Frankreich Unternehmer fürchten Sieg der Rechtsnationalen

Vor der zweiten Runde der französischen Regionalwahlen steigt die Nervosität vor allem in den Grenzregionen. Ein Komiker kennt die Lösung: Elsass-Lothringen soll wieder zu Deutschland gehören.

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Veranstaltung des Front National Quelle: AP

"No pasarán." Bruno Bonduelle hatte einen Schlachtruf aus dem spanischen Bürgerkrieg gewählt, um vor der Gefahr zu warnen. Und bitter dafür bezahlt. Nachdem der 82-jährige überzeugte Europäer und ehemalige Chef des gleichnamigen Dosengemüse-Herstellers öffentlich gegen den möglichen Wahlsieg des rechtsnationalen Front National (FN) in der Region Nord-Pas de Calais -Picardie anschrieb, gingen in der Firma erboste Briefe ein.

Kunden drohten, Bonduelle-Produkte zu boykottieren, Bauern kündigten an, sie würden das Unternehmen nicht mehr beliefern. Der aktuelle Firmenchef Christophe Bonduelle fiel seinem Onkel schließlich in den Rücken: "Die Familie Bonduelle", ließ er die FN-Chefin Marin le Pen persönlich wissen, "solidarisiert sich in keinster Weise mit den Anmerkungen von Bruno Bonduelle über Ihre politische Formation."

"Sie haben es bereits geschafft, Furcht zu säen," sagt Bruno Bonduelle. Tatsächlich wollen sich vor der zweiten Runde der französischen Regionalwahlen an diesem Sonntag nur noch wenige Unternehmer namentlich zu den Chancen des FN äußern. Im ersten Wahlgang wurden er stärkste Partei in sechs der insgesamt 13 Regionen, die in etwa mit den deutschen Bundesländern vergleichbar sind. Vor allem in Nord-Pas de Calais, wo die FN-Vorsitzende selbst kandidiert, und in der Grenzregion zu Deutschland, Elsaß-Lothringen-Champagne-Ardenne, ist die Nervosität nun groß. Beide Regionen hängen wirtschaftlich stark von den Beziehungen zu den Nachbarländern ab. Und le Pen macht Wahlkampf mit hasserfüllten Reden gegen die Deutschen und die EU, will den Euro wieder gegen den heimischen Franc ersetzen, Importzölle einführen und am liebsten die Grenzen dicht machen.

"Wenn die FN stärkste Kraft in der Region wird, ist das eine Katastrophe", sagt der Chef eines großen metallverarbeitenden Unternehmens im Elsass - der seinen Namen wie so viele andere nicht nennen will. "Meine deutschen Aktionäre haben mich schon angerufen, sie sind beunruhigt. Es ist nicht sicher, dass die geplanten Investitionen hier noch getätigt werden. Dabei hatte ich sie gerade erst davon überzeugt."

Die Sorge ist nicht unbegründet. "Wir haben auch noch andere Werke," sagt der Sprecher eines Unternehmens aus der Metallbranche in Süddeutschland. Dessen französische Tochtergesellschaft liegt in der Region Nord-Pas de Calais-Picardie. "Im Zweifelsfall können wir auch ohne Frankreich."

Der Aufstieg des FN in den Regionen, der dort zum ersten Mal Regierungsmacht erhalten könnte und bereits nach der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren schielt, hat in den Tagen nach der ersten Wahlrunde in der deutschen Wirtschaft Ratlosigkeit ausgelöst. "Ich sehe das Wahlergebnis mit großer Sorge," sagte Anton Börner, Präsident des Exportverbandes BGA. Von einem "alarmierenden Signal", sprach der Präsident des Verbandes der deutschen Familienunternehmer, Lutz Goebel.

Wirtschaftsvertreter fürchten Nachteile

Frankreich ist seit Jahrzehnten der größte Exportkunde der deutschen Wirtschaft. Selbst wenn erst einmal keine Verschlechterung der bilateralen Handelsbeziehungen droht - weil le Pen zwar mit landespolitischen Themen Wahlkampf macht, aber die Kompetenzen des FN auf regionaler Ebene beschränkt wären -, fürchten Vertreter der französischen Wirtschaft Nachteile.

"Ich zähle schon gar nicht mehr die Forscher, die mir sagen, dass sie im Fall eines Wahlsiegs des FN gehen werden", sagt Etienne Vervaecke, Geschäftsführer des Bio-Inkubators Eurasanté in Loos bei Lille. "Freitag voriger Woche haben wir zwei Projekte angenommen, aber die beiden Verantwortlichen haben bereits angekündigt, dass sie sie woanders verwirklichen werden, wenn der FN gewinnt." Auch Luc Doublet, Direktor der Wirtschaftsförderungsagentur Nord France Invest in Lille, treibt die Sorge vor einem schlechten Image der Region um: "Ich fürchte, dass viele Leute hier nicht mehr arbeiten wollen."

