Fossile Energiewirtschaft Polens (uns)innige Liebe zur Kohle

Nirgends produziert Europa so viel Steinkohle wie in Polen – trotz niedriger Preise hält das Land eisern daran fest. Wer die Gründe dafür sucht, lernt viel über das Selbstverständnis eines stolzen Landes.

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Kohlebergwerk Sosnica-Makoszowy. Quelle: dpa

Montag, kurz vor fünf, gleich ist Schichtwechsel im Steinkohlebergwerk von Makoszowy. Im namenlosen Krämermarkt an der Straße, die vom Dorf ins Zentrum der südpolnischen Stadt Zabrze führt, holen sich die Männer der Spätschicht ihre Butterbrote ab. Die ersten Kumpel der Tagschicht kaufen ihr Feierabendbier.

Krysztof, ein Mitt-Zwanziger mit Narbengesicht, hat die erste Bierflasche noch nicht geöffnet, da platzt es schon aus ihm heraus: „Die EU macht unsere Bergwerke kaputt“, sagt er, „sie zwingen unsere Regierung zur Schließung.“ Ein Drittel der 2000 Arbeiter habe man entlassen. Sein Kollege Grzegorz sagt, auf der Grube stehe schon ein unsichtbares Kreuz, die Stilllegung der Grube sei beschlossene Sache. Er nimmt einen tiefen Zug seiner Zigarette, dann will er eine Warnung loswerden: „Wenn sie uns anrühren, werden wir mit unseren Spitzhacken wieder nach Warschau ziehen.“

Vollbremsung in der Klimapolitik

Es sieht so aus, als sei das erst einmal gar nicht nötig. Polens rechtspopulistische Regierung beschloss vor wenigen Tagen ein neues Energiegesetz. Es reduziert die Rolle erneuerbarer Ressourcen im polnischen Energiemix und ermöglicht den zu 95 Prozent mit Kohle arbeitenden Stromherstellern, sich mit dem Erwerb nationaler „grüner Zertifikate“ von Strafen für hohe Schadstoffemissionen freizukaufen.

Es ist die Vollbremsung in der Klimapolitik: Die Bestandsgarantie für die Kohlegruben widerspricht völlig den EU-Klimaschutzzielen. Polen produziert rund 330 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – fast so viel wie die ökonomisch weitaus stärkeren Franzosen. Aber das interessiert in Warschau kaum jemanden.

Schadet Populismus der polnischen Wirtschaft?

Polen und die Kohle – das ist ein besonderes Verhältnis, das viel mit dem Selbstverständnis in einem stolzen Land zu tun hat. Zurück ins Dorf Makoszowy. Es ist keine leere Drohung, wenn Bergmann Grzegorz für den Fall einer Schließung mit der Spitzhacke in die Hauptstadt ziehen will. Bei Bergarbeiter-Protesten, zu denen es in den vergangenen Jahren häufiger kam, fliegen oft Steine in die Fensterscheiben von Energie- und Wirtschaftsministerium. Die Bergleute, deren Löhne nach jenen im Finanz- und IT-Sektor die höchsten sind, fürchten um ihre Privilegien – inklusive der frühen und gut bezahlten Rente.

Niemand legt sich mit Gewerkschaften an

Hinzu kommt, dass die Interessen der Bergleute gut organisiert sind. Allein rund um den Schacht von Zabrze-Makoszowy tummelt sich ein gutes Dutzend teils schlagkräftiger Gewerkschaften. Die meisten halten gute Drähte in die polnische Politik. Niemand legt sich gern mit den Arbeitnehmervertretern an. Deren Schlagkraft ist spätestens seit den Zeiten der Danziger Werftproteste bekannt, die letztlich mit zum Niedergang des Sozialismus in Polen beigetragen haben.

Bergleute mögen mobilisieren können, aber ihr Beitrag zur Volkswirtschaft hält sich in engen Grenzen. Einer Studie des Warsaw Institute for Economic Studies (WISE) trugen die Gruben im Jahr 2013 nur mehr 1,1 Prozent zum polnischen Bruttoinlandsprodukt bei. Im Schnitt pro Jahr nur 648 Tonnen – selbst tiefere Bergwerke des Ruhrpotts waren bis zur Stilllegung produktiver, in US-Minen ist die Produktivität gar achtmal höher.

