze, sagt der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag in Frankfurt, dürften „für einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen oder einem noch niedrigeren Niveau bleiben“.
Mickrige 0,25 Prozent Zinsen gibt die EZB derzeit vor – und für den Zentralbankpräsidenten ist das Ende der Entwicklung nach unten noch nicht erreicht? Für Sparer wird der Leitzins so zum Leidzins. Schlimmer noch: Der Niedrigzins ist nur ein Teil eines großen, düsteren Bildes. Sparer sind zum Lieblingsziel der Zentralbanker und Politiker geworden. Ob Bargeld, Wertpapiere, Aktien oder Edelmetalle, auf längere Sicht ist das Geld nirgendwo mehr sicher. Denn Sparer werden die Zeche zahlen für eine exzessive Schuldenpolitik. Je aberwitziger die Verpflichtungen werden, die Staaten bedienen müssen, desto dreister werden die Ideen, mit denen die Politik Zugriff auf unser Geld bekommen will.
Viele Instrumente aus deren Folterkammer werden noch nicht angerührt. Doch es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sich das ändern könnte: in der öffentlichen Debatte, bei politischen Vorstößen, mit Blick auf historische Beispiele – und zum Teil sogar im Koalitionsvertrag, wenn man ihn genau liest. Die WirtschaftsWoche skizziert die markantesten Bedrohungen, denen Sparer ausgesetzt sind.
Bedrohung 1: Vom Niedrig- zum Negativzins
Auf dem Tisch der Frankfurter Notenbanker liegen weitere Vorschläge, die die Wirtschaft mit Geld fluten und die Zinsen drücken sollen, von Geldleihgeschäften für die Banken bis hin zur Absenkung des Einlagenzinses der EZB unter null. Der Einlagenzins ist der Zins, zu dem Banken nicht benötigtes Zentralbankgeld bei der EZB parken können. Früher erhielten sie dafür Zinsen, jetzt nicht mehr. Dennoch haben die Banken dort derzeit rund 50 Milliarden Euro deponiert. Senkte die EZB den Zins auf –0,1 Prozent, wie manche Beobachter erwarten, müssten die Banken 56 Millionen Euro Strafzinsen pro Jahr zahlen.
Negativzinsen, so die offizielle Begründung, sollen die Banken dazu bewegen, Kredite an Unternehmen in den Krisenländern zu vergeben. Ob das Kalkül aufgeht, ist fraglich. Zu hoch sind die Schulden, unter denen Unternehmer und Bürger dort ächzen. Daher liegt der Verdacht nahe, dass Negativzinsen für EZB-Einlagen einem anderen Ziel dienen: „Die Banken sollen mit dem Geld verstärkt in marktfähige Assets der Krisenländer, vor allem in Staatsanleihen, investieren“, sagt Johannes Mayr, Volkswirt der BayernLB.
Minuszins: Strafe für Sparer?
Dass die EZB die Zinsen tatsächlich bald auf unter null senkt, wird unter Frankfurter Bankern ernsthaft diskutiert. „Negative Zinsen halte ich heute nicht für sehr wahrscheinlich. Falls es aber dazu kommen sollte, könnten Banken ganz gut damit umgehen“, sagt Commerzbank-Vorstand Martin Zielke.
Die Welt lebt auf Pump
Technisch wäre die Umstellung problemlos. Das haben die Banker bereits intern geprüft. Allerdings halten sie es für unwahrscheinlich, dass die Institute den Negativzins weitergeben, indem sie von ihren Kunden tatsächlich Gebühren für die Geldverwahrung verlangen. „Das ist nicht machbar“, sagt ein Bankvorstand. Sparer würden in Massen zu ausländischen Banken flüchten. Das Geld würde im Zweifel sogar in Banknotenbündeln in der eigenen Wohnung landen. Der Sparkassenverband DSGV spricht bereits von einem Lockprogramm für Wohnungseinbrecher.
