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Flüchtlinge Europas große Stunde

Der Mini-Gipfel in Brüssel zeigt deutlich: Deutschland kann es nicht alleine schaffen, es braucht die Solidarität anderer Mitgliedstaaten. Denn gerade für Osteuropa bietet die Flüchtlingskrise auch eine große Chance.

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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker und der Kommissar für Flüchtlinge Antonio Guterres. Quelle: dpa

Wie weit reicht Europa eigentlich? Umfasst es die gesamte Europäische Union, immerhin ein weltweit einmaliger Zusammenschluss von 28 Mitgliedstaaten, 508,2 Millionen Einwohner stark, größer sogar als die Vereinigten Staaten von Amerika?

Blickt man in diesen Tagen auf diese Europäische Union, muss man zu einem ganz anderen Schluss kommen. Europas Strahlkraft erreicht aktuell vielleicht noch die Gassen rund um das winzige Europaviertel in Brüssel, dort wo die Berufseuropäer werkeln. Aber in den 28 EU-Hauptstädten, sei es nun in Athen, Paris, Budapest oder Berlin, ist das Nationale wieder übernah und das Europäische so fern wie nie. In der Flüchtlingskrise ist die europäische Solidarität in eine Schieflage geraten, wie sie selbst auf dem Höhepunkt der Eurokrise nicht zu beobachten war.

So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern

Das “Gipfeltreffen” zur Notlage am Sonntag in Brüssel, einberufen auch auf Wunsch von Kanzlerin Angela Merkel, sollte diesen Eindruck verwischen. Aber in Wahrheit führte es die Spaltung allen noch deutlicher vor Augen.

Lediglich zehn Staaten waren geladen statt allen 28 - offiziell, weil ja nur einige Staaten mit der besonders frequentierten Westbalkan-Route zu tun haben.

In Wahrheit war die Einladungsliste aber limitiert, weil der kleinste gemeinsame Nenner in Europa derzeit schon ein Nenner zu viel ist. Im Vorfeld des Treffens hatte etwa Kroatien bereit klargemacht, wer mehr Engagement für Flüchtlinge erwarte, verstehe die Situation schlicht nicht. Regierungschef Zoran Milanovic sagte, sein Land werde Flüchtlinge nicht länger aufnehmen, statt sie wie bisher an Slowenien weiterzureichen. Er werde bei dem Treffen "keinerlei Verpflichtungen für Kroatien übernehmen", sagte Milanovic.

Tausende Flüchtlinge erreichen Österreich
4./5. September, WienSie haben Tausende Kilometer hinter sich. In Ungarn schien Endstation. Doch nach Zusagen aus Österreich und Deutschland haben sich tausende Flüchtlinge auf dem Weg gemacht und am Samstagmorgen die österreichische Grenze erreicht. Die erschöpften Migranten wurden von den ungarischen Behörden mit Bussen zur Grenze gebracht, überquerten sie zu Fuß und wurden auf der österreichischen Seite von Helfern mit Wasser und Nahrungsmitteln empfangen. Nach Polizeiangaben kamen bis zum Morgen etwa 4000 Menschen an. Die Zahl könne sich aber im Laufe des Tages mehr als verdoppeln. Quelle: dpa
Ein Flüchtlingslager in Ungarn Quelle: REUTERS
Flüchtlinge in einem Zug im ungarischen Bicske Quelle: AP
Ein Flüchtling schaut aus einem Zug im Bahnhof Keleti in Budapest Quelle: dpa
3. September, Bodrum in der TürkeiFotos eines ertrunkenen Flüchtlingskindes haben in den sozialen Netzwerken große Betroffenheit ausgelöst. Eine an einem Strand im türkischen Bodrum entstandene Aufnahme zeigt den angespülten leblosen Körper des Jungen halb im Wasser liegend. Unter dem Hashtag „ #KiyiyaVuranInsanlik“ kursieren die Fotos auf Twitter. „Wenn dieses Bild die Welt nicht verändert, haben wir alle versagt“, schrieb eine Nutzerin. Der Junge gehörte einem Bericht der britischen Zeitung „The Guardian“ zufolge zu einer Gruppe von mindestens zwölf syrischen Flüchtlingen, die am Mittwoch vor der türkischen Küste ertrunken waren. Unseren Kommentar zum Thema, warum man das Bild nicht zeigen darf, finden Sie hier.
Flüchtlinge sind in Budapest am Bahnhof gestrandet Quelle: REUTERS
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Quelle: dpa

Geladen war die kleine Runde von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, nicht von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der eigentlich als Einziger die Mitgliedstaaten protokollarisch angemessen versammeln kann. Tusk hatte sich aber geweigert, dies zu tun. Dass Juncker auf Geheiß von Merkel einsprang, empörte viele EU-Vertreter. Das mag manchen als Brüsseler Albernheit und Paragraphenreiterei erscheinen. Es offenbart aber nur die allgemeine Unsicherheit und Zerstrittenheit.

Dabei müsste gerade nun genau das Gegenteil der Fall sein. Wenn Europa mehr sein will als ein Binnenmarkt, sondern eben auch eine Werte-Gemeinschaft, muss es genau jetzt enger zusammen rücken. Die Flüchtlingskrise ist eine größere Herausforderung als die Eurokrise, so brandgefährlich diese schon war. Es geht diesmal nicht allein um Geld, es geht um Kultur, um Ängste vor Überfremdung und Veränderung von Gesellschaften. Es geht aber auch um eine große Chance für einen Kontinent, den etwa viele Amerikaner und Asiaten für die Zukunft nicht mehr wirklich ernst nehmen, weil er der am schnellsten alternde der Welt ist.

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