Als Reaktion auf den anhaltenden Flüchtlingsstrom will Österreich eine Obergrenze für Asylsuchende einführen und die Grenzen stärker kontrollieren. In den kommenden vier Jahren sollten insgesamt 127.500 Hilfesuchende aufgenommen werden, kündigte Bundeskanzler Werner Faymann am Mittwoch nach einem Spitzentreffen mit den Bundesländern an. Seine deutsche Kollegin Angela Merkel setzt nach eigenen Worten weiter auf eine europäische Lösung für eine "spürbare und nachhaltige" Verringerung der Flüchtlingszahlen. Mitte Februar wolle sie eine Zwischenbilanz ziehen. Nach Ansicht von Bundespräsident Joachim Gauck wäre eine Begrenzung der Aufnahme von Migranten nicht "per se unethisch".
So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern
800 Euro zahlt das Land im Monat pro Flüchtling. Die Summe muss allerdings versteuert werden.
Quelle: EU-Kommission / Frontex, Stand: 18. September 2015
Die Spanne, die der Inselstaat für einen Asylbewerber zahlt, liegt zwischen 85 und 452 Euro pro Monat.
400 Euro pro Flüchtling / Monat.
352 Euro pro Flüchtling / Monat.
330,30 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 85 und 290 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 176 und 276 Euro pro Flüchtling / Monat.
232 Euro pro Flüchtling / Monat.
225 Euro pro Flüchtling / Monat.
187 Euro pro Flüchtling / Monat.
177 Euro pro Flüchtling / Monat.
66 Euro pro Flüchtling / Monat.
33,23 Euro pro Flüchtling / Monat.
20 Euro pro Flüchtling / Monat.
18 Euro pro Flüchtling / Monat.
12 Euro pro Flüchtling / Monat.
0 Euro pro Flüchtling / Monat.
Der Sozialdemokrat Faymann vermied es, von einer Obergrenze zu reden. Bei den knapp 130.000 Asylbewerbern handele sich vielmehr um einen Richtwert, der rund 1,5 Prozent der Bevölkerung entspreche. Sein konservativer Stellvertreter Reinhold Mitterlehner sprach dagegen von einer Obergrenze. SPÖ und ÖVP bilden auf Bundesebene die Regierungskoalition und kämpfen gegen die rechtspopulistische FPÖ, die Umfragen zufolge inzwischen stärkste Kraft im Land ist. Mitterlehner zufolge sollen auch Sozialleistungen gesenkt werden, um Österreich als Ziel von Einwanderern weniger attraktiv zu machen.
Steinmeier zeigt sich skeptisch mit Blick auf etwaige Grenzschließung
In diesem Jahr sollen in Österreich 37.500 Migranten aufgenommen werden. 2015 erhielten knapp 14.000 Personen einen positiven Bescheid. Von den insgesamt 90.000 Anträgen wurden damals aber nur etwa 36.000 bearbeitet. Was geschehen soll, wenn die Obergrenze überschritten wird, ist unklar. Dazu werden zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Faymann bezeichnete die Entscheidung als Notlösung, die auch zu einem "Aufrütteln in der EU" führen solle. Die Maßnahme sei im Grundsatz mit Merkel besprochen worden. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz äußerte Verständnis. Wer aber aus Syrien vor der Extremistenmiliz IS oder den Regierungstruppen fliehe, werde sich davon nicht abhalten lassen.
Seit dem Sommer wird auch in Deutschland an der Grenze zu Österreich verschärft kontrolliert. Die Bundespolizei weist seit einigen Wochen zudem verstärkt Personen ab, die nach eigenen Angaben kein Asyl in Deutschland beantragen, sondern nur durchreisen wollen oder keine gültigen Papiere haben. Nationale Maßnahmen wie Obergrenzen oder Grenzschließungen lehnt Merkel strikt ab. Sie will stattdessen die Beratungen auf EU-Ebene voranbringen.
Gauck: Begrenzung kann moralisch geboten sein
Die Ungeduld in der Unionsfraktion und vor allem bei der CSU nimmt allerdings zu. "Wir brauchen jetzt schnell einen Bremsklotz für den Flüchtlingsstrom", sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann der "Bild". CSU-Chef Horst Seehofer betonte im bayerischen Wildbad Kreuth: "Es wird immer enger. Wir müssen das Problem jetzt lösen." Wenn Österreich eine Obergrenze einführe, kämen noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Generalsekretär Andreas Scheuer forderte eine solche Obergrenze auch für die Bundesrepublik.
Reaktionen zu möglichen Grenzschließungen
Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverband BGA, warnt im "Tagesspiegel" vor Grenzschließungen. Rund 70 Prozent des deutschen Außenhandels würden innerhalb Europas abgewickelt. "Vor diesem Hintergrund werden sich die Kosten alleine für die internationalen Straßentransporte um circa drei Milliarden Euro verteuern."
"Durch Staus und Wartezeiten, zusätzliche Bürokratie oder zum Beispiel die Umstellung von Just-in-time-Lieferung auf deutlich teurere Lagerhaltung können sich die Kosten für die deutsche Wirtschaft schnell auf zehn Milliarden Euro pro Jahr summieren", mahnt DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben.
Der Vize-Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), sagte der "Rheinischen Post": „Die Schließung der deutschen Grenzen wäre ein Debakel für die Flüchtlinge, für die Wirtschaft, aber auch für Millionen Pendler und Urlauber.“
"Verstärkte Kontrollen ist was anderes, aber eine komplette Schließung ist absolut illusorisch. Und man sollte den Leuten da keine Scheinlösungen anbieten“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im Deutschlandfunk.
"Wenn die Grenzen geschlossen würden, ist Schengen gefährdet. Das hat ebenfalls große Auswirkungen auf Deutschland, auf Arbeitsplätze in Deutschland", sagte der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet.
Am Abend nahm Merkel an der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Kreuth teil. Bei ihrer Ankunft verwies sie auf Beratungen mit der Türkei, eine Geberkonferenz für Syrien Anfang Februar und den für Mitte Februar geplanten EU-Gipfel. "Danach können wir eine Zwischenbilanz ziehen ... und dann sehen wir, wo wir stehen." Was passiert, wenn dann die Zahl der ankommenden Flüchtlinge nicht weiter gesunken ist, ließ sie offen.
Merkel und die Union sinken in Umfragen immer weiter. Einer Erhebung für "Stern" und RTL zufolge gilt die CDU-Chefin nur noch für 44 Prozent als bevorzugte Besetzung für das Kanzleramt. Das sind vier Punkte weniger als in der Vorwoche. Bei einer Bundestagswahl würden 37 Prozent die Union wählen. Auch in anderen Erhebungen hatten CDU und CSU Federn lassen müssen.
Bundespräsident Gauck sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: "Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten." Sie könne auch geboten sein, um Unterstützung für eine menschenfreundliche Aufnahme der Flüchtlinge zu sichern.
Deutschland versucht auch mit mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, Entlastung zu schaffen. Insgesamt mussten nach Zahlen des Innenministeriums im vergangenen Jahr 20.888 Ausländer das Land verlassen - das waren in etwa doppelt so viele wie 2014. 37.220 Migranten verließen zudem freiwillig die Bundesrepublik. Allerdings galten Ende November mehr als 200.000 Personen als ausreisepflichtig, 150.000 wurden geduldet.