Freytags Frage

Wem dient die Geldpolitik?

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Es droht die Enteignung der Mittelschicht

Berichterstattung der WirtschaftsWoche weit vorn
Bereits Anfang Mai hat die WirtschaftsWoche in einer großen Titelgeschichte berichtet, wie Politiker und Zentralbanker aus den Euro-Krisenländern vor einer Deflation warnen. Und welche Strategie hinter der Panikmache steckt: Die EZB soll die Geldschleusen öffnen und die Staatshaushalte mit der Notenpresse finanzieren.
Ende Mai hat sich die WirtschaftsWoche in einer Titelgeschichte den Auswirkungen der Zinspolitik für Sparer gewidmet. Denn die Niedrigzinsen fordern ihren Tribut. Die WirtschaftsWoche hat nachgerechnet und den Vertrags-Check gemacht: Abschließen? Halten? Kündigen? - Denn nicht für jeden Sparer lässt sich diese Frage gleich beantworten.
Auch in der aktuellen Ausgabe berichtet die WirtschaftsWoche umfassend über die Auswirkungen der Null-Zins-Politik für Konjunktur, Unternehmen und Anleger. Denn die Risiken sind immens - auch für das gesamte Geldsystem.
Ab Freitag für Abonnenten und am Samstag am Kiosk ist auch die neue Titelgeschichte der WirtschaftsWoche wieder ganz nah an den aktuellen Auswirkungen der EZB-Entscheidung. Der Dax ist nach der Zinsentscheidung kurzfristig über die 10.000-Punkte-Marke geklettert. In der neuen Ausgabe widmen wir uns der Frage, wie lange die Dax-Party noch anhält und was Anleger beachten müssen.

In den 1990er Jahren schien es allerdings, als ob die Menschheit das Problem endlich verstanden hatte. Überall auf der Welt wurde die Geldpolitik institutionell von der Tagespolitik getrennt, und den Notenbanken wurde untersagt, den Regierungen Geld zu leihen. Es gab klare Regeln über das Verhältnis zwischen der Zentralbank und dem Parlament bzw. der Regierung. Die Zentralbankunabhängigkeit stieg überall stark an.
Eine der unabhängigsten Zentralbanken der Welt ist die EZB. Ihr vorrangiges Ziel ist die Inflationsbekämpfung, und das Monetesierungsverbot, also das Verbot der Kreditvergabe an Regierungen ist völkerrechtlich vereinbart. Die Direktoren müssen Experten sein. Mehr geht nun wirklich kaum.
Das alles hält die EZB nicht davon, sich von ihrem Mandat zu entfernen und sich wachstumspolitisch und fiskalpolitisch zu betätigen. Offiziell mit dem angesichts der Notwendigkeit der Kostensenkungen im Süden der Eurozone wirklich lächerlichen Argument, Deflation zu verhindern die Preisniveaustabilität zu sichern, betreibt die EZB nun schon seit Jahren eine laxe Geldpolitik mit Niedrigzinsen und offener wie verdeckter Staatshaushaltsfinanzierung. Letztere findet statt, indem die Banken das billige Geld eben nicht an die Privatwirtschaft zur Finanzierung weitergeben, sondern damit Staatsanleihen kaufen. Somit dient die Geldpolitik nicht der Preisniveaustabilität (und auch nicht der Stimulierung der Investitionen im Süden), sondern der Finanzierung unsolide gerechneter Haushalte und der Verschleppung von politisch riskanten, langfristig aber unabdingbaren Reformen.
Die gestrigen Entscheidungen der EZB treiben diese Entwicklung noch voran. Es wird ein Kreditprogramm für Banken von bis zu 400 Milliarden soll in Südeuropa zusätzliche Investitionen anregen; vermutlich wird nicht viel passieren, denn ohne wirtschaftspolitische Reformen lohnen Investitionen in Südeuropa offenbar nicht. Diese Geldmengenausweitung in Verbindung mit der erneuten Zinssenkung hilft vor allem den Finanzministern, die sich nun noch billiger verschulden können. Die Wirtschaft wird nicht in Schwung kommen, und die Regierung können sich vor Reformen drücken. Die zusätzlich vorgesehenen Strafzinsen für Banken sind riskant, weil sie wie ein Keil wirken können, der dann Kreditkosten erhöht oder Sparzinsen weiter senkt. Die Verlierer sind wieder die Sparer, was die EZB nach eigener Aussage nicht kümmert; Sparzinsen seien Sache der Banken! Die EZB riskiert nicht weniger als die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors, und dies im dienste der europäischen Finanzminister. Von einer unabhängigen Europäischen Zentralbank zu sprechen, klingt wie Hohn!

Dabei ist das Wissen um die Konsequenzen derartiger Politik vorhanden. Das Beispiel Japan zeigt klar, wohin die Perpetuierung solcher Politik führt. Die permanente Ausdehnung der Geldmenge hat das Problem fallender Preise nicht beheben können. Eine ganze Generation lang hat dieses Land niedriges Wachstum und verschleppten Strukturwandel erfahren – und dies begleitet von immer steigender Staatsverschuldung.
Und sollte die Geldmengenentwicklung gar den politisch gewünschten Effekt – höhere Inflation – erzielen, droht eine weitere und schnellere Enteignung der Mittelschicht in Europa. Welche Konsequenzen dies für die Gesellschaft hat, zeigt das Beispiel Lateinamerikas, besonders Argentiniens. Dort hat es nicht einmal zwei Generationen lang den Missbrauch der Geldpolitik benötigt, um ein wohlhabendes, zukunftsträchtiges Land in ein Entwicklungsland zu verwandeln.

Insofern scheint sich nichts geändert zu haben – Geldpolitik ist aus Sicht der politischen Eliten offenbar immer noch vorrangig dazu da, Brot und Spiele zu finanzieren und die Haushaltsprobleme von schwachen und nur an der kurzen Frist interessierten Regierungen zu finanzieren. Wenn es ganz schlecht läuft, behalten diejenigen Recht, die die Periode der Zentralbankunabhängigkeit für ein kurzes historisches Zwischenspiel halten. Für die Bevölkerung in Europa – nicht nur in Deutschland – wäre dies ein Trauerspiel.
Deshalb muss alles dafür getan werden, damit die Geldpolitik wieder auf das einzig relevante Ziel, den Erhalt der Preisniveaustabilität, eingeschworen wird. Hier sind alle gefordert – Wissenschaftler, Bundesbank, Verbraucherschützer, Gewerkschaften und die Wirtschaft.

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