Etwa sieben Wochen nach dem Referendum in Großbritannien, in dem sich die Mehrheit der Briten für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) entschieden hat, zeigen sich die ersten Folgen für die britische Wirtschaft und die ersten halbwegs belastbaren Aussagen von politischen Entscheidungsträgern in Europa werden getätigt. Dabei sind zwei gegenläufige Dynamiken absehbar.
Zum einen wird deutlich, dass die britische Wirtschaft schon jetzt unter Druck gerät, obwohl die Verhandlungen über den Austritt noch gar nicht begonnen haben; es ist noch nicht einmal der Antrag der britischen Regierung bei der EU eingegangen. Drei Beispiele zeigen dies: Die jüngste Arbeitsmarktstatistik im Vereinigten Königreich weist kaum noch unbefristete offene Stellen aus, viele Unternehmen legen Investitionspläne in Großbritannien auf Eis, und die japanische Wirtschaft ist nervös, weil große Teile ihrer britischen Niederlassungen für den Europäischen Binnenmarkt produzieren. Dieser Markt droht nun schwerer bespielbar zu werden.
Diese Situation ist vermutlich gerade für viele derjenigen Menschen, die sich in der EU nicht mehr wohlfühlen und entsprechend den Brexit gewählt haben, am gefährlichsten, weil sie besonders anfällig für eine Krise des Arbeitsmarktes zu sein scheinen. Vor diesem Hintergrund droht eine Rezession.
Die wichtigsten Infos zum Brexit-Referendum
Brexit ist ein Kunstwort aus Britain und Exit (Austritt). Im Juni 2012 schrieb das britische Magazin "Economist" erstmals von der Möglichkeit eines "Brixit". Danach etablierte sich in der Presse die Version "Brexit". Vorbild dieser Wortschöpfung war der Begriff "Grexit", der sich auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise etablierte. Gemeint war damit aber nur das - mögliche - Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone.
Die Abstimmung wurde den Wählern von Premier David Cameron versprochen - seine Tory-Partei war damit in den Wahlkampf zur Unterhauswahl 2015 gezogen. Cameron, der selbst für die EU-Mitgliedschaft eintritt, wollte parteiinternen EU-Skeptikern damit den Wind aus den Segeln nehmen. Schon seit Jahren gab es parteiintern die Forderung nach einer Befragung des Volkes zum Verbleib in der EU. Die Unzufriedenheit mit der Zuwanderungspolitik der europäischen Partner bestärkte viele Briten in ihrer Ablehnung gegenüber der EU. Der Kampagne war ein Machtkampf mit der Europäischen Union voraus gegangen. Bereits 2011 hatte Cameron seine Zustimmung zum EU-Fiskalpakt verweigert und kurz darauf mit einem Veto zur mittelfristigen Finanzplanung der EU gedroht. In harten Verhandlungen rang Cameron den europäischen Partnern Zugeständnisse ab, etwa beim für den Finanzplatz London so wichtigen Thema der Bankenregulierung.
Befürworter eines Brexit wie der ehemalige Bürgermeister Londons, Boris Johnson, argumentieren, dass die EU für Großbritannien als drittgrößter Nettozahler ein Verlustgeschäft sei. Ein weiteres Argument ist die Kontrolle über die Grenzen. Unionsbürger haben das Recht, sich im Königreich niederzulassen. Derzeit leben und arbeiten dort mehr als zwei Millionen Menschen aus anderen EU-Ländern. Sie belasten angeblich die sozialen Sicherungssysteme - Studien widerlegen dies jedoch. Die in den Augen vieler Briten ausufernde Regulierung durch Brüssel sorgt zudem für Unmut. Brexit-Befürworter halten die EU außerdem für nicht ausreichend demokratisch legitimiert und fordern die Rückbesinnung auf nationale Souveränität.
Die Anhänger des EU-Verbleibs warnen in erster Linie vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde der Brexit jeden Haushalt in Großbritannien 4300 Pfund pro Jahr kosten. Der Grund: Das Land müsste neue Freihandelsabkommen abschließen, Investitionen aus Drittstaaten könnten zurückgehen und Banken könnten nach Kontinentaleuropa abwandern. Die Folge wäre eine Rezession.
