Flüchtlinge Wie Merkel ihr Erdogan-Problem loswerden kann

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Warum Deutschland wieder mehr Flüchtlinge aufnehmen muss

Soll das Flüchtlingsabkommen ein Erfolg werden, müssen diese Missstände schnellstmöglich behoben werden. Doch müsste es Deutschland nicht schon aus moralischen Gründen aufkündigen? Die Frage ist angesichts von Erdogans Machtposen verständlich. Aber die Alternative besteht darin, dass zigtausende Flüchtlinge binnen kürzester Zeit in Griechenland stranden würden. Sie würden wohl alles daran setzen, Richtung Norden und Deutschland weiterzukommen – notfalls auch mit Gewalt. Ob mazedonische Grenzpolizisten diese Lage über einen längeren Zeitraum beherrschen können, darf bezweifelt werden.

Nein, zum EU-Türkei-Abkommen gibt es derzeit keine Alternative. Dennoch kann Merkel dem Eindruck entgegenwirken, sie sei eine Vasallin Erdogans.

Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright, der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer und der ehemalige griechische Premierminister George Papandreou haben in der Zeit einen Vorschlag gemacht, wie das funktionieren kann. „Die EU muss auch zu ihrer Verpflichtung stehen, im Rahmen eines freiwilligen humanitären Aufnahmeplans eine groß angelegte Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei zu verwirklichen“, schreiben die drei Politiker in einem Gastbeitrag. Die Umsiedlung von 150.000 bis 250.000 Flüchtlingen sei leicht zu realisieren, wenn sich mehr europäische Länder zu einer Beteiligung bereit erklärten. Das Erpressungspotential, das Erdogan derzeit genüsslich ausnutzt, würde in einem solchen Fall geringer werden.

Die Bundesregierung hatte im Herbst letzten Jahres noch gesagt, eine halbe Million Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen zu können – auch via Kontingente. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sprach Merkel zuletzt zwar über „freiwillige humanitäre Kontingente“. Ob und wie viele Syrer Deutschland aus der Türkei aufnehmen wird, sagte sie aber nicht. Wenn sich die Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage von Erdogan emanzipieren möchte, sollte sie diese Debatte endlich führen.

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