Eine Welt voller Schulden
Staaten allerdings brauchen niedrige Zinsen, denn die Welt lebt auf Pump: 2007 waren die USA, Europa und Japan im Schnitt mit 73 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) verschuldet, heute sind es 110 Prozent. Spätestens die Finanzkrise mit ihren Konjunktur- und Bankenrettungsprogrammen hat die Schulden der Industrieländer anschwellen lassen, wie es sonst nur Kriege vermögen.
Ein Ende ist nicht in Sicht. Der Schuldenberg wächst immer weiter, allein in Europa um 100 Millionen Euro – pro Stunde. Das Wirtschaftswachstum ist nicht stark genug für höhere Einnahmen, mit denen sich die Schulden abzahlen ließen. Für niedrigere Ausgaben wiederum, einen harten Sparkurs, fürchtet die Politik, von den Wählern abgestraft zu werden. So bleiben nur zwei Wege, um die Schulden abzutragen: niedrige Zinsen und mehr Inflation.
Das Rezept funktionierte bereits nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals waren die Industrieländer, etwa die USA und Großbritannien, durch den Krieg überschuldet. Regierungen und Zentralbanken gelang es aber, die Zinsen über Jahre hinweg unter die Inflationsrate zu drücken. Schon in der ersten Nachkriegsdekade schrumpfte etwa der Schuldenberg Amerikas von 116 auf 66 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. „Negative Realzinsen haben die Staatsschulden abgeschmolzen“, heißt es in einer viel beachteten Untersuchung der US-Ökonominnen Carmen Reinhart und Belen Sbrancia.
Löcher ins Vermögen
Niedrigzinsen fressen am Ersparten, Notenbanker denken über Minuszinsen nach, und die Merkel-Garantie gilt auch nicht mehr.
Forderung nach härterer Mietpreisbremse, Grund- und Grunderwerbsteuern steigen, historisch oft Zwangsabgaben.
In Krisenphasen oft verboten, Mehrwertsteuerpflicht und Abschaffung der Spekulationsfrist drohen.
Finanztransaktionsteuer drückt, Forderung nach Abgeltungsteuer von 25 auf 32 Prozent, Vermögensabgabe wird diskutiert.
Inflation und negative Realzinsen (Zinsen unterhalb der Inflationsrate) entfernen die Schulden zwar nicht nominell, aber real. Grob: Wenn in zehn Jahren alles fünf Mal so teuer ist, aber auch alle fünf Mal so viel verdienen, tun die heutigen Schulden nicht mehr weh. Für Sparer bedeutet dies finanzielle Repression: Die Zinsen reichen nicht, um die Inflation auszugleichen, gemessen an der Kaufkraft, schmilzt das Vermögen. Die Nachkriegszeit dient den Regierungen nun als Modell für die finanzielle Repression, die aktuell auf die Sparer zurollt.
Bedrohung 2: Einmalige Vermögensabgabe
Eine Lösung mit der Brechstange wäre, von Vermögenden eine einmalige Abgabe zu erheben und damit Schulden zu tilgen. Das hat es schon gegeben: den Lastenausgleich, der Flüchtlinge und Vertriebene entschädigen sollte. Dazu wurde zum 21. Juni 1948 (einen Tag nach der Währungsreform) das Vermögen festgestellt. Betroffen waren Konten, Wertpapiere und Immobilien über 5.000 Mark Freibetrag.
Vermögensabgabe in Theorie und Praxis
Insgesamt musste die Hälfte abgegeben werden. Die Belastung wurde auf 30 Jahre gestreckt, pro Jahr ergab das 1,67 Prozent Abgabe. In der Regel konnten diese Raten aus laufenden Erträgen bezahlt werden, deren reale Belastung durch die Geldentwertung der folgenden Jahre noch verringert wurde. Insgesamt kamen 135 Milliarden Mark zusammen. 1960 entsprach das etwa der Hälfte der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik. Verfassungsrechtlich wäre eine solche Abgabe heute nur in einer schweren Krise drin – in der befindet sich Deutschland nicht.
