Nicolas Sarkozy gab sich, wie man ihn kennt – markig und provokant. "Die Frage ist heute nicht, ob es ein nächstes Attentat geben wird - sondern wann", sagte er am Donnerstagabend bei der TV-Debatte mit Konkurrenten der Partei "Les Républicains" (LR). Es war die erste TV-Debatte in deren Wettstreit um die Spitzenkandidatur für die französische Präsidentschaftswahl 2017.
So schürte Sarkozy die Angst vor neuem Terror. Um den zu bekämpfen, will er mutmaßliche Islamisten sogar vorsorglich in Haft nehmen, also ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Ein Tabubruch in Europa.
Sein schärfster Herausforderer, Ex-Premier Alain Juppé, erinnerte den stürmischen Sarkozy auf der Bühne daran, dass in Frankreich noch immer der Rechtstaat gelte. Also müsse ein Richter über Internierungen entscheiden.
Frankreich und der Terror
Am französischen Nationalfeiertag am 14. Juli rast in der Hafenstadt Nizza ein Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge. Mindestens 84 Menschen werden getötet, mehr als 200 verletzt.
Am 26. Juli haben in Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie zwei Geiselnehmer einen Priester getötet, ein weiteres Opfer schwebt in Lebensgefahr. Die mutmaßlichen Täter wurden getötet. Der IS reklamierte die Tat über sein Sprachrohr Amak für sich.
Ein Mann ersticht in Magnanville westlich von Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin. Die Polizei erschießt den Täter, der sich zuvor zum IS bekannt hatte.
Am Jahrestag der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ schießen Polizisten vor einem Pariser Kommissariat einen Mann nieder. Er war mit einem Messer bewaffnet und trug die Attrappe einer Sprengstoffweste.
Bei einer koordinierten Anschlagsserie in Paris töten IS-Extremisten 130 Menschen. In der Konzerthalle „Bataclan“ richten sie ein Massaker an, Bars und Restaurants werden beschossen, am Stade de France sprengen sich während des Fußball-Länderspiels Frankreich-Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft.
Ein 25-jähriger Islamist wird im Thalys-Schnellzug auf dem Weg von Brüssel nach Paris bei einem Anschlagversuch mit einem Schnellfeuergewehr von Fahrgästen überwältigt. Zwei Zuginsassen werden verletzt.
Bei einem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris werden zwölf Menschen ermordet. Die beiden islamistischen Attentäter Chérif und Said Kouachi kommen zwei Tage später bei einer Polizeiaktion nordöstlich von Paris um. Der Islamist Amedy Coulibaly, der die Brüder Kouachi kannte, erschießt bei Paris eine Polizistin und nimmt mehrere Geiseln in einem jüdischen Supermarkt. Er tötet dort vier Menschen, bevor er von der Polizei erschossen wird.
Die Gruppe Jund al-Khilafa („Soldaten des Kalifats“), ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, enthauptet einen in Algerien entführten französischen Touristen.
In Mali werden zwei Mitarbeiter von Radio France Internationale (RFI) entführt und ermordet. Die Terrororganisation Al-Kaida im islamischen Maghreb bekennt sich zur Tat. Zuvor hatte sich die Gruppe dazu bekannt, eine andere französische Geisel getötet zu haben.
Ein Serien-Attentäter erschießt sieben Menschen, darunter drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule. Er wird nach rund 32-stündiger Polizeibelagerung seiner Wohnung erschossen. Zuvor hatte er sich als Al-Kaida-Anhänger bezeichnet.
Vor der Küste Jemens rammt ein mit Sprengstoff beladenes Boot den französischen Tanker „Limburg“. Ein Matrose kommt ums Leben. Al-Kaida bekennt sich zu dem Anschlag.
Bei einem Anschlag mit einer Gasflaschen-Bombe im Pariser S-Bahnhof Port Royal kommen vier Menschen ums Leben. Bereits 1995 waren bei einer Serie von Terroranschlägen, die islamischen Fundamentalisten aus Algerien zugeschrieben werden, in Frankreich insgesamt acht Menschen getötet worden.
