Flüchtlingspolitik Östliche EU-Länder gegen Merkels Vorgehen

Merkel droht beim anstehenden EU-Gipfel so etwas wie die Stunde der Wahrheit in der Flüchtlingspolitik. Der Widerstand gegen ihren Kurs wächst. Kann die Kanzlerin die Fliehkräfte in der EU noch beherrschen?

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Der slowakische Regierungschef Robert Fico. Quelle: AP

Vier östliche EU-Staaten machen vor dem Gipfeltreffen in Brüssel gemeinsam Front gegen die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit einem Treffen in Prag suchen Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei zur Abschottung der Balkan-Route den Schulterschluss mit dem Nicht-EU-Mitglied Mazedonien. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die vier Länder der sogenannten Visegrad-Gruppe davor, in der Flüchtlingskrise zu einem „Verein der Abtrünnigen“ zu werden.

Falls Griechenland und die Türkei den Zustrom nicht begrenzen könnten, bestehe die Möglichkeit, „die illegale Wirtschaftsmigration an den Grenzen von Mazedonien und Bulgarien aufzuhalten“, sagte der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka vor dem Treffen. Griechenland, wo seit dem Sommer Hunderttausende Flüchtlinge angelandet sind, ist nicht beteiligt. Athen befürchtet nun, dass Mazedonien seine Grenze bald schließen könnte, so dass die meisten Flüchtlinge in Griechenland bleiben würden.

Luxemburgs Außenminister Asselborn wies am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel darauf hin, dass die Visegrad-Länder in der Vergangenheit selbst viel Solidarität erfahren hätten. Sollten sie sich nun in der Flüchtlingskrise abschotten, werde es in Brüssel sehr schnell eine Debatte darüber geben, dass alle, die Solidarität erfahren, auch Solidarität zurückgeben müssten. Deutschland ist der größte Nettozahler in der EU. Länder wie Polen und Ungarn gehören zu den größten Nettoempfängern von EU-Geldern.

Länder mit der niedrigsten Aufnahmequote (2014)

Die Länder der vor 25 Jahren gegründeten Visagrad-Gruppe wehren sich gegen Umverteilungspläne und lehnen es wie auch andere EU-Staaten ab, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen. Kanzlerin Merkel will erreichen, dass zumindest mittelfristig ein Teil der in der Türkei ankommenden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf EU-Staaten verteilt wird.

SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor nationalen Alleingängen zur Begrenzung der Flüchtlingszahl. „Es ist Unsinn, so zu tun, als sei das ein deutsches Problem“, sagte Gabriel in Mainz. „Es ist ein europäisches Problem, und wir müssen es europäisch angehen und nicht unter der Überschrift handeln: Rette sich wer kann, jeder sucht sein Heil in der nationalen Politik.“ Gabriel forderte mehr Solidarität: „Dann nehmt doch wenigstens mal die 160.000 (Flüchtlinge) in die Verteilung, davon sind derzeit, glaube ich, gerade mal 400 in der Verteilung.“

Dem Eindruck eines deutsch-französischen Konflikts in der Flüchtlingsfrage trat am Montag Regierungssprecher Steffen Seibert entgegen. Premierminister Manuel Valls hatte am Wochenende betont, Frankreich habe versprochen, 30.000 dieser 160.000 Flüchtlinge aufzunehmen, keinesfalls aber mehr. Dazu sagte Seibert: „Es herrscht große Übereinstimmung zwischen Frankreich und Deutschland.“ Er begrüßte, dass Frankreich damit zu seinen Verpflichtungen stehe.

Die EU sagte Mazedonien am Montag zehn Millionen Euro zu. Die Unterstützung solle nicht zum Bau eines Zaunes beitragen, teilte die EU-Kommission am Montag mit. Es gehe darum, Grenzen zu kontrollieren, nicht, sie zu schließen.

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) setzt ungeachtet skeptischer Signale mehrerer Partnerländer auf einen Durchbruch für ein europäisches Vorgehen beim EU-Gipfel. „Ich glaube, dass es wichtige Bausteine am Donnerstag geben wird“, sagte er am Montag in Berlin.

Die CDU schwächt nach scharfen Protesten einen Vorstoß zu Mindestlohn-Ausnahmen für Flüchtlinge ab. Lohnabstriche fordert sie nun noch bei Praktika. Das sieht ein Integrationskonzept mit Anreizen und Drohungen vor, das der Bundesvorstand unter Leitung von Merkel beschloss. Ursprünglich sollten Asylberechtigte in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung - wie Langzeitarbeitslose - keinen Mindestlohn bekommen. Dies stieß bei SPD, Opposition, Gewerkschaften und auch bei CDU-Sozialexperten auf Widerstand.

Die CSU, die sich seit längerem auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin befindet, will ihr weiteres Vorgehen von den Ergebnissen des EU-Gipfels abhängig machen. Nach dem Treffen würden er und die Kanzlerin für die Union miteinander reden und eine Zwischenbilanz ziehen, sagte CSU-Chef Horst Seehofer am Montag vor einer Parteivorstandssitzung in München. „Wenn auf dem Gipfel keine wirksamen Beschlüsse erreicht werden, muss national gehandelt werden“, forderte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

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