
Ein „Bekenntnis zur Solidarität“ sollte von Berlin ausgehen, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Vorfeld der Flüchtlingskonferenz, zu der der SPD-Politiker geladen hatte. Den Ländern Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei sollte angesichts der humanitären Katastrophe konkret geholfen werden.
Insgesamt befinden sich mehr als zehn Millionen Menschen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien und der Terrororganisation ISIS. Allein der Libanon mit seinen vier Millionen Einwohnern hat mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Die syrischen Nachbarstaaten haben die Grenze ihrer Belastung längst erreicht.
Steinmeier hatte daher Vertreter aus 40 Staaten nach Berlin geladen. Im Anschluss an die Konferenz formulierten die anwesenden Vertreter eine „Berliner Erklärung“, die jedoch vor allem Floskeln enthält und nichts Konkretes. Man wolle die Finanzhilfen für die Länder „erhöhen“, die Hilfsangebote „koordinieren“, die Unterstützung „verstetigen“ und die Spenden „bündeln“.
Im Gegenzug sichern Syriens Nachbarländer zu, dass sie mit Hilfe der Geldgeber Bildungsmöglichkeiten und eine medizinische Grundversorgung für die Betroffenen bereitstellen. All das klingt gut und sinnvoll, aber den drei Millionen syrischen Flüchtlingen ist damit noch nicht geholfen. Der Winter naht, noch immer fehlen Flüchtlingscamps. Es geht darum, eine humanitäre Tragödie zu verhindern.
Länder mit der niedrigsten Aufnahmequote (2014)
Irland
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 920
pro 100.000 Einwohner: 20
Litauen
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 400
pro 100.000 Einwohner: 14
Slowenien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 270
pro 100.000 Einwohner: 5
Spanien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 10
pro 100.000 Einwohner: 4.485
Lettland
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 195
pro 100.000 Einwohner: 10
Slowakei
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 440
pro 100.000 Einwohner: 8
Rumänien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 1.495
pro 100.000 Einwohner: 8
Estland
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 95
pro 100.000 Einwohner: 7
Tschechien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 695
pro 100.000 Einwohner: 7
Portugal
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 500
pro 100.000 Einwohner: 5
Die Flüchtlingskonferenz in Berlin ist daher eine Enttäuschung. Und auch eine Niederlage für den Bundesaußenminister. Steinmeier wird zwar international geschätzt. Er reist in Krisengebiete, spricht mit Freunden und Gegner. Doch große diplomatische Erfolge konnte der Deutsche bislang nicht vorweisen.
Länder mit der höchsten Zahl der Asylbewerber (2014)
Zypern
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 1.255
...pro 100.000 Einwohner: 145
Deutschland
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 126.705
...pro 100.000 Einwohner: 158
Belgien
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 21.030
...pro 100.000 Einwohner: 189
Ungarn
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 18.895
...pro 100.000 Einwohner: 190
Luxemburg
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 1.070
...pro 100.000 Einwohner: 199
Österreich
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 17.500
...pro 100.000 Einwohner: 207
Norwegen
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 11.930
...pro 100.000 Einwohner: 236
Schweiz
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 21.305
...pro 100.000 Einwohner: 265
Malta
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 2.245
...pro 100.000 Einwohner: 533
Schweden
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 54.270
...pro 100.000 Einwohner: 568
Auch im heimischen Berlin gelingt ihm kein großer Coup. Im Vorfeld der Konferenz ließ Steinmeier durchblicken, wie wichtig ihm dieses Thema sei.
Die Idee für die Konferenz sei ihm bei seinem Besuch im Libanon im Mai dieses Jahres gekommen, als er gesehen habe, welche Belastung die große Zahl der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge etwa für das Schulsystem oder die Wasserversorgung von Ländern wie Jordanien und den Libanon darstellten, sagte Steinmeier.