Blaupause Zypern
Viele haben die Stimme der Kanzlerin noch im Ohr: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind“, sagte Angela Merkel im Oktober 2008 und verhinderte einen Bank-Run. Damals ging es um die gesamten Spareinlagen. Der Koalitionsvertrag kippt, weitgehend unbemerkt, die Merkel-Garantie. Jetzt gilt bloß: „Sparer mit einer Einlage bis zu 100.000 Euro werden geschützt.“ Die Summe ist kein Zufall, sondern EU-weit geregelt.
Modell stand dabei ausgerechnet ein Land, das partout keines sein sollte: Zypern. Als die größten Banken im Sommer 2012 kurz vor der Pleite standen, bat Zypern die EU um Hilfe. Doch die zierte sich.
Insgesamt 17 Milliarden Euro benötigte die Insel. Zypern war jedoch als Schwarzgeldparadies für reiche Russen verpönt, Oligarchen mit Steuergeldern rauszuboxen: undenkbar. Die Europäer setzten als Bedingung für Hilfskredite durch, dass die Sparer beteiligt wurden. Nach zähem Kampf um die Höhe des Freibetrags stand fest, dass alle Guthaben ab 100.000 Euro dran waren – rund die Hälfte wurde in Aktien der Bank umgewandelt, ein weiterer Teil eingefroren.
Der niederländische Finanzminister und Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselblom bezeichnete die Lösung in Interviews als „Blaupause“ und warnte andere Länder, „seid euch im Klaren darüber, wenn Banken in Probleme geraten, kommen wir nicht automatisch, um sie zu lösen.“ Empört wiesen Politiker quer durch Europa diese Einschätzung zurück. In jedem Fall zeigt Zypern modellhaft, wie Politiker agieren: vorpreschen, austesten, den verbalen Rückzug antreten, als Einzelfall darstellen.
Der US-Ökonom Barry Eichengreen hatte bereits in einer Studie von 1989 („Vermögensabgabe in Theorie und Praxis“) anhand historischer Beispiele von der Tschechoslowakei 1920 bis Japan 1946 herausgearbeitet, wie eine erfolgreiche Zwangsmaßnahme ablaufen muss: Überraschend, schnell, ohne politische Debatten und lange Gesetzesinitiativen – sonst flieht das Kapital über die Grenzen oder in andere Anlageformen, und der Schnitt wird von Lobbygruppen verwässert: „Die wenigen erfolgreichen Vermögensabgaben ereigneten sich unter Umständen wie im Nachkriegs-Japan, wo wichtige Elemente des demokratischen Prozesses unterbunden wurden“, so Eichengreen. Die US-Besatzungsmacht hatte damals, anders als gewählte Regierungen, keinen Vertrauensverlust zu befürchten.
Zehn Prozent auf alles?
Trotz derartiger Einsichten hat die Debatte um eine Vermögensabgabe an Fahrt gewonnen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) widmete im Oktober nur eine halbe Seite einer knapp 100 Seiten umfassenden Steuerstudie der Idee einer einmaligen Abgabe auf sämtliche Vermögen. Doch der Abschnitt hat es in sich.
Die sauberste Lösung
Die Vorteile der Abgabe beschreiben die Autoren knapp: Wenn sie so schnell durchgezogen wird, dass sich niemand entziehen kann, und wenn klar ist, dass es sich um eine einmalige Abgabe handelt, dann würde sie das Konsumverhalten der Menschen und damit das Wachstum kaum bremsen. Und: Die Abgabe dürfte von vielen als gerecht empfunden werden.
Doch so neutral die kurze Beschreibung auch gehalten ist: Am Ende lassen sich die Autoren auf ein Gedankenspiel ein. Sie berechnen, wie hoch die Abgabe in den 15 Euro-Ländern ausfallen müsste, um die Staatsschuldenquoten auf das Vorkrisenniveau von 2007 zu drücken. Ergebnis: Jeder Euro-Land-Einwohner wäre mit zehn Prozent seines Vermögens dabei.
Eine ganz ähnliche Größenordnung hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schon vor gut einem Jahr angepeilt. Das Institut spielte durch, wie die Kosten der Krise verteilt werden könnten. Bei 250.000 Euro Freibetrag pro Bürger könnten mit einer zehnprozentigen Vermögensabgabe 230 Milliarden Euro eingetrieben werden. Ein Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble bezeichnete den Vorschlag als „interessant“ für manche südeuropäische Staaten. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sah darin jedoch auch für Deutschland „eine Option, um zum Abbau der Verschuldung beizutragen“.