Bei einem Absturz eines französischen Flugzeugs in Folge einer Bombenexplosion an Bord über dem afrikanischen Staat Niger sterben 170 Menschen. Ein französisches Gericht verurteilt sechs Libyer in Abwesenheit zu lebenslanger Haft, unter ihnen einen Schwager des damaligen libyschen Staatschefs Muammar el Gaddafi.
Die Auseinandersetzung im TV-Studio spiegelt den Zweikampf unter Frankreichs Konservativen gut wider. Gefühl gegen Verstand, so lässt sich das Duell zwischen Sarkozy und Juppé knapp zusammenfassen. Zwar liegt Juppé in Umfragen, wer 2017 der mächtigste Mann Frankreichs, Président de la Republique, werden soll, noch vorne. Doch dass sein vernunftbetonter Ansatz Nachteile hat, musste er gerade bei einem Treffen mit einer Wählerin im Rahmen eines Auftritts bei einer Mittelstandsvereinigung erfahren.
Deren Frage traf ihn hart und unerwartet wie eine Ohrfeige: „Wie wollen Sie den Franzosen Lust machen, für Sie zu stimmen? Sie wissen ja, Franzosen folgen häufiger ihrem Herzen als dem Verstand.“ Juppé, immerhin Expremierminister und amtierender Bürgermeister von Bordeaux, war für einen Augenblick sprachlos wie ein Schuljunge, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Dann stammelte er sich eine nahezu unverständliche Antwort zurecht: „Wäre ich unsensibel, wüsste ich nicht, warum die Franzosen mir bisher Vertrauen geschenkt haben, warum sie mich in gewisser Weise mögen.“
Hinter dem kleinen Zwischenfall verbirgt sich Juppés großes Problem: Sein kühl vorgetragenes Programm, etwa ein höheres Renteneintrittsalter oder das Aus für die 35-Stunden-Woche, hört sich für viele Franzosen nicht wie ein Versprechen an, sondern wie eine Drohung.
Und noch jemand wittert Juppés Makel. Jemand, der besser auf der Gefühlsklaviatur seiner Landsleute spielt, der ihm deshalb gefährlich werden kann: sein Parteifreund Sarkozy. Der ehemalige Präsident ist der schärfste innerparteiliche Konkurrent im Wettbewerb um das höchste Staatsamt. Auch Sarkozy hat ein strammes Wirtschaftsprogramm vorgelegt, natürlich. Aber mit Forderungen nach Burkini-Verboten, einer Beschränkung des Familiennachzugs von Flüchtlingen und einem französischen Guantánamo für Terrorverdächtige adressiert er auch die Ängste der Franzosen. „Diese Ideen verfangen unter Bürgern, die nach den zahlreichen Terroranschlägen traumatisiert sind“, urteilt Laurent Bouvet, Politologe an der Universität Versailles.
Im Zweifel: rechts
Bis zur Wahl im April ist es noch Zeit. Aber schon Ende November entscheiden die konservativen Republikaner in – für alle Bürger offenen – Vorwahlen über ihren Kandidaten. Vom Ausgang hängen wesentlich die Chancen und Optionen anderer Parteien ab: ob der glücklose sozialistische Amtsinhaber François Hollande noch einmal antritt. Ob Exwirtschaftsminister Emmanuel Macron seinen Hut in den Ring wirft. Ob ein Linksaußen wie Arnaud Montebourg mit seinen Forderungen nach weniger Haushaltsdisziplin punkten kann. Oder ob gar die Rechtsnationalistin Marine Le Pen vom Front National in den Élysée-Palast einzieht. Gegen Juppé etwa hätten Umfragen zufolge weder Le Pen noch Hollande Siegesaussichten. Der erfahrene Verstandesmensch ist bei Wählern der Mitte beliebt. Vor allem Rentner und Führungskräfte sprechen sich für ihn aus – zuverlässige Wähler.
Um Frankreichs lahme Wirtschaft flottzumachen, will Juppé die Vermögensteuer abschaffen und den Staatshaushalt, der 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt, um bis zu 100 Milliarden Euro kürzen. Die Sozialabgaben sollen sinken, die Unternehmenssteuern auch. Für Abfindungen bei Kündigungen, bislang oft sündhaft teuer, soll es eine Höchstgrenze geben.
