Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bei der Parlamentswahl seinen Sprint an die Macht fortgesetzt. Seine junge Partei gewann am Sonntag aus dem Stand den ersten Wahlgang und steuert auf eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zu. Laut Meinungsforschern kann das Macron-Lager bei der entscheidenden Runde mit 400 bis 455 der insgesamt 577 Sitzen rechnen.
Nun beginnt der Wahlkampf für die Stichwahlen am kommenden Sonntag. Macron kann damit eine breite Basis für sein Reformprogramm erwarten, mit dem er Frankreichs Wirtschaft ankurbeln will. Gut einen Monat nach seiner Wahl zum Staatschef ist die erste Runde der Parlamentswahl eine weitere herbe Niederlage für die traditionellen Regierungsparteien der Sozialisten und der bürgerlichen Rechten.
Die katholische Zeitung „La Croix“ sprach am Montag auf ihrer Titelseite von einer „Macron-Welle“. Überschattet wurde das Ergebnis allerdings von einem Negativ-Rekord bei der Wahlbeteiligung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete das Resultat als „starkes Votum für Reformen“. „Kanzlerin Merkel: Mein herzlicher Glückwunsch an @EmmanuelMacron zum großen Erfolg seiner Partei im 1. Wahlgang“, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron
Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.
An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.
Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.
Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind geplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und Gesundheitswesen geplant.
60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.
In Gegenden mit niedrigem Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Mobiltelefone in Schulen sollen für Kinder bis 15 Jahren verboten werden. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.
Nach vollständiger Auszählung kamen Macrons Partei und ihre Verbündeten auf rund 32,3 Prozent. Wegen des Mehrheitswahlrechts können sie damit auf eine historische Zahl an Abgeordneten hoffen. Macron dürfte eine so breite Mehrheit in der Nationalversammlung bekommen wie keiner seiner Vorgänger in der Geschichte der Fünften Republik, die 1958 gegründet wurde. La République en Marche trat erstmals bei der Parlamentswahl an.
In fast allen 577 Wahlkreisen fällt die endgültige Entscheidung erst in einer Stichwahl zwischen den stärksten Kandidaten. Pro Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt, im ersten Wahlgang braucht es für einen Sieg die absolute Mehrheit - das schafft kaum jemand.
Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte
Wichtig ist der Erfolg Macrons vor allem deswegen, weil sonst Marine Le Pen Staatschefin geworden wäre. Die Rechtspopulistin hatte im Wahlkampf für eine Abkehr Frankreichs von der Europäischen Union und vom Euro geworben. Ein EU-Austritt Frankreichs würde das komplette europäische Einigungsprojekt infrage stellen - vor allem vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits.
Frankreich ist nach Deutschland das bevölkerungsreichste EU-Land. Zudem wird es nach dem Brexit das einzige EU-Land mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Auch die Wirtschaftleistung ist enorm.
Macron will sich für tiefgreifende Reformen der Union einsetzen. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Zudem spricht er sich für europäische Mindeststandards in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung aus.
Macron sagt: „Ich bin ein Pro-Europäer.“ Er verteidige die europäische Idee und die europäische Politik, weil er glaube, „dass sie sehr wichtig für die französische Bevölkerung und für unser Land in Zeiten der Globalisierung sind.“
Auf absehbare Zeit gering. Vieles, was Macron fordert, wird in der EU schon seit langem diskutiert. Mangels Einigkeit gab es allerdings kaum Fortschritte. In Brüssel wird darauf gehofft, dass sich das nach dem für 2019 vorgesehenen EU-Austritt Großbritanniens ändern könnte. Macron warnt davor, sich zuviel Zeit zu lassen. Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der „Frexit“ (Austritt Frankreichs) oder ein weiteres Erstarken der Front National.
„Ich bin überzeugt, das Emmanuel Macron ein guter Partner für Deutschland sein wird.“ Mit diesen Worten hatte Frankreichs scheidender Präsident François Hollande in der vergangenen Woche auf den möglichen Wahlsieg seines früheren Wirtschaftsministers geblickt. Das dürfte jedoch nicht heißen, dass Macron immer ein leichter Partner sein wird.
