Freytags-Frage

Brauchen wir mehr oder weniger Europa?

Ob Yanis Varoufakis oder David Cameron – Linke und Rechte in Europa fordern weniger Zentralismus. Tatsächlich gibt es dafür viele gute Gründe. Warum und wie sich die EU neu erfinden muss.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Fahne der Europäischen Union. Quelle: dpa

In einem vielbeachteten Aufsatz haben die Zentralbankgouverneure Frankreichs und Deutschlands, die Herren François Villeroy de Galhau und Jens Weidmann, die wirtschaftspolitischen Defizite der Eurozone klar benannt. In wesentlichen Teilen ist ihre Analyse treffsicher und genau.

Es ist ihnen vor allem zugute zu halten, dass sie sich nicht auf die anderen Mitgliedsländer konzentriert haben, sondern mit dem Arbeitsmarkt in Frankreich und der Demographie in Deutschland ein jeweils zentrales Problem identifiziert haben. Der Begriff Strukturreformen überschreibt den Abschnitt zu Frankreich. Für Deutschland werden Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung einer alternden Gesellschaft und damit Wirtschaft angeregt.

Europaweit fordern die Autoren stärkere Investitionen. Sie liegen damit auf einer Linie mit der EZB. Anders als deren Direktorium scheinen die beiden aber nicht zu glauben, dass billigeres und mehr Geld dazu beiträgt. Sie setzen darauf, mit entsprechenden Anreizen die Lücken zwischen Ersparnis und Investition zu füllen, z.B. durch die Verbreiterung des Eigenkapitals der europäischen Unternehmen (also gerade nicht durch Kredite). Das macht Sinn, allerdings nur, wenn die Angebotsseite gestärkt wird. Warum sonst sollten die Bürger Eigenkapital an Unternehmen bilden?

Hier schmeißt die EU Gelder zum Fenster raus
Die EU fördert Projekte, die Folter bekämpfen und die Abschaffung der Todesstrafe fördern sollen. Quelle: REUTERS
Fehler bei öffentlicher Auftragsvergabe Quelle: dpa
Bekämpfung von Waldbränden: Beihilfen verpuffen Quelle: REUTERS
Fragwürdige Jugendgarantie Quelle: dpa
Zu wenig Kontrolle bei Zuschüssen für den ländlichen Raum Quelle: dpa

Kritischer müssen die Ausführungen zur Fiskalpolitik gesehen werden – einige Beobachter glaubten gar die Forderung einer Fiskalunion gelesen zu haben, was der Bundesbankpräsident umgehend dementierte. So sind die Ausführungen nicht unbedingt zu verstehen, die Rede ist von Abgabe nationaler Souveränität und stärkerer demokratischer Kontrolle, ohne dass von fiskalischer Hoheit der Eurozone oder der Europäischen Kommission zu lesen ist. Es bleibt alles sehr vage.

Dennoch erscheint diese Diskussion etwas voreilig, denn die Tendenz der öffentlichen Debatte geht eindeutig in eine andere Richtung. Weniger Zentralismus ist die Kernforderung der britischen Regierung, damit die britische Bevölkerung sich gegen den Brexit ausspricht. Und nicht nur in Großbritannien werden Stimmen laut, die die Europäische Union als zu zentralistisch, sozusagen als einen unkontrollierbaren Leviathan ansehen.

Vier Gründe gegen mehr Zentralisierung

Diese Stimmen – die zumeist der sog. neuen Rechten zuzuordnen sind, die aber auch in mancher Hinsicht, wenn auch sicher ungewollt, deckungsgleich mit dem neuen Linksbündnis des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varouvakis sind – sollte man ernst nehmen. Denn die Aussagen haben einen realistischen Kern (egal, wer sie macht). Mehrere Gründe sprechen gegen Zentralisierung:

- Erstens scheint es keine europäische Öffentlichkeit zu geben, die bereit ist, fiskalpolitische Entscheidungen aus einer Zentrale zu akzeptieren. Die Menschen fühlen sich dabei fremdbestimmt und werden auch anfälliger für billige nationalistische Parolen.

- Dabei ist es zunächst einerlei, ob es zwischenstaatliche Transfers gibt oder nicht. Im Zweifel erhöhen solche Transfers den politischen Widerstand in der Bevölkerung und stärken die nationalistischen Tendenzen.

- Drittens bewirken Transfers Moral Hazard-Verhalten auf Seiten der Empfänger; dies zeigt der deutsche Finanzausgleich. Das Desaster des Berliner Flughafen wäre ohne Finanzausgleich nicht denkbar – man kann sich nicht vorstellen, dass ein Regierender Bürgermeister politisch überlebte, wenn die Berliner Steuerzahler für die verbrannten Milliarden einstehen müssten.

- Das entscheidende Argument liegt aber in den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Philosophien der Mitgliedsländer der Eurozone. Diese sind geschichtlich tief verwurzelt. Die etatistische und merkantilistische französische Wirtschaftspolitik dürfte in der Bevölkerung ein hohes Maß an Unterstützung finden; in Deutschland ist die Soziale Marktwirtschaft (immer) noch in der Bevölkerung verankert. Als Konsequenz kann deutsche stabilitätsorientierte Finanzpolitik Frankreich schaden; umgekehrt würden die Deutschen unter einer eher protektionistischen und expansiven Wirtschaftspolitik leiden. Man kann sich die anderen Mitglieder der Eurozone ansehen und findet ebenfalls historisch etablierte wirtschaftspolitische Modelle.

Deshalb ist mehr Zentralisierung selbst ohne die gegenwärtigen Konfliktlinien in der Europäischen Union (Flüchtlingskrise, Rettungspakete etc.) nicht angesagt. Gegenwärtig zeigt sich also, dass eine weitere Zentralisierung, ein „Weiter so!“ oder ein „Mehr Europa!“ keine Mehrheit finden dürfte, und dies nicht zu Unrecht. Es ist somit kein Zufall, dass die Ausführungen der beiden Zentralbankpräsidenten zur Fiskalpolitik so vage sind.

Es dürfte eher darauf hinauslaufen, dass die Diskussion um weitere Dezentralisierung, die Rückführung von Zuständigkeiten auf die nationale Ebnen bis hin zur Aufspaltung bzw. Auflösung der Eurozone in den kommenden Jahren wieder an Intensität zunimmt. Die europäischen Entscheidungsträger sollten sich darauf einstellen. Sie sollten sich außerdem darauf besinnen, dass man Fehler ohne Gesichtsverslust korrigieren kann. Die gemeinsame Währung ist und bleibt ein Fehler. Weitere Fehler sollte man auf jeden Fall vermeiden!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%