Freytags-Frage

Was bezweckt Martin Schulz mit seinem EU-Radikalismus?

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Das Gefühl der Menschen verändern

Als Kanzlerkandidat der SPD hatte er aber seit Januar bis heute die Gelegenheit, die Menschen auf der Straße zu treffen, mit ihnen zu diskutieren und dabei zu lernen. Dabei sollte ihm nicht entgangen sein, dass es in vielen Fragen der europäischen Integration einschließlich des Umgangs mit der Flüchtlingskrise, Unzufriedenheit gibt. Spätestens das Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl musste ihm die Augen öffnen.

Im Moment geht es also eher darum, dass die Menschen wieder das Gefühl bekommen, ihre nationale Regierung hielte das Heft des politischen Handels in der Hand. Dabei spielt Europa nur eine untergeordnete Rolle, und wenn, dann wohl eher wegen der nach wie vor ungelösten Probleme der Eurozone wie zum Beispiel die Target-2-Salden. Wahrhaft relevante Themen sind vielmehr innere Sicherheit, Migration, Bildung und Infrastruktur.

Also darf man davon ausgehen, dass der SPD-Chef diesen Vorschlag nicht unbedacht oder gar naiv unterbreitet hat. Vermutlich dient er einerseits als Faustpfand bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen. In den Verhandlungen könnte die SPD dann davon abrücken und dafür andere Positionen durchbringen. Dies scheinen aber nicht die oben genannten Themen, sondern eher Randthemen wie zum Beispiel die Bürgerversicherung oder noch weitere Rentengeschenke zu sein.

Zum einen klingt ein solches potentielles Faustpfand eher nach Erpressung als nach politischer Klugheit. Zum anderen wirkt es besonders beunruhigend, wenn ein ausgewiesener Europapolitiker die Integrationsfrage nutzen will, um sich politische Vorteile in Koalitionsverhandlungen zu verschaffen. Denn Schulz sollte die Sorgen der Bürger vor einem europäischen Superstaat kennen. Insofern dürfte sein Vorstoß der EU eher schaden als helfen. Die europäische Integration ist aber zu wichtig, als dass man mit ihr auf derart plumpe Weise spielen sollte.

Wenn Martin Schulz ein überzeugter und zielführend denkender Europäer ist, sollte er diese Art von Vorschlägen in Zukunft unterlassen und darlegen, welche Vorstellungen seine Partei in den genannten Themenfeldern hat – die Vorstellung, Europa weiter zu zentralisieren und das Thema Migration totzuschweigen, wird sicherlich nicht dazu beitragen, die SPD wieder zu einer Volkspartei zu machen. Und für die Menschen in Deutschland wäre es auch kein Gewinn.

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