„Ich werde nie die Begegnung mit Flüchtlingskindern in einer Zeltsiedlung in der Bekaa-Ebene vergessen, mit ihren Augen, die voller Hoffnung waren und leuchteten“, schrieb Steinmeier in einem Beitrag auf den Internetseiten der SPD-Fraktion. „Diese Hoffnung auf eine Zukunft jenseits des Leids und der Verluste, die sie erlebt haben, dürfen wir nicht enttäuschen.“
Lampedusa – die Flüchtlingsinsel
Die kleine italienische Mittelmeerinsel Lampedusa südlich von Sizilien ist wegen ihrer Nähe zu Afrika seit Jahren für Bootsflüchtlinge das Tor nach Europa. Die Küste Tunesiens ist nur 130 Kilometer entfernt. Mit etwa 20 Quadratkilometern ist Lampedusa die größte der Pelagischen Inseln. Das Eiland hat etwa 5000 Einwohner.
Immer wieder wagen Migranten aus Nordafrika die gefährliche Überfahrt nach Europa. Ihre Boote sind oft kaum seetüchtig, viele Menschen sind schon ertrunken. Zwischen Juli 2008 und Juli 2009 erreichten mehr als 20 000 Einwanderer aus Nordafrika Lampedusa. Dann ließ die rigide Abschiebepolitik der damaligen Regierung von Silvio Berlusconi die Zahlen stark zurückgehen.
Nach dem Beginn der Umwälzungen in den arabischen Ländern schwoll der Flüchtlingsstrom 2011 erneut drastisch an. Zehntausende landeten auf Lampedusa. Die Lage eskalierte, als zeitweise bis zu 6000 Immigranten unter unerträglichen Bedingungen auf der Insel festsaßen.
Das offene Durchgangslager - es gibt kein geschlossenes Aufnahmezentrum mehr - hat nach Angaben des italienischen Flüchtlingsrates CIR knapp 400 Bettstellen. Manchmal sind dort aber mehr als 1000 Menschen. Vor zwei Jahren hatte ein Feuer einen Teil des Zentrums zerstört, der nur teilweise wiederaufgebaut wurde.
Nach einem Rückgang 2012 strandeten in der ersten Jahreshälfte 2013 nach offiziellen Zahlen 3648 Menschen auf Lampedusa - mehr als dreimal so viele wie im gleichen Vorjahreszeitraum. In den vergangenen Wochen verschärfte sich die Lage weiter.
Tatsächlich bleiben nun aber viele Fragen offen. Wie viel Geld fließt denn nun nach Jordanien, in den Libanon, in die Türkei und in den Irak? Wie viele Camps werden gebaut? Worauf dürfen die Flüchtlinge hoffen?
Die an Syrien angrenzenden Länder tragen die größte Last der Flüchtlingswelle. Günter Burckhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, hat bereits davor gewarnt, dass die Stimmung im Libanon zu kippen droht, mehr Flüchtlinge bald nicht mehr ins Land gelassen werden. Es komme daher umso mehr darauf an, dass finanzielle Mittel vor Ort „auch wirklich ankommt“.
Europa
Deutschland will mehr außenpolitische Verantwortung tragen. Das hatten Steinmeier und Kabinettskollegin Ursula von der Leyen auf der Münchener Sicherheitskonferenz gefordert. Militärische Hilfe scheidet weitestgehend aus.
Nur mit Mühe konnte sich die Bundesregierung etwa zu Waffenlieferungen an die Kurden in Syrien durchringen, die gegen die Terrororganisation ISIS kämpfen. Militärische Hilfe überlässt die Bundesregierung lieber den Amerikanern, Briten, Franzosen und anderen Nato-Partnern.
Deutschland hätte sich heute als guter Taktgeber für die Koordination der humanitären Hilfe einen Namen machen können. Steinmeier hätte die Hilfe orchestrieren können. Er hätte die Länder zusammen bringen, Zusagen koordinieren und die Vertreter zu moralischer Verantwortung ermahnen können.
Deutschland hat für die kommende drei Jahre 500 Millionen Euro für syrische Flüchtlinge zugesagt. Doch die gesamte Konferenz konnte sich nicht auf eine konkrete Summe an Hilfsgeldern einigen. Damit geht aus Berlin allenfalls ein schwaches Bekenntnis für Solidarität in die Welt.