Allein rund 15.000 Franzosen pendeln täglich aus den Grenzregionen ins Saarland, etwa 1500 Deutsche schlagen jeden Morgen den umgekehrten Weg ein.

Baden-Württemberg und das Saarland arbeiten mit dem Elsass und Lothringen in Fragen der Wirtschaftsförderung und der Berufsausbildung zusammen. Sie betreiben in Kehl ein gemeinsames Arbeitsamt oder lassen ihre Bürger in den Krankenhäusern jenseits der Grenze behandeln, wenn diese dem Wohnort geographisch näher liegen.

Was wird aus solchen Kooperationen, wenn in Straßburg künftig eine Partei den Regionalrat anführt, deren Vorsitzende gegen Deutschland hetzt, das ihrer Darstellung nach die europäischen Völker missbraucht, Flüchtlinge nur deshalb ins Land lockt, um sie als "billige Arbeitssklaven" einzusetzen und damit der französischen Wirtschaft zu schaden, oder die gemeinsame Währung allein für seine Zwecke ausnutzt?

Es ist geradezu paradox: Das rückwärtsgewandte Wirtschaftsprogramm des FN schildert den Wählern in leuchtenden Farben eine Wiederkehr der sogenannten Trente Glorieuses (die 30 glorreichen Jahre), als die Globalisierung noch keine französischen Arbeitsplätze gefährdete, Großunternehmen noch staatlich waren, die Regierung mangelnde Wettbewerbsfähigkeit durch die Abwertung der Landeswährung abfederte, Brüssel noch nicht die Einhaltung von Defizitlimits anmahnte, und Einreisende an den Grenzen kontrolliert wurden.

Ideen für die, die sich als Verlierer der Globalisierung betrachten

Die Einführung von Importzöllen soll die Erhöhung der Löhne finanzieren, für die Rückkehr zur Rente mit 60 die Notenpresse angeworfen werden… "Das ist das Gegenteil dessen, was nötig ist, um das Wachstum des Landes anzukurbeln," warnt Pierre Gattaz, Chef des französischen Unternehmerverbandes Medef. Es würde in letzter Konsequenz Frankreich sogar an den Abgrund führen, weil der Rest der Welt aus Rücksicht auf Frankreich nicht die Globalisierung aufgeben würde.

Und doch verfangen solche Ideen bei jenen, die sich als die großen Verlierer eben jener Globalisierung betrachten. "Es handelt sich tatsächlich um eine Wahl der Nostalgie," sagte Jean-Yves Camus, Politologe am Institut für internationale und strategische Beziehungen (Iris) und Autor zahlreicher Bücher über rechtsextreme Parteien in Europa. "Der FN erzählt uns, dass man viele Dinge nur rückgängig zu machen brauche, und dann wird alles gut."

Im Werk des französischen Autoherstellers PSA Peugeot Citroën in Sochaux nahe der Schweizer Grenze haben sich nach Schätzung des Gewerkschaftsvertreters Pascal Pavillard mindestens die Hälfte der Mitarbeiter der Wahl enthalten. Viele andere haben FN gewählt. In den 70er Jahren hätten in dem Werk 40.000 Menschen gearbeitet. Heute fänden hier nur noch 10.000 ihr Auskommen. "Wir sind sauer, sagt ein Bandarbeiter nach Schichtende. "Die Löhne sind seit drei Jahren eingefroren. Der Staat ist bei PSA eingestiegen, aber er tut nichts."

Aber auch zahlreiche Kleinunternehmer und Mittelständler zieht es zum FN. Die einen klagen über Kreditklemmen, andere über ausländische Handwerker, die zu Dumpinglöhnen in Frankreich arbeiten dürften, wieder andere über die teure Krankenversicherung für Selbstständige. "Seit 40 Jahren haben die Linken und die Konservativen nicht verändert," ereifert sich ein Restaurateur aus Doubs, ebenfalls an der Schweizer Grenze. "Der FN ist der einzige, der uns etwas Neues bietet." 15 Prozent der aktiven FN-Mitglieder führen nach Angaben der Partei ein Unternehmen. Bei anderen politischen Parteien sind es nur drei bis fünf Prozent.

Der Rückzug der Sozialisten aus der zweiten Wahlrunde in Nord-Pas de Calais - Picardie und im Süden an der Côte d'Azur könnte letztendlich doch dazu führen, dass der FN dort das Nachsehen hat. In der ersten Runde konnten Marine le Pen und ihre Nichte Marion Maréchal-le Pen jeweils 41 Prozent der Stimmen einsammeln und die zweitplatzierten Kandidaten der bürgerlichen Republikaner von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy auf Abstand halten. In der Stichwahl könnten die Republikaner letzten Umfragen zu Folge nun mehr als 50 Prozent erreichen.

In Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne wird es knapp. Der französische Komiker Nicolas Canteloup hat dafür eine Lösung gefunden: Am Mittwoch imitierte er in seiner Radiosendung auf "Europe 1" Staatschef François Hollande und kündigte an, dass er die Region Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten habe. Nur so könne er verhindern, dass sie in die Hände des FN falle.

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