Obwohl das DIW selbst sich mittlerweile von der Idee verabschiedet hat, findet sie immer mehr Beifall. Verdi-Chef Frank Bsirske etwa, der eine gestaffelte Abgabe vorschlug. Und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt sagte, sie wolle „vermögende Privatpersonen beteiligen, mit 1,5 Prozent ihres Vermögens über zehn Jahre“.
Teurer Schuldenfonds
Wie kommen Zahlen wie diese zustande? Daniel Stelter, Ex-Berater der Boston Consulting Group, der den Thinktank Beyond the Obvious gegründet hat, hat nachgerechnet: Als gerade noch vertretbar haben Stelter und Kollegen eine Gesamtschuldenlast (Staaten, Kommunen, Firmen und Privatleute zusammen) von 180 Prozent des BIPs ermittelt. Derzeit liegt sie in den Industrieländern im Schnitt bei mehr als 340 Prozent des BIPs. Absolut liegt der Schuldenüberhang in den USA, Europa, Japan bei über 25.000 Milliarden Dollar. „Das einmalige Streichen des Schuldenüberhangs wäre die beste und sauberste Lösung“, meint Stelter, „sie ist aber politisch schwer durchsetzbar.“
Machbar wäre es durchaus. Schulden sind zugleich Geldguthaben der Gläubiger. In Europa und den USA stehen dem Schuldenberg, immerhin, zwischen 75.000 und 80.000 Milliarden Dollar an Finanzguthaben gegenüber. Etwa ein Drittel dieser Geldguthaben und damit der Schulden müsste man streichen, um auf einen tragbaren Schuldenstand zu kommen.
Wiedervorlage in der nächsten Krise
Stelter plädiert aber nicht für einen einmaligen Schnitt, sondern für einen Fonds: Alle Schulden jenseits der langfristig tragbaren Gesamtschuldenlast von 180 Prozent des BIPs würden darin gebündelt. „Die Bank müsste allen Schuldnern, auch dem spanischen Häuslebauer, sofort 30 Prozent seiner Schulden streichen und diese in der eigenen Bilanz abschreiben; gegenfinanziert würde dies der Bank aus dem Fonds“, erklärt Stelter. Refinanzieren würde sich der Fonds über von Staaten gemeinschaftlich begebene Bonds. „Deren Zins läge unter dem, den Staaten und Private im Schnitt bezahlen müssten, wenn sich jeder für sich weiter am Kapitalmarkt verschuldete.“ Über 20 Jahre würde der Fonds getilgt, etwa über eine Vermögensteuer. Stelter hat errechnet, dass diese Steuer weniger als ein Prozent des Gesamtvermögens jedes EU-Bürgers pro Jahr ausmachen würde.
Bedrohung 3: Mehr Steuern zahlen
„Mit uns wird es keine Steuererhöhungen geben“, hatten die Spitzen von CDU und CSU im Chor während des Wahlkampfs intoniert. Und in der Tat finden sich in der Koalitionsvereinbarung keine solchen Pläne. Unterhändler Christian von Stetten hatte die Sozialdemokraten gleich zu Beginn gewarnt, der Gruppe mit derlei Vorschlägen die Zeit zu stehlen – das komme für die Union nicht infrage.
Trügerische Ruhe
Allerdings steht das laut vorgetragene Versprechen „keine Steuererhöhung“ nicht im Vertragstext. Dafür etliche milliardenschwere Ausgaben, die sich – wenn überhaupt – nur finanzieren lassen, solange die Konjunktur stabil und die Steuereinnahmen hoch bleiben. Sonst steht die Koalition sofort wieder vor der Frage: Abgaben erhöhen oder Wohltaten streichen?
Warum zeichnen Anleger eigentlich Staatsanleihen?
