Der zweite relevante Einflussfaktor auf die EZB ist die Politik. Es kann ausgeschlossen werden, dass es direkte Anrufe aus Paris, Berlin, Rom oder Athen gibt, die Zinsen zu senken oder Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB ist keine Unterabteilung des Ecofin-Rates.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
- Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass es erstens indirekten Druck gibt, Zinsen zu senken bzw. niedrig zu halten. Denn für die Regierungen ist die Nullzinspolitik sehr vorteilhaft. Mit jeder auslaufenden Staatsanleihe, für die eine neue aufgelegt wird, sinken die Kapitalkosten für die Regierungen.
- Zweitens kann man sich kaum vorstellen, dass die EZB gegen den ausdrücklichen Widerstand der Regierungen, insbesondere der Bundesregierung, die ja auch mit der Bundesbank kommuniziert, am vergangenen Montag das Ankaufprogramm für Staatsanleihen (60 Mrd. Euro pro Monat), das einen zumindest großzügige Auslegung des Monetisierungsverbots voraussetzt, gestartet hätte. Hätte die Bundesregierung auf der strikten Einhaltung des Verbots der Staatshaushaltsfinanzierung bestanden, wäre die Politik wahrscheinlich nicht möglich.
Der Kampf der EZB gegen die Krise
Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers öffnen die großen Zentralbanken die Geldschleusen, um mitten in der Panik an den Finanzmärkten die Geschäfte am Geldmarkt am Laufen zu halten.
Die wichtigsten Notenbanken der Welt senken gemeinsam die Zinsen - ein historischer Schritt.
Die EZB senkt ihren Leitzins überraschend um einen dreiviertel Prozentpunkt auf 2,5 Prozent. Es ist der größte Zinsschritt seit der Einführung des Euro.
Die EZB stellt den Banken der Euro-Zone erstmals für ein ganzes Jahr Liquidität zur Verfügung. Mehr als 1000 Banken rufen 442 Milliarden Euro ab.
Die EZB beginnt mit dem Ankauf von Anleihen Italiens und Spaniens. Beide Länder waren zuvor ins Visier der Märkte geraten.
Der neue EZB-Präsident Mario Draghi startet seine Amtszeit mit einem Paukenschlag und senkt den Leitzins auf 1,25 Prozent. Unter seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet hatte die EZB den Schlüsselzins zuvor in zwei Schritten von einem auf 1,5 Prozent angehoben.
In einer koordinierten Aktion stellen die EZB, die amerikanische Fed sowie die Zentralbanken Kanadas, Japans, Großbritanniens und der Schweiz den von der Krise gebeutelten europäischen Banken Dollar zur Verfügung. Den Instituten fiel es zuvor schwer, sich Dollar-Kredite zu beschaffen - viele US-Investoren hatten ihnen aus Angst vor den Folgen der Schuldenkrise den Geldhahn zugedreht.
Die EZB senkt den Leitzins auf ein Prozent. Zudem werden die Refinanzierungsgeschäfte für die Banken angekündigt.
Die EZB stellt den Geschäftsbanken in zwei Tranchen zusammen mehr als eine Billion Euro an Liquidität zur Verfügung.
Die EZB senkt den Leitzins auf 0,75 Prozent. Sie kappt zudem den Einlagesatz auf null Prozent. Sie will damit die Institute ermuntern, mehr Geld an Unternehmen und Haushalte zu verleihen.
Draghi erklärt in einer mittlerweile berühmten Rede, die Zentralbank werde "alles tun, was nötig ist, um den Euro zu retten". Dieses Versprechen gilt bis heute vielen Experten als Wendepunkt in der Krise. Seitdem haben die Schwankungen an den Finanzmärkten deutlich abgenommen und die Länder können sich wieder günstiger verschulden.
Der EZB-Rat beschließt gegen den Widerstand der Bundesbank neue umfangreiche Staatsanleihenkäufe am Sekundärmarkt. Ziel des sogenannten OMT-Programms ist es, die Zukunft des Euro in der Schuldenkrise zu sichern. Tatsächlich wurden aber bis heute keine Anleihen aus dem Programm gekauft.
Die EZB senkt ihren Leitzins auf 0,25 Prozent. Als Grund nennt sie die Gefahr einer zu langen Periode zu niedriger Teuerungsraten - sie will also mit noch billigerem Geld verhindern, dass die Wirtschaft der Euro-Zone in einen Teufelskreis aus sinkenden Preisen und Investitionen gerät.
Die EZB senkt den Leitzins auf 0,15 Prozent. Erstmals ist zudem der Einlagesatz für Banken negativ. Das hat zur Folge, dass Institute, die lieber Geld bei der Notenbank parken als es an Unternehmen und Haushalte zu verleihen, künftig eine Strafgebühr von 0,1 Prozent zahlen müssen.
Die EZB senkt die Leitzinsen auf das Rekordtief von 0,05 Prozent. Sie will zudem mit zusätzlichen milliardenschweren Geldspritzen die schlappe Konjunktur in der Währungsunion anschieben und die für den Geschmack der Notenbank viel zu niedrige Inflation anheizen. Die EZB kündigte an, ab Oktober den Banken Kreditverbriefungen und auch Pfandbriefe abzukaufen.
Die EZB kündigt an, monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere zu kaufen. Bis Herbst 2016 dürften auf diese Weise mehr als eine Billion Euro zusammenkommen.
- Drittens setzt die Reformmüdigkeit (bzw. die Rücknahme erfolgreicher Reformen) der Regierungen die EZB unter Druck. Sie selber argumentiert immer wieder für Reformen und redet sich und anderen das Ankaufsprogramm schön, indem sie von gekaufter Zeit spricht. Es wird aber immer mehr offenbar, dass diese Zeit verschenkt wird. Insofern schützt die EZB die Regierungen vor politisch problematischen, gesellschaftlich aber unumgänglichen Reformen.
Ein Teufelskreis
Damit beginnt aber ein Teufelskreis. Die Vorstellung, dass EZB bei einem Anspringen der Konjunktur und der erfolgreichen Bekämpfung der (eingebildeten Deflation) die Zinsen erhöht und dass die Regierungen eine solche Erhöhung der Kapitalkosten klaglos akzeptieren, ist zumindest naiv. Der Druck dürfte eher immer größer werden, und zwar aus allen Ländern, nicht nur den sog. Problemländern. Auch der Bundesregierung wird ein dramatischer Anstieg der Zinszahlungen nicht passen, auch sie dürfte einer Zinserhöhung widersprechen. Dann wird wieder Zeit gekauft – dieses Mal vermutlich mit dem unangenehmen Nebeneffekt einer Inflationsrate über, möglicherweise sogar weit über der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent. Dann kann die EZB nicht einmal mehr im Rahmen ihres Mandates handeln.
Der Schluss liegt also nahe, dass die EZB ihre scheinbare heutige Machtfülle gar nicht besitzt. Selbst wenn die gegenwärtige Politik genau der Wunschvorstellung der Direktoriumsmitglieder entspräche, sorgt sie dafür, die politischen Kosten von Vernunft und Langristdenken immer weiter zu erhöhen und damit die Unabhängigkeit der EZB in der Zukunft immer weiter zu verringern. Am Montag hat die EZB eine Falle betreten – es ist fraglich, ob sie aus dieser jemals wieder herauskommen wird.