Freytags-Frage
Eine Ampel vor der Kuppel des Reichstagsgebäudes leuchtet in allen drei Phasen. Die Parteien versuchen gerade dieses Miteinander zu Papier zu bringen. Quelle: dpa

Kann die Ampel den ersehnten Aufbruch bringen?

Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen wird immer offensichtlicher, wie unterschiedlich die Ampel-Parteien ticken. Doch es gibt zu viele drängende Probleme, um sich davon aufhalten zu lassen.

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In dieser Woche haben die Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Freien Demokraten (FDP) die Koalitionsgespräche zur Bildung der Ampelkoalition aufgenommen. Grundlage dieser Verhandlungen ist ein Sondierungspapier, in dem die Sondierer der drei Parteien ihre gemeinsamen Vorstellungen niedergelegt haben. Auf Basis dieses Papieres kann man bereits erkennen, wie unterschiedlich die Positionen in vielerlei Hinsicht sind. Daran hat auch die gute Laune der potentiellen Koalitionäre nichts ändern können.

Immerhin sieht man eine gewisse Kongruenz der Ziele – der Klimaschutz bewegt die Partner, die Digitalisierung soll vorangetrieben werden, und die Beschleunigung von Verwaltungsprozessen ist ein gemeinsames Anliegen. Auch die Modernisierung der Arbeitswelt, die Reform der Sozialpolitik und die Erhöhung der Zielgenauigkeit der Bildungspolitik sind gemeinsame Anliegen. Hinzu kommt das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft und Gleichstellung sowie die Bereitschaft, in Europa und für die Welt Verantwortung zu übernehmen.

So weit, so wenig überraschend. Interessanter wird es, wenn die Details angesehen werden. So sprechen die Koalitionäre von nachhaltigen Staatsfinanzen und haben sich darauf geeinigt weder Steuern zu erhöhen noch die Schuldenbremse zu lockern. Das ist ein Balanceakt vor dem Hintergrund der Aussagen zu den recht stattlichen Plänen für öffentliche Investitionen und den Aus- und Umbau der Sozialpolitik. Ohne die Details zu kennen, reichen vermutlich schon Überschlagsrechnungen, um zu erkennen, dass der öffentliche Haushalt ohne erhebliche Einsparungen an anderer Stelle überfordert ist.

Immerhin wurde vereinbart, „… überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben (zu) überprüfen.“ Wenn man diese Aussage ernst nähme, hätte man das Finanzierungsproblem gelöst, denn der Großteil der in Deutschland pro Jahr ausgereichten Subventionen von zuletzt vor der Pandemie in 2019 etwa 200 Milliarden Euro, entspricht einer der drei Kategorien: sie sind entweder überflüssig, unwirksam oder umwelt- und klimaschädlich.

Leider geht die Einigkeit hier nicht so weit wie gewünscht. Man kann davon ausgehen, dass die zur Streichung vorgesehenen Subventionen deutlich unter den immer wieder kolportierten Investitionen für den Klimaschutz von etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr bleiben – vernünftigerweise sollte man die Erwartungen eher bei fünf Milliarden denn bei 50 Milliarden Euro anlegen.

Nicht zuletzt deshalb scheint der Jubel über den geplanten Rücktritt von Bundesbankpräsident Weidmann zum Jahreswechsel im Lager der Grünen besonders groß zu sein; die Sozialdemokraten halten sich noch ein wenig zurück. Der von seinen Parteifreunden als überaus geeignet für das Amt des Bundesfinanzminister angesehene Robert Habeck hat noch am Tag der Ankündigung des Rücktritts einen Neuanfang gefordert, damit die Bundesbank auf der Höhe der Zeit sei. Vermutlich meint er damit, nun eine sogenannte Taube an die Spitze der Bundesbank zu berufen, mit deren Hilfe die Europäische Zentralbank (EZB) ungestört die Geldpolitik dauerhaft in den Dienst der Fiskalpolitik stellen kann. Das ist nicht modern und schon gar nicht neu; es ist auch nicht erfolgversprechend: Wer die Erfolge dieser modernen Politik bestaunen will, sollte sich einmal mit der Geschichte Lateinamerikas befassen. Dort wurde und wird in manchen Ländern regelmäßig – in Argentinien beispielsweise etwa einmal in jeder Generation – die Mittelschicht mit Hilfe einer Haushaltspolitik mit der Notenpresse und anschließender Hyperinflation in die Armut getrieben. Von Hyperinflation sind wir zwar noch weit entfernt, aber selbst die zum Jahresende erwarteten fünf Prozent Inflation, von deren Einmaligkeit selbst die EZB nicht mehr sprechen mag, haben erhebliche negative Wirkungen auf die Kaufkraft der Mittelschicht (von den ärmeren Teilen der Bevölkerung ganz zu schweigen).

Korrekterweise haben maßgebliche FDP-Politiker sofort widersprochen und Stetigkeit in der Politik und Führung der Bundesbank verlangt. Ohnehin ist im Feld der Fiskalpolitik der Konflikt zwischen FDP und Grünen schon jetzt klar und deutlich sichtbar. Dabei geht es nicht nur um das Amt des Finanzministers, sondern um die grundsätzlichen Fragen, wieviel Geld der Staat ausgibt (ist mehr immer besser?) und wo das Geld herkommt (Einsparungen versus Steuererhöhungen und/oder von EZB finanzierte Schuldenaufnahme). Hinzu kommt der Konflikt um die Finanzierung der Europäischen Union (EU). Während die FDP die bisherigen Mittel und Finanzierungswege für ausreichend hält, sehen die beiden anderen Parteien hier die Pflicht zur Gemeinschaftshaftung der Mitglieder der EU, ohne die damit verbundenen potentiellen Chancen jemals zu nennen (vermutlich, weil es keine gibt).

Insofern ist die Frage der Finanzierung all der schönen im Sondierungspapier vorgestellten Pläne für einen Aufbruch ganz entscheidend. Gelingt es, durch den Abbau von Subventionen für alte, umweltschädliche Industrien, die Mittel für Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand freizusetzen, bestehen sehr gute Chancen für den Aufbruch. Nicht nur wird Geld gespart, auch findet ein Strukturwandel von alten und wenig erfolgreichen zu jungen und dynamischen Unternehmen mit wohl erheblich umweltfreundlicheren Technologien statt.

Werden stattdessen weiterhin die strukturschwachen Sektoren unterstützt und gleichzeitig die (durch die Kombination von Geld- und Fiskalpolitik erhobene) Inflationssteuer zur Finanzierung dieser und weiterer Investitionen eingesetzt, bleibt der Aufbruch im Ansatz stecken. Die Armut erhöht sich, und der Klimaschutz findet ohne uns statt.



Insofern stehen vor dem gewünschten Modernisierungsschub noch langwierige Verhandlungen und einige Anstrengungen, die vor allem auf der FDP lasten. Denn die muss verhindern, dass der Versuch, das Klima zu retten und die Sozialpolitik zu verbessern, nicht dazu führt, dass die Bürger durch Inflation enteignet und die Unternehmen durch zu viele Vorgaben geknebelt werden. Dies ist keine leichte Aufgabe. Es würde helfen, wenn die Christdemokraten sich immer mal wieder als Alternative ins Gespräch bringen würden. Dem Bürger ist egal, ob der Aufbruch durch die Ampel oder eine andere Koalition zustande kommt! Er sollte aber zustande kommen.

Mehr zum Thema: Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, bevorzugt die klare Aussprache: Der Reformdruck sei gewaltig, der Föderalismus zu umständlich – und manch Digitalisierungsprojekt ein Desaster.

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