
Der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung in Europa liegt derzeit vor allem auf den Flüchtlingsdramen im Mittelmeer. Aber auch in Südostasien liegen Boote vor den Küsten von Indonesien und Myanmar. Das Tragische: Diese Länder betreiben eine rigorose Flüchtlingspolitik und lassen die Flüchtlinge, die in oft viel zu kleinen Schiffen auf Rettung warten, einfach auf dem offenen Meer treiben.
Myanmar ist nun zu humanitärer Hilfe bereit, ebenso wie die Philippinen und Indonesien. Das kann aber nur ein Anfang sein. Die Flüchtlings- und Asylpolitik muss sich sowohl in Südostasien als auch in Europa ändern – Deutschland könnte dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
„Momentan gibt es keinerlei Indizien, dass der Zustrom an Flüchtlingen abnehmen wird, vor allem auch, weil Staaten wie Syrien, Irak und Eritrea mitnichten zur Ruhe kommen“, sagt Jan Schneider, Leiter des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Es werden wohl eher noch weitere Konfliktherde hinzukommen.
Über das Mittelmeer nach Europa: Zahlen zu Flüchtlingen
Trotz der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer wagen viele Tausend Menschen die Flucht nach Europa. 219.000 Menschen flohen laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR 2014 über das Mittelmeer nach Europa; 2015 waren es bis zum 20. April 35.000.
3.500 Menschen kamen 2014 bei ihrer Flucht ums Leben oder werden vermisst; im laufenden Jahr sind es bis zum 20. April 1600.
170.100 Flüchtlinge erreichten 2014 über das Meer Italien (Januar bis März 2015: mehr als 10.100); weitere 43.500 kamen nach Griechenland, 3.500 nach Spanien, 570 nach Malta und 340 nach Zypern.
66.700 Syrer registrierte die EU-Grenzschutzagentur Frontex 2014 bei einem illegalen Grenzübertritt auf dem Seeweg, 34.300 Menschen kamen aus Eritrea, 12.700 aus Afghanistan und 9.800 aus Mali.
191.000 Flüchtlinge stellten 2014 in der EU einen Asylantrag (dabei wird nicht unterschieden, auf welchem Weg die Flüchtlinge nach Europa kamen). Das sind EU-weit 1,2 Asylbewerber pro tausend Einwohner.
...beantragten 2014 in der EU Asyl (2013: 50.000).
202.700 Asylbewerber wurden 2014 in Deutschland registriert (32 Prozent aller Bewerber), 81.200 in Schweden (13 Prozent) 64.600 in Italien (10 Prozent), 62.800 in Frankreich (10 Prozent) und 42.800 in Ungarn (7 Prozent).
Um 143 Prozent stieg die Zahl der Asylbewerber im Vergleich zu 2013 in Italien, um 126 Prozent in Ungarn, um 60 Prozent in Deutschland und um 50 Prozent in Schweden.
Mit 8,4 Bewerbern pro tausend Einwohner nahm Schweden 2014 im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Flüchtlinge auf. Es folgten Ungarn (4,3), Österreich (3,3), Malta (3,2), Dänemark (2,6) und Deutschland (2,5).
600.000 bis eine Million Menschen warten nach Schätzungen der EU-Kommission allein in Libyen, um in den nächsten Monaten die Überfahrt nach Italien oder Malta zu wagen.
Weltweit sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks mehr als 57 Millionen Menschen auf der Flucht, vor allem aus Syrien, Eritrea und Afghanistan. 2014 kamen nach Angaben der Grenzschutzagentur Frontex allein knapp 67.000 Syrer nach Europa – aus einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Trotzdem hat die Bundesregierung im Frühjahr das Syrien-Programm auslaufen lassen, mit dem es für Bürgerkriegsflüchtlinge leichter war, nach Deutschland zu reisen.
Ein Lösungsvorschlag: „Die Bundesregierung könnte ganz konkret das Syrien-Programm wieder aufnehmen, indem jenen Syrern die Einreise gestattet wird, die bereits Verwandte in Deutschland haben“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Sie kämen mit Schleusern und Schleppern ohnehin irgendwie in die Bundesrepublik, setzen sich so aber einer viel größeren Gefahr aus.
Aber: „In Hinblick auf die Syrien-Krise kann man in jedem Fall festhalten, dass Deutschland im Konzert der europäischen Staaten eine Vorreiter-Rolle gespielt hat. Das braucht es aber auch in den neuen Krisen“, sagt Schneider vom Sachverständigenrat.
Eine der neuen Krisen findet derzeit in Südostasien statt – und trifft vor allem die muslimische Minderheit der Rohingya aus Myanmar, die in ihrer Heimat verfolgt werden und die kein angrenzendes Land aufnehmen möchte: „Aus meiner Sicht sind es innenpolitische Gründe – man will von den eigenen Problemen ablenken und auch die Minderheiten im eigenen Land eher einschüchtern. Härte gegen ‚Flüchtlinge‘ kommen in den einzelnen Ländern bei der breiten Bevölkerung gut an”, erklärt Thomas Gambke, Mitglied des Bundestages und Vorsitzender der ASEAN-Parlamentariergruppe. Das sei ähnlich wie bei Stammtischparolen in Deutschland. „Den Menschen müssen in ihren Heimatländern Perspektiven eröffnet werden, vor allem, indem die wirtschaftliche und politische Situation verbessert wird”, sagt auch Ludger Pries, Soziologe an der Ruhr-Universität in Bochum. „Nachhaltiges Wachstum, Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit sind entscheidend.”