Drapetsona? Eigentlich zieht es keinen nach Drapetsona. Der Stadtteil nördlich von Piräus hat eine der höchsten Arbeitslosenquoten Griechenlands – eine von Armut und sozialem Elend heimgesuchte Problem-Gemeinde. Wer auf einer der Fähren zu schicken Ägäisinseln wie Mykonos, Paros oder Santorin fährt, sieht das schäbige Drapetsona bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Piräus rechts liegen: Fabrikruinen, alte Getreidesilos, tote Schornsteine, rostige Öltanks, wilde Müllkippen.
Und doch fragt man sich: Warum liegt hier eigentlich alles brach? Ist das nicht eine 1A-Lage? Hat dieses riesige Areal am größten Passagierhafen des Mittelmeeres vielleicht ein ungeahntes Potenzial?
Athanasios Papatheodorou hat eine Vision. Er sieht Drapetsona als das Monaco Griechenlands: 5-Sterne-Hotels, eine Marina für über hundert Jachten, Luxusläden, Restaurants, ein Spielcasino.
Und die Piste: Hier soll Griechenlands erster Formel-1-Kurs entstehen. Die Pläne hat der Athener Architekt bereits in der Schublade: zehn Rechtskurven, 13 Linkskurven. 5200 Meter lang ist der Kurs, den die Formel-1-Piloten gegen den Uhrzeigersinn umrunden sollen.
So schlug sich Griechenland 2013
Zuletzt konnte die Regierung von Präsident Samaras einen weiteren Sparhaushalt verabschieden. Eine eigene Mehrheit hat die Regierung im Parlament aber nicht mehr. Da die Opposition in sich völlig gespalten ist, droht dennoch keine unmittelbare Entmachtung. Öffentliche Proteste sind seltener geworden.
Note: 4
Wichtige Punkte sind weiter ungelöst: Die Öffnung der geschlossenen Berufe kommt nicht voran, die Privatisierung stockt. Hier und da gibt es aber kleine Erfolge, etwa beim Verkauf des Athener Flughafens
Note: 4
Erstmals wird ein Primärüberschuss erzielt. Der geht aber größtenteils auf das Konto der Staatsanleihekäufe durch die EZB. Dennoch ist das mehr, als die meisten Beobachter noch vor wenigen Monaten erwartet hätten.
Note: 3
Griechenland bleibt ein Euro-Sorgenkind. Doch es werden Fortschritte sichtbar, auch wenn das Land weiter voll und ganz von der Gnade der anderen Euro-Länder abhängt.
Note: 4+
Schon in drei Jahren könnte das erste Rennen starten. Formel-1-Boss Bernie Ecclestone hat bereits angebissen: „Die Griechen haben Möglichkeiten“, sagt er. Nun müsse man nur noch sehen, „ob sie irgendwelches Geld haben“, so der 83-jährige Geschäftsführer der Formel-1-Holding SLEC.
„Wir sind in Kontakt mit Ecclestone“, sagte Papatheodorou gegenüber Handelsblatt Online. Der Formel-1-Boss halte die Pläne für realistisch. Träger der Initiative ist die Gesellschaft „Dielpis Formula 1“, hinter der neben Papatheodorou mehrere Politiker, Motorsportfunktionäre, Geschäftsleute vor allem aus der Autobranche, aber auch ein Reeder und drei Ärzte stehen. Der griechische Automobilklub Elpa ist ebenfalls mit an Bord.
Griechenlands Schwächen
Griechenlands Ruf hat in der Euro-Krise arg gelitten. Nur zwei der 60 getesteten Staaten haben ein schlechteres Image als der Pleitestaat. Die Folge: Investoren meiden das Land, die Kreditwürdigkeit ist mies.
Nur 5,7 Prozent der gefragten Experten bescheinigten Griechenland, eine kompetente Regierung zu haben. In der Tat hat es Athen nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen (Rang 60), für Wachstum zu sorgen (Rang 60) und die öffentlichen Finanzen auf Vordermann zu bringen.
Auch bei der Bildung und Weiterbildung der Bürger hat Griechenland großen Nachholbedarf. Fortbildung von Angestellten gibt es quasi nicht (Platz 58), auch die Qualität der Universitäten ist schlecht (Rang 51). Demzufolge gibt es auch wenige Forscher und Wissenschaftler (Rang 49). Besser schneidet der Krisenstaat bei der Frühförderung ab: Es gibt eine Vielzahl von Lehrern, die Klassen sind sehr klein (Rang 2).
Papatheodorou veranschlagt die Baukosten für das Projekt auf rund 800 Millionen Euro. Einschließlich der Lizenzgebühren dürften die Kosten rund eine Milliarde erreichen, meint der 53-Jährige. Mit staatlichen Geldern kann er nicht rechnen, das weiß der Architekt und Motorsportfan Papatheodorou. Schließlich hängt Griechenland am Tropf internationale Kreditgeber, muss an allen Ecken und Enden sparen.