Dass die Bergwerke entweder direkt subventioniert werden oder als Töchter staatlicher Energiekonzerne ihre Verluste an den Staat weitergeben, frisst nach Schätzungen von Aleksander Laszek, dem Chefökonom des Civil Development Forum in Warschau, ein Loch im Umfang bis zu einer halbe Milliarde Euro in den Haushalt.

Schließung der Minen ist nicht geplant

Natürlich gab es in den vergangenen Jahren Versuche, die polnischen Bergwerke zu sanieren. Die meisten Minen sind staatlich, die rechtsliberale PO-Regierung um den heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk parkte die unrentabelsten in einer Auffanggesellschaft und ließ Entlassungen zu. Das ist auch der Grund für den Frust der Bergleute Krysztof und Grzegorz, denn ihre Mine in Makoszowy zählt weiterhin zu ihrer Auffanggesellschaft. In Betrieb ist sie immer noch – nicht einmal die PO-Regierung konnte sich zur Schließung durchringen. Sie verdonnerte gar die Energiekonzerne zum Vorratskauf der Kohle, damit wenigstens während des Wahlkampfs die Arbeit weitergeht und die Bergleute bestenfalls für PO stimmen.

Energiesicherheit ist Polen wichtig

Die Rechnung ging nicht auf. Die Kohle-Kumpel wählte wie viele andere frustrierte Polen die Populisten-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ in die absolute Mehrheit. Deren Regierung um Beata Szydlo denkt nicht daran, die Restrukturierung fortzusetzen, sondern geht sogar noch einen Schritt weiter: Geplant ist die Übernahme von Kohlegruben durch staatliche Energieversorger, mit der bereits die Vorgängerregierung begonnen hatte. Politisch hätte dies zwei positive Effekte: Erstens würde es die Existenz der Gruben sichern, die fortan exklusiv für die Verstromer fördern würden. Zweitens wären die Erzeuger gezwungen, auf den Import der (billigeren) Kohle aus Russland zu verzichten.

Für die Polen spielt schließlich auch die Frage der Energiesicherheit eine besonders große Rolle. In diesem stolzen Land schätzt man die Unabhängigkeit, die Polen wollen keineswegs in Abhängigkeit vom Erzfeind Russland geraten – und schon gar nicht bei der Kohle, die im heimischen Grund und Boden liegt. „Die Politiker in unserem Lande glauben allen Ernstes, dass das Festhalten an der Kohle im besten Interesse Polens ist“, sagt Marcin Popkiewicz, Präsident der Energie-Denkfabrik ASPO in Warschau.

Im Bergbau gibt es viele Wähler

Doch was politisch sinnvoll scheint, ist nicht immer zugleich wirtschaftlich: Die Förderung der heimischen Steinkohle koste im Schnitt 100 Dollar pro Tonne, sagt Energie-Fachmann Popkiewicz, die wesentlich wettbewerbsfähigere Importkohle sei für 40 Dollar am Markt zu haben. Die Verluste müssen die staatlichen Energieversorger in ihre Bilanzen stellen – und das verbrannte Geld fehlt, um den veralteten Kraftwerkspark zu erneuern. So riskiert Polen Stromausfälle, und dass die Verbraucherpreise steigen, scheint ebenfalls gewiss.

Neben Protestangst und Unabhängigkeitsdrang gibt es freilich noch ein ganz praktisches Argument, weshalb die polnischen Regierungen an ihrer Kohle festhalten: im Bergbau gibt es viele Wähler. Polen ist der achtgrößte Kohle-Produzent der Welt und mit Abstand der größte in Europa; rund 100.000 arbeiten in Polen untertage, plus Familie. Die meisten haben für die Populisten der PiS-Partei gestimmt. Regierungschefin Szydlo, selbst Tochter eines Bergmanns, gab der Branche im Wahlkampf eine Bestandsgarantie.

Dies dürfte allerdings nur schwer durchzusetzen sein. Im November 2015 wurde in Paris ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen unterzeichnet. Sobald es ratifiziert ist, dürfte die EU Druck auf die Mitgliedsstaaten machen, den Schadstoffausstoß zu senken. Polen dürfte Strafen drohen – etwa die Kürzung der Strukturfördermittel. Bereits für den Zeitraum von 2014 bis 2020 ist der Großteil der Mittel von 82,5 Milliarden Euro zweckgebunden für moderne Technologien und erneuerbare Energien.

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