
Was hat Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls denn nun gesagt? Will er „nicht mehr so viele Flüchtlinge“ nach Europa einreisen lassen oder nicht „noch mehr“? Am Mittwochmorgen gab es zunächst Berichterstattung über seine Forderung nach einem Aufnahmestopp, dann folgte das Dementi aus Valls' Büro, das von einem Übersetzungsfehler sprach.
Das Hin und Her über die Aussage des Premiers in einem Hintergrundgespräch mit europäischen Journalisten ist genauso typisch wie absurd. Typisch, weil es von Hintergrundgesprächen normalerweise kein beweisfähiges Tonmaterial gibt und deshalb häufig Aussage gegen Aussage steht. Absurd, weil der Unterschied zwischen „nicht mehr so viele“ und „nicht noch mehr“ allenfalls graduell ist.
Frankreich würde am liebsten gar keine Flüchtlinge aufnehmen. Das ist eine Tatsache, die sich im diplomatischen Geschäft allerdings schlecht verkaufen lässt. Vor allem, wenn wenige Stunden später der Besuch der Bundeskanzlerin ansteht. Die ist nun mal für eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge. Das betonte Angela Merkel am Mittwoch noch einmal in der Generaldebatte des Bundestags. Von dort aus flog sie nach Paris, wo Staatschef François Hollande ihr gerne die Zusage entlockt hätte, dass die Bundeswehr sich am Anti-Terror-Kampf in Syrien und im Irak beteiligt. Wer nehmen will, muss auch geben.
Merkel verteidigt Flüchtlingspolitik
Das ist die Lage, die Valls’ verbalen Balance-Akt erklärt. Es ist aber kein Geheimnis, dass die französische Öffentlichkeit und alle Politiker, gleich welcher Couleur, in den vergangenen Wochen in der Flüchtlingsfrage stets näher bei der CSU von Horst Seehofer waren als bei der Kanzlerin der offenen Grenzen. Seit den Terroranschlägen vom 13. November gilt dies noch mehr. „Paris ändert alles“ - dieser Satz des CSU-Finanzministers Markus Söder könnte auch von Manuel Valls stammen.
Frankreich hat ein Problem mit der Integration
Erinnern wir uns doch mal an die Situation vor den ersten großen Flüchtlingsankünften in Europa im September. Schon damals wurde in der EU über einen Verteilungsschlüssel debattiert. Frankreichs sozialistische Regierung war dagegen. Erst unter dem Druck der vielen hunderttausend Migranten, die über die Balkanroute nach Deutschland kamen, erklärte sich Paris bereit, binnen zwei Jahren 24.000 von diesen Neuankömmlingen aufzunehmen. 24.000! In zwei Jahren! Das bewerkstelligt das Allgäu an einem Wochenende.
In Frankreich stellt sich niemand hin und sagt: „Wir schaffen das.“ Im Gegenteil. Hier gibt es eine Madame Marine Le Pen vom Front National (FN), die nicht von Kriegsflüchtlingen spricht, sondern lieber von Illegalen, die allesamt nur aus wirtschaftlichen Gründen in die EU wollen und ausnahmslos abgewiesen werden sollten. Nicht nur, aber auch damit steigt ihre Popularität pausenlos. Madame le Pen wird es 2017 vermutlich in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl schaffen. Bei den Europawahlen voriges Jahr schnitt der FN als stärkste aller französischen Parteien ab. Bei den französischen Regionalwahlen - in der Bedeutung so ähnlich wie Landtagswahlen in Deutschland - am 6. und 13. Dezember wird die Partei vermutlich zwei Regionen hoch im Norden und an der Côte d’Azur gewinnen.
Frankreich hat seit Jahrzehnten ein Problem mit der Integration von Migranten aus den ehemaligen Kolonien. Die Verantwortung dafür tragen sicher beide Seiten. Aber der Staat, der die Voraussetzung dafür schaffen könnte, hat hier bitter versagt. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, dafür bekannt, dass er unbequeme Wahrheiten ausspricht und dann von den Altvorderen der Sozialisten zurückgepfiffen wird, hat schon Recht. Frankreich habe eine Mitverantwortung für den im eigenen Land genährten Extremismus.