Freytags-Frage
EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei der Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank im Februar. Erneut hat die EZB den Leitzins angehoben, um die Inflation einzudämmen. Durch die Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte steigt der Leitzins auf nun 3 Prozent. Quelle: imago images

Ist die EZB wieder in der Spur?

Ein Grund für die Inflation ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Sie hat erst spät mit Zinssteigerungen reagiert – doch damit begann ein historischer Strategiewechsel. Eine Kolumne.

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in der Vergangenheit gerade in Deutschland viel Kritik einstecken müssen, weil sie lange, vermutlich sogar viel zu lange, an der permissiven Geldpolitik mit Nullzinsen festgehalten hat. Als Konsequenz dieser enormen Geldmengenexpansion haben sich die Vermögenspreise in Europa deutlich erhöht. Das heißt zwar nicht, dass die Geldpolitik die einzige Ursache der Vermögenspreisinflation der letzten Dekade war, aber einen wesentlichen Beitrag dazu dürfte sie geleistet haben.

Erstaunlicherweise haben sich die Verbraucherpreise wesentlich langsamer entwickelt. Bis Ende 2021 war die Inflationsrate in der Eurozone unter den von der EZB angestrebten 2 Prozent. Deshalb wurde die Politik auch nicht beendet, selbst als die Zeichen schon auf eine Steigerung der Inflationsraten standen. Noch weit in die zweite Jahreshälfte 2021 hinein behaupteten führende Vertreter der EZB, es drohe eher Deflation als Inflation. Diese Aussage konnten die Direktoren damals eigentlich nicht aus Unkenntnis der theoretischen Zusammenhänge, sondern aufgrund politischen Drucks so vertreten haben.

Kurze Zeit später änderte die EZB – allerdings deutlich nach der Fed – ihre Strategie und begann damit, die Leitzinsen zu erhöhen. Im Juli 2022 wurden alle drei Zinssätze, die die Zentralbank verwendet, zum ersten Mal seit dem 13. April 2011 erhöht. Danach gab es bis zur bis dahin letzten Zinsentscheidung am 18. September 2019 nur Zinssenkungen. Dies sind die Zinssätze für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte, Spitzenrefinanzierungsfazilität und Einlagenfazilität. Zuletzt wurden alle drei Zinssätze am 8. Februar um 50 Basispunkte erhöht, der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte steht nun bei 2,5 Prozent und soll im März noch einmal um 50 Basispunkte erhöht werden.

Damit ist die Zeitenwende auch bei der EZB angekommen. Diese Zinsschritte seit Juli 2022 sind durchaus als sehr einschneidend zu bezeichnen. Seit ihrer Gründung erhöhte die EZB den Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte nur einmal um 0,75 Prozent (am 1.1.1999) und dreimal um 50 Basispunkte. Seit September 2022 tat sie dies nun zweimal um 0,75 Prozent und dreimal um 0,5 Prozent, nämlich von -0,5 auf 2,5 Prozent; die Erhöhungen waren für alle drei Sätze jeweils identisch, allerdings bei unterschiedlichem Niveau startend. Und wie schon gesagt wird ein weiterer Schritt in Kürze folgen.

Die Zinsschritte haben in der Realwirtschaft natürlich Sorgen ausgelöst; insbesondere das Bauen hat sich dadurch gleich doppelt verteuert. Neben den durch die Lieferkettenprobleme nach den Lockdowns wegen Corona verteuerten Baumaterialien sind nun auch die Finanzierungskosten in kürzester Zeit ungefähr vervierfacht worden. Dies ist ein harter Schlag für die Branche und für Bauherren, darunter auch der Staat. Dieser zahlt nun erheblich höhere Zinsen für die Kreditaufnahme am Kapitalmarkt oder bei den Hausbanken, den Sparkassen.

Und genau deswegen ist die EZB-Zinspolitik des letzten guten halben Jahres auch so erstaunlich und erfreulich zugleich. Denn die Politik der letzten Jahre war sehr danach ausgerichtet, den Finanzministern das Leben zu erleichtern. Zur Bewältigung der Covid Krise war die permissive Geldpolitik noch verständlich. In den Jahren davor, als die EZB versuchte, den Regierungen Zeit für dringend notwendige angebotspolitische Reformen zu verschaffen, die diese ungenutzt verstreichen ließen, drängte sich der Eindruck auf, die EZB hätte ihre Unabhängigkeit ein Stück weit aufgegeben und wäre nun ein Weisungsempfänger der Finanzminister geworden. Im Gegenzug schien ihr ein Zuwachs an politischer Bedeutung zugestanden worden zu sein, der natürlich nicht nachhaltig gewesen wäre.

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Deshalb musste man befürchten, dass die EZB dem Druck aus den Finanzministerien nachgeben und die Zinssenkungen geringer ausfallen lassen würde. Natürlich ist es sehr schwer, das optimale Maß der Zinsschritte genau zu bestimmen. Insofern ist die Aussage in dieser absoluten Form nicht korrekt; vielleicht hat die EZB ja tatsächlich dem Druck nachgegeben und nicht noch stärkere Zinserhöhungen vorgenommen.

Jedoch kann man die oben beschriebene Schrittfolge wirklich als historisch bezeichnen. Allerdings ist die zu bekämpfende Inflation von bis zu 10 Prozent (im Moment wohl um die 8,5 Prozent) auch als historisch zu bezeichnen. Gerade in Deutschland haben wir uns spätestens seit der zweiten Ölkrise 1979/80 an sehr geringe Inflationsraten gewöhnt. Nicht zuletzt deshalb war die Kritik an der EZB hierzulande besonders laut.

Richtig ist aber auch, was der ehemalige Chefökonom der EZB, Otmar Issing, vor einigen Wochen in einem Interview sinngemäß sagte. Die meisten der heutigen Notenbanker seien zu jung, um die wirklichen Gefahren der Inflation zu erspüren. Sie glaubten, dass die Deflationsgefahren viel größer gewesen seien. Diese faire Einschätzung ist bei aller Enttäuschung über die vielen verpassten Gelegenheiten der EZB nachvollziehbar.

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Mit den starken Zinserhöhungen der letzten sieben Monate hat die EZB versucht, sich das verloren gegangene Vertrauen der Märkte zurückzuerobern und die Inflationserwartungen zu brechen. Es ist noch zu früh, ein endgültiges Urteil darüber zu fällen, ob und inwieweit ihr das gelungen ist. Inwieweit sie ihre beschädigte Unabhängigkeit, die ihr die Politik ja keineswegs mit Begeisterung eingeräumt hat, zurückgewinnen kann, ist auch noch nicht klar. Man kann aber feststellen, dass sie auf dem richtigen Weg ist.

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