
Es ist ein Sonntag im März. François Hollande besucht die Pariser Buchmesse und gewährt Einblick in sein Innenleben. Was sein Lieblingsbuch sei, fragt ein Journalist den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten. „Unter anderem Albert Camus’ ,Der Mythos des Sisyphos‘, antwortet Hollande. Die Umstehenden schauen sich an, tuscheln. „Ist Sisyphos nicht verdammt zu scheitern, weil er mit seinem Fels nie auf der Bergspitze ankommt?“
Hollande bemerkt die Verwunderung und sagt: „Auch ich trage seit langer Zeit einen schweren Fels. Jetzt bin ich fast am Ziel.“ Am 22. April will er die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich für sich entscheiden, und dafür hat Hollande mehr als ein Jahr lang gekämpft – ewig lächelnd und unzählige Hände schüttelnd. Zu „schlaff und höflich“ für den Élysée-Palast sei er, spotten seine Gegner und verhöhnen ihn als „Wackelpudding“. Von Sisyphos erzählt er jetzt mit steinerner Miene und Entschlossenheit. Seine Botschaft lautet: Ich schaffe das.
Eigentlich will Hollande auf der Messe aber nicht über griechische Mythologie sprechen, sondern sein Buch signieren, das gleichzeitig sein Wahlkampfprogramm ist. Der Titel: „Das Schicksal ändern“. Und tatsächlich könnte er demnächst Frankreichs Schicksal bestimmen. In den Umfragen für den zweiten, entscheidenden Wahlgang am 6. Mai ist Hollande seinem stärksten Konkurrenten, dem amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy, weit voraus.





Eine Schicksalswahl ist es aber nicht nur für Frankreich, sondern ebenso für Europa und damit auch für Deutschland. Denn das Nachbarland steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise mit ausufernder Staatsverschuldung. Setzt die sich fort, steuert das Land auf eine Kreditklemme mit unabsehbaren Folgen für den Euro zu. Schon im Januar entzog die US-Ratingagentur Standard & Poor’s Frankreich das begehrte Dreifach-A. Auch Moody’s droht, die Kreditwürdigkeit herabzustufen. All das weiß auch Hollande, der die Lage der Nation in seinem Buch so zusammenfasst: „Rekordarbeitslosigkeit, eine historisch einmalige Verschuldung, zunehmende Deindustrialisierung, schrumpfende Wettbewerbsfähigkeit und ausbleibendes Wirtschaftswachstum.“
So drastisch Hollandes Bestandsaufnahme ist, von Sparen spricht er im Wahlkampf nicht. Konkret geworden ist der 57-Jährige bisher nur bei Maßnahmen, die mehr Geld in die Staatskasse spülen sollen. Seine Zauberformel dafür: Umverteilung!
Wer zur Kasse gebeten wird, ist auch schon klar: „Ich mag die Reichen nicht“, hat Hollande erklärt. In seinem Buch schreibt er: „Die ungehörige Bereicherung an der Spitze der Gesellschaft“ und die „ausufernde Macht des Geldes müssen bekämpft werden“. Die Vermögen der Reichen – geparkt in Form von Immobilien, Aktien und Bankanlagen – dienen in seinen Augen nur einer kleinen Elite und nicht der gesamten Gesellschaft. Deshalb will Hollande das Geld der Wohlhabenden durch eine Steuerreform und Abgabenerhöhungen wieder in Umlauf bringen.