
US-Präsident Barack Obama hat den Stein ins Rollen gebracht. Vor mehr als zwei Jahren, im Februar 2013, plädierte er im US-Kongress bei seiner Rede an die Nation für die Aufnahme von Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Man werde die Gespräche über eine Freihandelszone starten, „weil ein freier und fairer Handel über den Atlantik hinweg Millionen gut bezahlter Jobs in den USA sichern wird.“
Gut eineinhalb Jahre ist Obama noch im Amt. Bis dahin, so hofft es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, sollen die wichtigsten Grundzüge für ein TTIP-Abkommen geklärt sein. Ein Regierungswechsel könnte den Deal schließlich erschweren oder gar verhindern.
Doch dass Obama die Verhandlungen, die er maßgeblich angestoßen hat, auch beenden kann, ist nahezu ausgeschlossen. Die Gespräche zwischen US-Vertretern und der EU-Kommission kommen nicht voran. Auch die neunte Verhandlungsrunde Ende April brachte keinen Durchbruch, obwohl man sich über vermeintlich einfache Fragen – etwa die Vereinheitlichung von Standards im Automobilbereich – austauschte.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, hält es inzwischen gar für „äußerst unwahrscheinlich“, dass das Freihandelsabkommen in der heute diskutierten Form überhaupt einmal Realität wird. „Das ist politisch nicht umsetzbar, vor allem in den USA nicht“, sagte Hofreiter auf einer Diskussionsveranstaltung des Vereins „Junges Europa“ an der Universität Regensburg.
TTIP erntet Gegenwind in den USA
Tatsächlich ist TTIP nicht nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg umstritten, sondern auch jenseits des Atlantiks: In den Vereinigten Staaten werden die Stimmen der Freihandelsgegner immer lauter. In der vergangenen Woche wurde US-Präsident Barack Obama von seiner eigenen Partei wortwörtlich ausgebremst: Sie verweigerten die Zustimmung zu einem Verhandlungsmandat („Fast-Track-Authority“), das es der Regierung erlaubt, international geschlossene Abkommen im Kongress zur Abstimmung zu stellen – ohne den Abgeordneten die Möglichkeit zu geben, inhaltliche Änderungen an dem Gesetzentwurf vorzunehmen. Das gilt gleichermaßen für TTIP wie für ein Freihandelsabkommen, das die USA mit Pazifikstaaten aushandeln (TTP).
Hofreiter, einer der profiliertesten TTIP-Gegner in Deutschland, berichtet mit glänzenden Augen über die Entwicklung in den USA. Der Grünen-Politiker versucht gar nicht erst, seine Freude über den Widerstand der US-Demokraten zu verheimlichen. „Was EU und Amerikaner verhandeln, ist schlecht für Arbeitnehmer, Verbraucher – und vor allem: demokratiefeindlich. Ich hoffe, TTIP kommt nicht.“ Die 63 Mitglieder seiner Bundestagsfraktion seien jedenfalls geschlossen gegen das Abkommen.
Ärger um die Schiedsgerichte
1959 unterschrieb Ludwig Erhard das erste globale Investitionsschutzabkommen der Welt – zwischen Deutschland und Pakistan. Es beruhte auf einem Entwurf von Hermann Josef Abs, dem früheren Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bis heute ist dieses Abkommen die Grundlage sämtlicher Freihandelsabkommen.
Das Abkommen sah vor, dass Investoren vor internationalen Schiedsgerichten gegen die Entscheidungen ausländischer Regierungen vorgehen konnten, sofern diese einen Enteignungscharakter hatten.
Das Abkommen war zwar bilateral – das heißt es galt für Deutschland wie für Pakistan gleichermaßen – allerdings kam damals niemand auf die Idee, dass pakistanische Investoren in Deutschland tätig werden könnten.
1994 errichteten die USA, Kanada und Mexiko die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA. Das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP und CETA. Als Streitschlichtungsmechanismus ist auch hier ein Investorenschutz eingebettet.
Mit NAFTA kamen Anwaltskanzleien und Unternehmen auf die Idee, den Investorenschutz verstärkt als Rechtsschutzmittel gegen staatliche Entscheidungen zu nutzen.
Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg 2012 entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro. Wenige Wochen vor dem Atomausstieg hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung beschlossen – im Glauben an die Gültigkeit dieses Beschlusses hatte Vattenfall in die Sanierung von mittlerweile vom Netz genommenen Atomkraftwerken investiert.
Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist kein Freihandelsabkommen, sondern die von Deutschland ratifizierte Energiecharta – darin ist aber ebenfalls eine Investitionsschutzklausel eingearbeitet, weswegen TTIP-Gegner oft auf diesen Fall verweisen.
Parallel klagt Vattenfall – wie auch RWE und Eon – vor dem Bundesgerichtshof. RWE und Eon haben als deutsche Unternehmen allerdings nicht die Chance, zweigleisig zu klagen, darin sehen TTIP-Gegner eine Benachteiligung heimischer Unternehmen gegenüber ausländischer.
2012 führte Australien rigorose Anti-Tabak-Gesetze ein. Demnach dürfen Zigarettenpackungen nur noch in einem langweiligen Grauton bedruckt und müssen mit abschreckenden Bildern versehen werden, die die negativen Folgen des Rauchens verdeutlichen.
Der Tabakkonzern Philip Morris ging im Rahmen einer Investitionsschutzklage vor einem Schiedsgericht dagegen vor und forderte mehrere Milliarden Dollar Schadensersatz. Die Begründung: Als Philipp Morris vor über 60 Jahren in Australien investierte, war nicht absehbar, dass solche Tabakgesetze den Markt zerstörten. Im Dezember 2015 wurde dieser Fall zugunsten von Australien entschieden.
Während die US-Demokraten um Jobs in Amerika fürchten, stören sich die Grünen vor allem am Investitionsschutz. Unternehmen sollen mit TTIP Rechtssicherheit für ihre Ausgaben bekommen und bei Missbrauch von staatlicher Seite Schadenersatz einklagen können. Und zwar nicht vor ordentlichen, sondern vor privaten Schiedsgerichten.
„Die Länder der EU und die USA sind gefestigte Rechtsstaaten, ich verstehe nicht, warum wir eine intransparente Paralleljustiz brauchen“, kritisiert Hofreiter. Er fürchtet, dass Unternehmer direkt Einfluss auf die Politik nehmen und ungeliebte Regelungen – etwa schärfere Nichtrauchergesetze oder Umweltauflagen für Kraftwerke und Autos – mit Klagedrohungen schon im Vorfeld verhindern können.