Sarkozys Plan für die Wirtschaft unterscheidet sich nicht wesentlich. Ausnahme: Er will höhere Staatsschulden in Kauf nehmen. Doch mit markigen Sätzen wie „Ich bin der Präsident, der die Staatsmacht wieder etabliert“, umgarnt er geschickt rechtskonservative Wähler, die sich vor allem um die innere Sicherheit sorgen – und bislang Le Pen favorisierten.
Das ist Marine Le Pen
Marine Le Pen, Tochter des Politikers und FN-Gründers Jean-Marie Le Pen wurde am 5. August 1968 in Neuilly-sur-Seine geboren. Als Kind überlebte sie ein Attentat, das 1976 gegen das Wohnhaus der Familie verübt wurde. Die 46-Jährige war mit Geschäftsmann Franck Chauffroy verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Nach der Scheidung heiratete sie den FN-Funktionär Éric Lorio. Auch diese Ehe scheiterte. Marine Le Pen studierte in Paris Jura und erhielt 1992 die Anwaltszulassung. Bis 1998 war sie als Anwältin tätig. Besonders markant ist ihre dominante und und für eine Frau sehr tiefe Stimme.
Seit Marine Le Pen den Parteivorsitz inne hat, versucht sie frischen Wind in den „Front National“ zu bringen. So hat sie sich zum Ziel gesetzt, Anspielungen auf das Dritte Reich zu vermeiden, um das Bild einer rechtsextremen Partei loszuwerden. Dazu passt auch, dass sie sich stärker auf die Alltagsprobleme der Bürger fokussiert. Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Preise sind nun die neuen zentralen Themen. Ihre Rezepte zur Überwindung der Krise: Heimische Investoren sollen von einer Abwanderung abgehalten werden, Franzosen sollen bei der Jobsuche bevorzugt werden und das Land aus dem Euro austreten. Feindbild ist die "wilde Globalisierung".
Von 1998 bis 2004 war Marine Le Pen Abgeordnete im Parlament der Region Nord-Pas-de-Calais. Über ihren Wahlkreis Île-de-France zog sie 2004 ins Europaparlament ein. Nach Stationen im Regionalparlament der Île-de-France wurde sie 2011 an die Parteispitze des Front National gewählt. Bei der Präsidentenwahl 2012 wurde sie nach Hollande und Sarkozy drittstärkste. Zeitweise sahen Umfrageergebnisse, die im Magazin „Le Nouvel Observateur“ erschienen sind, den Front National als stärkste französische Partei. Seit der Europawahl im Mai 2014 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament.
Eine explizite Feindschaft zum Islam gehört zu den zentralen Positionen Le Pens und ihrer Partei. Eine entsprechende Äußerung in einer Wahlkampfrede im Dezember 2010 brachte Le Pen ins Visier der Staatsanwaltschaft. Sie verglich öffentliche Gebete von Muslimen mit der deutschen Nazi-Besatzung. "Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner", so Le Pen.
Siegt Sarkozy bei den Vorwahlen, droht aber innerparteilicher Zoff. Dann wird ihn mindestens ein weiteres Parteimitglied bei der offenen Präsidentschaftswahl herausfordern. Der Zentrumspolitiker François Bayrou hat diesen unfreundlichen Akt bereits angekündigt. So würde sich die gemäßigte Rechte selbst zerfleischen. Was der stramm rechten Le Pen wiederum nützte. Meinungsforscher sehen sie bei der Konstellation in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl schon als Siegerin.
Außerdem könnte die linke Opposition frecher werden. So würde der höchst populäre, gerade erst zurückgetretene Macron wohl auch Juppé als Minister dienen. Provokateur Sarkozy hingegen dürfte Macron als Kandidat entgegentreten.
Und was ist mit Hollande, dem amtierenden Präsidenten? In Umfragen ist er das unbeliebteste Staatsoberhaupt aller Zeiten: Er zögert die Frage seiner erneuten Kandidatur hinaus. Doch das ist beinahe egal. Die nächste Präsidentschaftswahl, so scheint es, wird in Frankreich rechts entschieden. Die entscheidende Frage ist: Wie weit rechts?