Frankreich Eine Frage des Herzens?

Die konservativen Politveteranen Alain Juppé und Nicolas Sarkozy greifen nach der Macht. Ganz rechts könnte Marine Le Pen profitieren.

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Nicolas Sarkozy Quelle: REUTERS

Nicolas Sarkozy gab sich, wie man ihn kennt – markig und provokant. "Die Frage ist heute nicht, ob es ein nächstes Attentat geben wird - sondern wann", sagte er am Donnerstagabend bei der TV-Debatte mit Konkurrenten der Partei "Les Républicains" (LR). Es war die erste TV-Debatte in deren Wettstreit um die Spitzenkandidatur für die französische Präsidentschaftswahl 2017.

So schürte Sarkozy die Angst vor neuem Terror. Um den zu bekämpfen, will er mutmaßliche Islamisten sogar vorsorglich in Haft nehmen, also ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Ein Tabubruch in Europa.

Sein schärfster Herausforderer, Ex-Premier Alain Juppé, erinnerte den stürmischen Sarkozy auf der Bühne daran, dass in Frankreich noch immer der Rechtstaat gelte. Also müsse ein Richter über Internierungen entscheiden.

Frankreich und der Terror

Die Auseinandersetzung im TV-Studio spiegelt den Zweikampf unter Frankreichs Konservativen gut wider. Gefühl gegen Verstand, so lässt sich das Duell zwischen Sarkozy und Juppé knapp zusammenfassen. Zwar liegt Juppé in Umfragen, wer 2017 der mächtigste Mann Frankreichs, Président de la Republique, werden soll, noch vorne. Doch dass sein vernunftbetonter Ansatz Nachteile hat, musste er gerade bei einem Treffen mit einer Wählerin im Rahmen eines Auftritts bei einer Mittelstandsvereinigung erfahren.

Deren Frage traf ihn hart und unerwartet wie eine Ohrfeige: „Wie wollen Sie den Franzosen Lust machen, für Sie zu stimmen? Sie wissen ja, Franzosen folgen häufiger ihrem Herzen als dem Verstand.“ Juppé, immerhin Expremierminister und amtierender Bürgermeister von Bordeaux, war für einen Augenblick sprachlos wie ein Schuljunge, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Dann stammelte er sich eine nahezu unverständliche Antwort zurecht: „Wäre ich unsensibel, wüsste ich nicht, warum die Franzosen mir bisher Vertrauen geschenkt haben, warum sie mich in gewisser Weise mögen.“

Hinter dem kleinen Zwischenfall verbirgt sich Juppés großes Problem: Sein kühl vorgetragenes Programm, etwa ein höheres Renteneintrittsalter oder das Aus für die 35-Stunden-Woche, hört sich für viele Franzosen nicht wie ein Versprechen an, sondern wie eine Drohung.

Und noch jemand wittert Juppés Makel. Jemand, der besser auf der Gefühlsklaviatur seiner Landsleute spielt, der ihm deshalb gefährlich werden kann: sein Parteifreund Sarkozy. Der ehemalige Präsident ist der schärfste innerparteiliche Konkurrent im Wettbewerb um das höchste Staatsamt. Auch Sarkozy hat ein strammes Wirtschaftsprogramm vorgelegt, natürlich. Aber mit Forderungen nach Burkini-Verboten, einer Beschränkung des Familiennachzugs von Flüchtlingen und einem französischen Guantánamo für Terrorverdächtige adressiert er auch die Ängste der Franzosen. „Diese Ideen verfangen unter Bürgern, die nach den zahlreichen Terroranschlägen traumatisiert sind“, urteilt Laurent Bouvet, Politologe an der Universität Versailles.

Im Zweifel: rechts

Bis zur Wahl im April ist es noch Zeit. Aber schon Ende November entscheiden die konservativen Republikaner in – für alle Bürger offenen – Vorwahlen über ihren Kandidaten. Vom Ausgang hängen wesentlich die Chancen und Optionen anderer Parteien ab: ob der glücklose sozialistische Amtsinhaber François Hollande noch einmal antritt. Ob Exwirtschaftsminister Emmanuel Macron seinen Hut in den Ring wirft. Ob ein Linksaußen wie Arnaud Montebourg mit seinen Forderungen nach weniger Haushaltsdisziplin punkten kann. Oder ob gar die Rechtsnationalistin Marine Le Pen vom Front National in den Élysée-Palast einzieht. Gegen Juppé etwa hätten Umfragen zufolge weder Le Pen noch Hollande Siegesaussichten. Der erfahrene Verstandesmensch ist bei Wählern der Mitte beliebt. Vor allem Rentner und Führungskräfte sprechen sich für ihn aus – zuverlässige Wähler.

Um Frankreichs lahme Wirtschaft flottzumachen, will Juppé die Vermögensteuer abschaffen und den Staatshaushalt, der 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt, um bis zu 100 Milliarden Euro kürzen. Die Sozialabgaben sollen sinken, die Unternehmenssteuern auch. Für Abfindungen bei Kündigungen, bislang oft sündhaft teuer, soll es eine Höchstgrenze geben.

Sarkozys Plan für die Wirtschaft unterscheidet sich nicht wesentlich. Ausnahme: Er will höhere Staatsschulden in Kauf nehmen. Doch mit markigen Sätzen wie „Ich bin der Präsident, der die Staatsmacht wieder etabliert“, umgarnt er geschickt rechtskonservative Wähler, die sich vor allem um die innere Sicherheit sorgen – und bislang Le Pen favorisierten.

Das ist Marine Le Pen

Siegt Sarkozy bei den Vorwahlen, droht aber innerparteilicher Zoff. Dann wird ihn mindestens ein weiteres Parteimitglied bei der offenen Präsidentschaftswahl herausfordern. Der Zentrumspolitiker François Bayrou hat diesen unfreundlichen Akt bereits angekündigt. So würde sich die gemäßigte Rechte selbst zerfleischen. Was der stramm rechten Le Pen wiederum nützte. Meinungsforscher sehen sie bei der Konstellation in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl schon als Siegerin.

Außerdem könnte die linke Opposition frecher werden. So würde der höchst populäre, gerade erst zurückgetretene Macron wohl auch Juppé als Minister dienen. Provokateur Sarkozy hingegen dürfte Macron als Kandidat entgegentreten.

Und was ist mit Hollande, dem amtierenden Präsidenten? In Umfragen ist er das unbeliebteste Staatsoberhaupt aller Zeiten: Er zögert die Frage seiner erneuten Kandidatur hinaus. Doch das ist beinahe egal. Die nächste Präsidentschaftswahl, so scheint es, wird in Frankreich rechts entschieden. Die entscheidende Frage ist: Wie weit rechts?

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