Die Union beharrt erst mal auf ihrer Zusage, dass dann die Ausgaben angepasst werden müssten. Für die Mütterrente gilt das freilich nicht, so der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder. Ebenso wird auch die SPD zwingende Lieblingsprojekte haben.
Dann stehen wieder Steuererhöhungen auf der Tagesordnung. So liegt eine rot-grüne Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung der Vermögensteuer einstweilen auf Eis. Rund zehn Milliarden Euro Einnahmen hatte die SPD dafür kalkuliert. Die Abgeltungsteuer, mit der die Erträge von Geldanlagen aller Art erfasst werden, würde sie gern von 25 auf 32 Prozent erhöhen. Sollte das Geld nicht reichen, würde sie Zinsen und Dividenden wieder dem individuellen Steuersatz unterwerfen – für einkommenstarke Anleger noch teurer.
Noch eine Ausnahme ist den Genossen ein Dorn im Auge: Bei vermieteten Immobilien sind Wertsteigerungen – anders als beispielsweise bei Aktien – steuerfrei, sofern Wohnung oder Haus länger als zehn Jahre dem Eigentümer gehörten.
Für alle Regelungen gilt: Wiedervorlage in der nächsten Krise.
Nur gegen böse Spekulanten?
Schon geeinigt haben sich die Großkoalitionäre auf eine Finanztransaktionsteuer. „Weit weg vom Bürger, trifft nur die bösen Spekulanten“, so die Denke. Im Koalitionsvertrag ist von einer „breiten Bemessungsgrundlage“ die Rede. Klingt harmlos, bedeutet aber: Auch Altersvorsorgeanbieter wie Fonds und Lebensversicherungen müssen beim Wertpapierhandel zahlen.
Verbot von Gold
Laut EU-Kommission soll von jedem Kauf und Verkauf von Aktien und Anleihen jeweils 0,1 Prozent des gehandelten Wertes an den Fiskus gehen. Bei Aktien für 5.000 Euro sind das bei An- und Verkauf immerhin zehn Euro. Die Steuer zu umgehen wird schwierig. Wer seinen Wohnsitz in einem EU-Land hat, das die Steuer verlangt, muss sie auch zahlen. Der superschnelle Hochfrequenzhändler, dem sie das Geschäft vermiest, sitzt ohnehin in London oder der Schweiz, notfalls wird er umziehen. Ein Riester-Sparer wird das nicht tun. Und er zahlt nicht nur bei eigenen Aktiengeschäften.
Altersvorsorgesparer werden sich später nur wundern, dass ihr Guthaben noch mickriger ausfällt. Die Fondsgesellschaft Union Investment berechnete für einen herkömmlichen Riester-Vertrag mit monatlich 100 Euro Beitrag nach 30 Jahren ein Minus von 4.100 Euro für den Anleger, allein wegen der Finanztransaktionsteuer.
Bedrohung 4: Eingriff in die Vertragsfreiheit
Ein Goldbesitzverbot wie in den USA zwischen 1933 und 1974 hält Stefan Homburg auch in Europa für möglich. „So was hat es gegeben, und so etwas könnte auch wieder gemacht werden“, so der Professor am Institut für Öffentliche Finanzen an der Leibniz Universität Hannover. Die Bilanzen der Notenbanken sind geschwächt. Der Anteil der im Vergleich zu ausfallsicheren Goldbeständen nur mit schwachen oder fragwürdigen Sicherheiten unterlegten Vermögenspositionen in ihren Bilanzen hat in den Krisenjahren stark zugenommen. Theoretisch ließen sich die Bilanzen verbessern, wenn privater Goldbesitz in Staatsbesitz gelangte. Die Frage wäre dann nur: Würde für privates Gold ein fairer Marktpreis bezahlt – und passierte der Übergang freiwillig?
