Freytags-Frage
Wird der Chips Act wirklich zu mehr und vor allem besseren Halbleitern führen? Quelle: imago images

Kann die EU-Kommission den Firmen Weltmarktanteile in der Chipindustrie befehlen?

Die Geschichte wiederholt sich: Schon in den 1980ern wurde die Mikrochipindustrie gefördert. Zugegeben, eher schlecht. Nun kommt der EU Chips Act. Die negativen Folgen dieser Politik könnten diesmal noch ausgeprägter sein.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Mikrochips sind zur Zeit in aller Munde, aber sonst kaum zu finden. Ein Ergebnis der Lieferengpässe nach Corona sind die in vielen Sektoren fehlenden Chips. Nicht zuletzt deshalb gibt es in Europa einen breiten politischen Konsens, dass es einer starken Förderung der europäischen Chipindustrie bedarf, um in Zukunft unabhängig von asiatischen Herstellern zu sein. Die Europäische Kommission will die Industrie mit dem Chips Act fördern. Damit will sie gleich auch noch dafür sorgen, dass der europäische Weltmarktanteil sich bis 2030 verdoppelt – von derzeit knapp 10 Prozent auf dann etwa 20 Prozent, bei einer erwarteten Verdoppelung der Gesamtproduktion an Mikrochips. Warum gerade 20 Prozent Marktanteil so wichtig sind, bleibt ihr Geheimnis. Es klingt auf jeden Fall recht merkantilistisch.

Die Erfahrung mit der Förderung der Mikrochipindustrie sind eher schlecht. In den 1980er-Jahren förderte die Bundesregierung großzügig die Entwicklung von Mikrochips in der Bundesrepublik; insgesamt wurden viele Milliarden D-Mark ausgegeben. Im Ergebnis entwickelte die deutsche Halbleiterindustrie immer genau die Generation Halbleiter, die bei den Konkurrenten gerade zugunsten einer neuen Generation abgelöst wurde. Dabei zeigt sich, dass bei jeder Generation der Weltmarktführer wechselte. Nur ein deutsches Unternehmen war nicht dabei.

Anstatt aus diesen Erfahrungen zu lernen, plant die Europäische Kommission nun eine Neuauflage dieser Form der Technologiepolitik. Möglicherweise sind die negativen Folgen dieses Mal sogar noch etwas stärker. Denn nun soll neben die Technologieförderung auch die Förderung des Baus von Fabriken treffen. Für diesen Fall soll die Beihilfenkontrolle verändert werden. Anstatt wie bisher die Schwellen nur für „einzigartige hochmoderne Produkte“ zu senken, soll dies nun schon passieren, sofern die damit produzierten Güter in Europa „einzigartig“ seien.

Insgesamt sollen bis zum Jahr 2030 etwa 45 Milliarden Euro aus nationalen und europäischen Budgets ausgegeben werden. Die Summe scheint vor allem deswegen gewählt worden zu sein, weil sie in etwa den geplanten 52 Milliarden US-Dollar entspricht, die die amerikanische Regierung für die Unterstützung der Halbleiterindustrie – allerdings bis 2026 – ausgeben will. Es ist ein wiederkehrendes Phänomen: Da die Zukunft nicht bekannt ist, schauen Staaten weltweit darauf, was andere Regierungen machen. Die Ratio lautet etwas vereinfacht: Wenn die USA so viel Geld für Mikrochips ausgibt, dann müssen sie wirklich wichtig sein – also sollten die Europäer nicht nachstehen.

Dabei kommt es der Kommission nicht in erster Linie darauf an, dass europäische Unternehmen sich in Europa ansiedeln. Auch Unternehmen aus Taiwan und den Vereinigten Staaten sollen unterstützt werden. Man erwartet, dass nach der Ankündigung jetzt schnell Investitionen erfolgen – daran kann man Zweifel haben. Denn nun hat man bei den Unternehmen Interesse an der Förderung geweckt. Aus deren Sicht dürfte es klug sein, abzuwarten und den Preis, sprich die Subvention in die Höhe zu treiben. Auch wird es Anreize geben, die europäischen oder sogar regionale Regierungen gegeneinander auszuspielen. Der Fall Nokia in Bochum vor mehr als 15 Jahren zeigt, dass die Investitionsentscheidungen in einer solchen Lage nahezu ausschließlich von der Höhe der Subventionen abhängen.

