Freytags-Frage

Wie unabhängig ist die EZB?

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Der Einflussfaktor Politik

Der zweite relevante Einflussfaktor auf die EZB ist die Politik. Es kann ausgeschlossen werden, dass es direkte Anrufe aus Paris, Berlin, Rom oder Athen gibt, die Zinsen zu senken oder Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB ist keine Unterabteilung des Ecofin-Rates.

Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB

  • Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass es erstens indirekten Druck gibt, Zinsen zu senken bzw. niedrig zu halten. Denn für die Regierungen ist die Nullzinspolitik sehr vorteilhaft. Mit jeder auslaufenden Staatsanleihe, für die eine neue aufgelegt wird, sinken die Kapitalkosten für die Regierungen.
  • Zweitens kann man sich kaum vorstellen, dass die EZB gegen den ausdrücklichen Widerstand der Regierungen, insbesondere der Bundesregierung, die ja auch mit der Bundesbank kommuniziert, am vergangenen Montag das Ankaufprogramm für Staatsanleihen (60 Mrd. Euro pro Monat), das einen zumindest großzügige Auslegung des Monetisierungsverbots voraussetzt, gestartet hätte. Hätte die Bundesregierung auf der strikten Einhaltung des Verbots der Staatshaushaltsfinanzierung bestanden, wäre die Politik wahrscheinlich nicht möglich.

Der Kampf der EZB gegen die Krise

  • Drittens setzt die Reformmüdigkeit (bzw. die Rücknahme erfolgreicher Reformen) der Regierungen die EZB unter Druck. Sie selber argumentiert immer wieder für Reformen und redet sich und anderen das Ankaufsprogramm schön, indem sie von gekaufter Zeit spricht. Es wird aber immer mehr offenbar, dass diese Zeit verschenkt wird. Insofern schützt die EZB die Regierungen vor politisch problematischen, gesellschaftlich aber unumgänglichen Reformen.

Ein Teufelskreis

Damit beginnt aber ein Teufelskreis. Die Vorstellung, dass EZB bei einem Anspringen der Konjunktur und der erfolgreichen Bekämpfung der (eingebildeten Deflation) die Zinsen erhöht und dass die Regierungen eine solche Erhöhung der Kapitalkosten klaglos akzeptieren, ist zumindest naiv. Der Druck dürfte eher immer größer werden, und zwar aus allen Ländern, nicht nur den sog. Problemländern. Auch der Bundesregierung wird ein dramatischer Anstieg der Zinszahlungen nicht passen, auch sie dürfte einer Zinserhöhung widersprechen. Dann wird wieder Zeit gekauft – dieses Mal vermutlich mit dem unangenehmen Nebeneffekt einer Inflationsrate über, möglicherweise sogar weit über der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent. Dann kann die EZB nicht einmal mehr im Rahmen ihres Mandates handeln.

Der Schluss liegt also nahe, dass die EZB ihre scheinbare heutige Machtfülle gar nicht besitzt. Selbst wenn die gegenwärtige Politik genau der Wunschvorstellung der Direktoriumsmitglieder entspräche, sorgt sie dafür, die politischen Kosten von Vernunft und Langristdenken immer weiter zu erhöhen und damit die Unabhängigkeit der EZB in der Zukunft immer weiter zu verringern. Am Montag hat die EZB eine Falle betreten – es ist fraglich, ob sie aus dieser jemals wieder herauskommen wird.

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