Gold verboten
Das Beispiel USA zeigt, dass ein Besitzverbot für Gold eine knifflige Sache ist. Um den Dollar zu stützen und faktisch Spekulation mit Gold gegen ihn zu unterbinden, erließ US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1933 eine Verordnung, die das Horten von Gold unter Strafe stellte. Ausgenommen waren Goldmünzen und -zertifikate, deren Wert pro Person 100 Dollar nicht überstieg, sowie Sammlerstücke. US-Bürger hatten ihr Gold zum Festpreis von 20,67 Dollar pro Unze bei der Notenbank abzugeben, anschließend wurde die Parität auf 35 Dollar pro Unze fixiert. Für Anleger war der erzwungene Umtausch ein gewaltiges Verlustgeschäft. Das Verbot wurde erst am 31. Dezember 1974, nach dem Zusammenbruch des Gold-Dollar-Standards von Bretton Woods, aufgehoben.
Die Freigrenze von 100 Dollar, was etwa fünf Unzen Feingold (heute: 6.000 Dollar) entsprach, war ein geschickter Schachzug, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht betroffen war. Entsprechend regte sich kaum Widerstand. Wer unter der Freigrenze lag, konnte an der späteren Aufwertung von Gold gar verdienen.
EZB-Entscheid und US-Konjunktur lassen Dax auf der Stelle treten
Durchzusetzen ist das Verbot nur schwer. In den USA lag die Abgabequote während des dortigen Verbots geschätzt bei nur 30 Prozent. Im Moment gibt es hierzulande auch keine Debatte über ein Verbot. Mit ein paar Fallstricken sollten Goldbesitzer aber schon rechnen. Denkbar wäre eine von Brüssel aus betriebene Wiedereinführung einer europaweiten Mehrwertsteuer. Auch könnten Zugewinne mit Barren und Münzen, die nach über einem Jahr Haltefrist steuerfrei bleiben, künftig mit Abgeltungsteuer belegt werden.
In Staatsanleihen getrieben
Auch eine Art von Zwangsmaßnahme: Versicherer und Banken und damit deren Kunden werden in Staatsanleihen getrieben. Europäische Versicherer sind eine fette Beute für die Politik – sie legen gigantische 8,4 Billionen Euro an. Kapital, was Politiker gerne auf ihre Seite holen. Das geht einfach: Politiker drängen die größten Investoren – Banken und Versicherer – über Vorschriften zur Regulierung indirekt in Staatsanleihen. So wird es unter der geplanten Regulierung Solvency II für europäische Versicherer ab 2016 nötig, einen Risikopuffer (Eigenmittel) für neue Investments vorzuhalten.
Der Staat ist erfinderisch
Die Idee dahinter ist auf den ersten Blick edel: Im Interesse der Kunden sollen Versicherer Mittel für mögliche Ausfälle vorhalten. Allerdings wird das für alle Investments außer Staatsanleihen so teuer, dass kaum ein Versicherer sie sich noch leisten wird. Aktien zu kaufen kostet etwa 39 Prozent extra. Wer eine Immobilie erwirbt, muss 25 Prozent extra für Wertverluste einplanen. Paradox: Bis heute ist kein Puffer für griechische Staatsanleihen vorgesehen – obwohl Investoren hier bereits einen Teil ihres Einsatzes abschreiben mussten. „Dass Staatsanleihen nicht besichert werden müssen, spiegelt nicht das Risiko wider, was Investoren angesichts hoch verschuldeter Staaten eingehen“, sagt der selbstständige Versicherungsanalyst Carsten Zielke. Der Zwang zu Staatsanleihen durch die Hintertür ist für Versicherte misslich. Kauft ihr Versicherer heute eine deutsche Staatsanleihe, die in zehn Jahren fällig wird, bekommt er nur 1,7 Prozent Rendite. Hohe Überschüsse können Sparer sich so abschminken.
Kein Entkommen
Legale Wege, der finanziellen Repression und Zwangsmaßnahmen des Staates auszuweichen, gibt es für Normalbürger, die ihren Sitz nicht auf die Caymans verlegen können, nicht: Am Ende fangen Politik und Notenbanken alle Anleger ein. Besonders leicht zu greifen, weil – siehe Zypern – schnell und einfach erreichbar, sind Giro-, Tagesgeld- und Festgeldkonten. Staatsanleihen, auf deren permanenten Verkauf die verschuldeten Staaten angewiesen sind, könnten einen gewissen Schutz bieten. Die hochverzinslichen aber sind pleitegefährdet, und die sicheren bieten keinen Realzins. Das Gleiche gilt für Unternehmensanleihen. Bleiben neben Gold, das von den genannten Verboten bedroht sein könnte, noch Immobilien – und die von den Deutschen ungeliebten Aktien.