Diese ordnungs- oder institutionenökonomischen Überlegungen finden leider nicht mehr viel Widerhall in der Politik, aber auch nicht mehr in der Wissenschaft und bei wirtschaftspolitischen Beratern. Während in den 1980ern immerhin die meisten Ökonomen klar Stellung bezogen haben und im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) wenigstens klar war, welchen Fehler man beging, scheint es heute anders. Die wenigsten Ökonomen denken und argumentieren heute noch politökonomisch oder ordnungsökonomisch. Und im BMWK bestimmen schon seit längerem die Verfechter einer aktiven Industriepolitik die Richtung – hier kann Ludwig Erhard nun wirklich nicht mehr als Vorbild der Arbeit gelten.

Nun kann man argumentieren, dass sich die Zeiten ändern. Vielleicht kann der Staat heute besser die Zukunft erkennen und wird von wohlmeinenderen Akteuren geleitet als früher, und vielleicht sind die Unternehmen heute weniger rational als in den 1980ern und versuchen eben nicht mehr, möglichst hohe Subventionen zu empfangen. Ist nun also zu erwarten, dass Europa 2030 in der Produktion von Mikrochips ganz vorne ist? Werden die Europäer die technologische Spitzenposition in diesem Sektor einnehmen?


Vermutlich nicht. Denn es sieht nicht danach aus, als ob die heutigen politischen Entscheidungsträger ein umfassenderes Wissen über die Zukunft haben als ihre Vorgänger. Sie reagieren nur auf eine Krise; man kann es ihnen nicht vorwerfen. Und das Interesse bei der Industrie hat sich nicht geändert, wie die Subventionsstatistiken zeigen. Der Anreiz für sie, technologisch ganz vorne zu sein, wurde schon in den 1980ern von der Technologieförderung somit eher reduziert als stimuliert. Dies ist ein keineswegs überraschendes Ergebnis, denn wenn bei technologischen Rückständen viel Geld fürs Aufholen fließt, lohnt es sich für Unternehmen nicht, den Rückstand aufzuholen. Wenn dann noch zusätzlich zur Forschung die Produktion bezuschusst wird, lohnt es sich nicht, übereilte Investitionsentscheidungen zu fällen; das kann man heute bei amerikanischen Halbleiterunternehmen beobachten, die ihre Investitionsentscheidung schon sehr lange ankündigen. Wahrscheinlich warten sie nur auf das Signal aus der Kommission. Ob sie, wie angekündigt, dann tatsächlich schnell entscheiden werden, bleibt abzuwarten. Möglicherweise macht es mehr Sinn, sich zu zieren und noch etwas mehr an Subventionen herauszuholen.

Zusammenfassend muss man an der Effektivität und Effizienz des Chips Acts, wie er Stand heute geplant wird, Zweifel haben. Dass die EU in weniger als zehn Jahren eine führende Stellung auf dem Weltmarkt für Mikrochips einnimmt, ist nicht zu erwarten. Die Unternehmen werden vermutlich eher in Rent-Seeking anstatt in Profit-Seeking, also in gewinnorientierte riskante unternehmerische Projekte, investieren. Diese Art von Förderung zieht außerdem Großunternehmen an, die ganze Stäbe mit Lobbyarbeit beschäftigen. Kleine, dynamische Unternehmen erhalten in der Regel – relativ betrachtet – erheblich weniger an Subventionen. Sie müssen eher für die Steuern aufkommen, die sich die großen – global aktiven – Unternehmen als Subventionen einverleiben. Das heißt, die Förderung einer Spitzentechnologie geht zulasten des Strukturwandels und des technologischen Fortschritts in vielen anderen Feldern.

Es spricht nicht viel für den Chips Act der EU – ökonomische Erfolge sind selten das Ergebnis einer zentral gefällten politischen Entscheidung. Zu groß ist die Unsicherheit; außerdem stimuliert der Chips Act nur den globalen Subventionslauf. Klüger wäre es, wenn europäische Unternehmen sich auf ihre Stärken konzentrieren können und wir die durch US-Subventionen verbilligten Chips dort beziehen, wo sie am günstigsten produziert werden; die gerade so unangenehm wirkenden Abhängigkeiten lassen sich durch langfristige Verträge mit vielen Anbietern reduzieren. Noch sind nicht alle EU-Mitgliedstaaten überzeugt, und es gibt doch noch einigen Widerstand aus Wissenschaft und Politik. Drücken wir die Daumen, dass sich Rationalität durchsetzt.

Mehr zum Thema: Raus aus der Chip-Hölle – Braucht die Welt wirklich so viele Halbleiter?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%