Das ist schwer zu sagen. Macron selbst sagt, er sei „weder rechts noch links.“ Im Wahlkampf bekam der frühere Sozialist deswegen sowohl von Unionspolitikern als auch von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Unterstützung. Kanzlerin Merkel sagte jüngst mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Macrons: „Sein Erfolg wäre ein positives Signal für die politische Mitte, die wir ja auch hier in Deutschland stark halten wollen.“ Nachdem Merkel ihn im März im Kanzleramt empfangen hatte, sprach Macron von „großer Übereinstimmung“.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte schon einmal selbstbewusst fest: Macron als Präsident in Frankreich und „ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ würden die Reform der EU in Angriff nehmen. Für Schulz etwas misslich ist nur, dass er sich in der ersten Wahlrunde für Benoît Hamon von den französischen Sozialisten stark gemacht hatte. Der Kandidat der SPD-Schwesterpartei PS war dort mit einem deutlich linkeren Programm angetreten als Macron und klar gescheitert.
Abgesehen von der Reform der Euro-Zone vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Macron ist - wie US-Präsident Donald Trump - ein scharfer Kritiker des deutschen Exportüberschusses. Neulich sagte er: Deutschland müsse zu der Einsicht kommen, „dass seine wirtschaftliche Stärke in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar ist“. Deutschland profitiere vom Ungleichgewicht in der Eurozone und erziele sehr hohe Handelsüberschüsse. „Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden.“
Der deutsche Exportüberschuss könnte zum Beispiel abgebaut werden, indem die Bundesregierung die Überschüsse im Bundeshaushalt nutzt, um mehr zu investieren, etwa in den Straßenbau. Zudem fordern manche Ökonomen, dass die Löhne in Deutschland stärker steigen müssten, um die Binnennachfrage zu stärken. Die Kaufkraft ließe sich auch über Steuersenkungen erhöhen.
Die bürgerliche Rechte um die konservativen Republikaner kam auf etwa 21,6 Prozent und kann laut dem Institut Ipsos mit 70 bis 110 Mandaten rechnen. Einen dramatischen Absturz legten die Sozialisten von Macrons Vorgänger François Hollande hin, die bislang die Nationalversammlung dominiert hatten. Sie kamen nur noch auf 7,4 Prozent, auch gemeinsam mit nahestehenden Kandidaten reichte es nicht für ein zweistelliges Ergebnis.
Auch die Kräfte rechts- und linksaußen blieben schwächer als nach der Präsidentenwahl gedacht. Die Front National von Rechtspopulistin Marine Le Pen kam auf gerade 13,2 Prozent. Das Ziel, erstmals seit 1988 eine Fraktion bilden zu können, dürfte damit hinfällig sein, die nötigen 15 Abgeordneten sind außer Reichweite - ein Misserfolg nach dem deutlich besseren Ergebnis Le Pens bei der Präsidentenwahl. In ihrem eigenen Wahlkreis in Nordfrankreich liegt sie aber weit vorn und hat Chancen, erstmals in die Nationalversammlung zu kommen.
Die Linkspartei La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon kam auf knapp 11 Prozent. Gegner Macrons warnten am Sonntag vor einer zu großen Mehrheit für dessen Partei und riefen dazu auf, im zweiten Wahlgang die Opposition zu stärken. Nur jeder zweite Franzose ging am Sonntag ins Wahllokal, so wenige wie noch nie bei einer Parlamentswahl in der Fünften Republik.
Auch bei einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung würde Macrons Lager nicht das ganze Parlament dominieren. Im Senat als zweiter Kammer hat die bürgerliche Rechte das Sagen. Die Senatoren reden bei der Verabschiedung von Gesetzen mit - allerdings sitzt die Nationalversammlung letztlich am längeren Hebel.