Weiches Betongold
Wer sein Erspartes wegen Angst vor Inflation und Repression in Immobilien anlegt, sollte sich nicht zu sicher fühlen. Denn der Staat ist erfinderisch, wenn es darum geht, Hausbesitzer zur Kasse zu bitten. Nach dem Ersten Weltkrieg und der anschließenden Hyperinflation führte Deutschland 1924 eine Hauszinssteuer ein, mit der Immobilienbesitzer an der Geldentwertung beteiligt werden sollten. Der Gedanke: Hypothekenschulden hatten teilweise komplett an Wert verloren, die damit finanzierten Grundstücke und Wohnungen jedoch nicht. Deren Besitzer wurden zum Ausgleich zur Kasse gebeten. Betongold schützt also nicht immer vor Inflation.
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
Heute flüchten vor allem wohlhabende deutsche Anleger aus Angst vor kalter Enteignung in Immobilien. „Wir sehen mit zunehmendem Volumen tendenziell auch sehr hohe Immobilienanteile an den Gesamtvermögen“, sagt Tom Weber von der Capitell Vermögensverwaltung. In guten Lagen werden 25, in Ausnahmen bis zu 35 Nettojahreskaltmieten für Zinshäuser bezahlt. „So lässt sich nach Abzug aller Kosten und Steuern kaum noch eine Nettorendite von mehr als einem kümmerlichen Prozent erwirtschaften“, so Weber.
Eine leichte Beute
Auffällig: Die beim Haus- oder Wohnungskauf anfallende Grunderwerbsteuer von 3,5 Prozent auf den Kaufpreis wird aktuell deutlich hochgeschraubt. So will die Schuldenmetropole Berlin ab Januar 2014 sechs Prozent kassieren, in Bremen sollen fünf und in Schleswig-Holstein sogar 6,5 Prozent fällig werden.
Immobilienbesitzer sind leichte Beute, sie können nicht mit ihrem Vermögen ins Ausland flüchten. An die selbst genutzte Immobilie wird sich die Politik nicht so schnell heranwagen, meint Weber. Zwangsmaßnahmen gegen Vermieter aber treffen nur wenige. Der Widerstand dagegen dürfte eher schwach sein.
Aktien im Visier
Dass nur wenige getroffen werden, gilt auch für Maßnahmen gegen Aktionäre. Eine Besitzsteuer oder Abgabe eigens für Aktien gab es zwar noch nie, sagt Carsten Burhop. Doch der Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien rät trotzdem davon ab, die Aktie als Bastion gegen den Staatszugriff zu sehen: „Aktienbesitz wurde bereits bei der Preußischen Vermögensteuer von 1893 herangezogen“, sagt Burhop. Für den Staat ist es leicht, bei Aktien zuzuschlagen: Wo bei Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen aufwendige Berechnungen nötig sind, um das Vermögen zu ermitteln, kann bei gehandelten Wertpapieren einfach der Kurs als Grundlage genommen werden.
Bei der Währungsreform 1948 allerdings behielten Aktionäre ihre Papiere, verzeichneten zwar massive Kurseinbußen, im Wirtschaftswunder aber massive Gewinne. Dafür war vor allem Otto Ohlendorf verantwortlich, Vize-Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium. Eine „tief greifende Veränderung der Besitz- und Eigentumsverhältnisse“ wollte er verhindern, schreibt das „Handelsblatt“. Mit Deutsche-Bank-Vorstand Herrmann Josef Abs, dem späteren Bundesbank-Präsidenten Karl Blessing und dem späteren Wirtschaftsminister Ludwig Erhard erarbeitete er ein Schuldenabbauprogramm, das Aktionäre schonte und im Zuge der Währungsreform 1948 realisiert wurde.
Auf eine Wiederholung der Geschichte sollten Anleger hier aber nicht setzen – ausnahmsweise.