Der griechische Finanzminister Gikas Hardouvelis dämpfte gerade erst hohe Erwartungen an eine Lockerung des Spardiktats. Die Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) könne keine Entscheidungen auf politischer Ebene treffen, hatte der oberste Kassenhüter am Vorabend eines Treffens gesagt. Nach Informationen aus Regierungskreisen will Athen der Troika in Paris deutlich machen, dass die Bürger keine weiteren Belastungen mehr aushalten könnten. Die Konsolidierungsziele könnten nur noch mit Wachstum erzielt werden.
Die Rennstrecke als Riesenchance
Steuergelder für eine Rennstrecke – das geht also gar nicht. Man sei aber bereits mit mehreren möglichen Investoren im Gespräch, sagte Papatheodorou Handelsblatt Online. Die Verhandlungen befänden sich in einem fortgeschrittenen Stadium und es gebe „sehr gute Aussichten, innerhalb des nächsten Monats zu einer Einigung zu kommen“.
Pläne für eine griechische Grand-Prix-Piste gab es bereits in den 1950er Jahren. Neben Fußball und Basketball gehört der Motorsport zu den großen Leidenschaften der Griechen – vielleicht gerade weil die Massenmotorisierung erst in den 1970er Jahren einsetzte und sich die meisten Griechen lange kein eigenes Auto leisten konnten.
Wenn man schon nicht selbst am Steuer sitzen kann, will man wenigstens zusehen: Die Geschichte der Rally Akropolis geht zurück bis ins Jahr 1951. Noch 1963 gab es Griechenland erst 68.000 PKW. 1976 waren es bereits 510.000 - heute sind es übrigens fünf Millionen. Damit hat statistisch fast jeder zweite Grieche ein Auto.
Rund ein Dutzend Standorte waren über die Jahrzehnte für einen Formel-1-Kurs im Gespräch, darunter Serres und Thessaloniki im Norden des Landes, Patras im Westen, die Provinz Böotien und Megara in Attika. Keines der Projekte kam aus den Startlöchern. Aber noch nie waren die Pläne so detailliert und so weit fortgeschritten wie jetzt, und erstmals ist nun nicht nur Formel-1-Chef Ecclestone eingebunden. Auch die Politik zieht mit: Ministerpräsident Antonis Samaras unterstützt das Projekt, so ein Schreiben des Premiers an den Bürgermeister von Drapetsona vom 9. April 2014.
Für die kleine Vorstadtgemeinde wäre die Rennstrecke eine Riesenchance. Drapetsona ist eine Krisen-Kommune: Die Arbeitslosenquote liegt bei gefühlten 50 Prozent. Jeder zehnte Einwohner geht zu den Armenspeisungen. Dabei schlug in den 1930er Jahren in Drapetsona das industrielle Herz der Region. Heute ist von der einstigen Blüte nicht viel übrig: Die Ruinen eines Düngemittelwerkes, die Reste einer Zementfabrik und eines Mühlenbetriebs. Der Schlot eines längst stillgelegten Kraftwerks ragt in den Himmel, riesige Öltanks rosten vor sich hin.
Doch diese verfallenen Industriebauten könnten eine großartige Kulisse hergeben für die geplante Rennstrecke, glaubt Architekt Papatheodorou. Er denkt an ein Technikmuseum, Sportanlagen, einen Freizeitpark und Kongresshallen, um den Komplex das ganze Jahr über nutzen zu können – der wichtigste Schlüssel für die Rentabilität des Projekts. Als einen weiteren Standortvorteil sieht er die unmittelbare Nachbarschaft zum Hafen von Piräus, wo im Sommer täglich mehrere Kreuzfahrtschiffe festmachen, und die Nähe zu Athen, das ab 2017 dank einer neuen U-Bahn-Linie nur noch 20 Minuten von Piräus entfernt sein wird.
Platz für mehr als hunderttausend Besucher
Bis dahin soll auch die Rennstrecke fertig sein. „Ich rechne mit zweieinhalb bis drei Jahren Bauzeit“, sagte Papatheodorou Handelsblatt Online. Der Kurs nutzt zu 70 Prozent bestehende Straßen, die nur aufgewertet werden müssen. „Das spart Zeit und Baukosten“, so der Architekt. Auf den Tribünen sollen 130.000 Besucher die Rennen verfolgen können.
Der Verkauf der Tickets dürfte kein Problem sein. Wenn es nach Benzin riecht und die Motoren aufheulen, sind die motorsportbegeisterten Griechen schnell zur Stelle. Es liegt ihnen wohl im Blut: Geschwindigkeit sei so etwas wie ein Leitmotiv schon der alten Hellenen gewesen, erklärt Athanassios Papatheodorou.
Er verweist auf die Pferderennen der Antike, aber auch auf die Trieren, die schnellen Kriegsschiffe, mit denen die Allianz der griechischen Stadtstaaten 480 vor Christus in der Seeschlacht von Salamis die persische Flotte besiegte – übrigens vor der Küste von Drapetsona.
Themistokles war damals der kommandierende General. Er überredete die zaudernden Griechen, doch noch gegen die zahlenmäßig weit überlegene persische Flotte zu kämpfen. Die Griechen gewannen die Schlacht – ein Wendepunkt der Weltgeschichte. Nach dem siegreichen Feldherren soll die geplante Rennstrecke denn auch benannt werden: Themistokles-Kurs.