Die Wahllokale sind am Donnerstag von 07.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr britischer Zeit geöffnet - also von 08.00 bis 23.00 Uhr deutscher Zeit. Nur in Gibraltar schließen die Wahllokale wegen der Zeitverschiebung eine Stunde früher. Danach beginnt die Auszählung. Nach bisherigem Stand wird es nach Schließung der Wahllokale weder Prognosen noch Hochrechnungen geben. Im Laufe der Nacht werden aber die Ergebnisse aus den einzelnen Wahlbezirken nach und nach bekannt werden. Die meisten Resultate dürften zwischen 03.00 und 05.00 Uhr deutscher Zeit vorliegen. Ein Endergebnis wird am Freitag um die Frühstückszeit erwartet - wenn es nicht wegen Pannen zu Verzögerungen kommt.
Die Bank of England hat bereits reagiert und die Zinsen weiter gesenkt, um die britische Wirtschaft zu stimulieren. Die Erfahrungen in Japan und der Eurozone lassen nicht unbedingt erwarten, dass diese Maßnahme sehr viel Erfolg bringen wird. Insofern sind die Befürchtungen der Brexit-Gegner nicht unbegründet: Großbritannien droht, in schweres Fahrwasser zu geraten. Nebenbei bemerkt: das wäre nicht gut für die EU, die dann ebenfalls verlieren dürfte.
Oder kommt alles anders?
Dagegen steht auf der anderen Seite ein anderes Szenario, für das es ebenfalls Anzeichen gibt. Mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU könnte das Land für andere Partner noch interessanter werden; gleichzeitig wird die EU weniger interessant. So vermuten einige Medien, dass das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) ohne Großbritannien seine Strahlkraft für die Vereinigten Staaten (USA) verlieren könnte. Auf jeden Fall wirkt die EU ohne Großbritannien von außen betrachtet weniger offen und freihändlerisch und auch weniger attraktiv als Markt. Bedenkt man noch den Widerstand gegen TTIP aus Kontinentaleuropa (vor allem aus Deutschland, dem Land, das als Exportnation am meisten vom Außenhandel abhängt), könnte sich die US-Administration von den Verhandlungen verabschieden.
Wo die großen Brexit-Baustellen sind
Seit der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, tobt ein Kampf um seine Nachfolge - nicht nur hinter den Kulissen. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Brexit-Wortführer Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson werden die besten Chancen eingeräumt, auch wenn er erbitterte Feinde in der Tory-Fraktion hat. May könnte als Kompromisskandidatin gelten, sie war zwar im Lager der EU-Befürworter, hielt sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Labour-Chef Jeremy Corbyn laufen nach dem Rauswurf seines schärfsten Kritikers Hilary Benn die Mitglieder seines Schattenkabinetts in Scharen davon. Mehr als die Hälfte seines Wahlkampfteams trat bereits zurück. Sie werfen Corbyn vor, nur halbherzig gegen einen EU-Austritt geworben zu haben, und stellen seine Führungsqualitäten in Frage. Dahinter steckt auch die Befürchtung, es könne bald zu Neuwahlen kommen. Viele Labour-Abgeordnete befürchten, mit dem Linksaußen Corbyn an der Spitze nicht genug Wähler aus der Mitte ansprechen zu können. Corbyn war im Spätsommer vergangenen Jahres per Urwahl an die Parteispitze gerückt, hat aber wenig Unterstützung in der Fraktion.
Der scheidende Premier David Cameron kündigte an, die offiziellen Austrittsverhandlungen mit der EU nicht mehr selbst einzuleiten. Der Ablösungsprozess könnte damit frühestens nach Camerons Rücktritt beginnen - womöglich erst im Oktober. Äußerungen anderer britischer Politiker lassen befürchten, dass sich die Briten gern sogar noch mehr Zeit lassen würden. Am allerliebsten würden sie schon vor offiziellen Austrittsverhandlungen an einem neuen Abkommen mit der EU basteln. Brüssel, Berlin und Paris dringen aber auf einen raschen Beginn der Austrittsverhandlungen.
Seit dem Brexit-Votum liegt die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf dem Tisch. Die Schotten stimmten - anders als Engländer und Waliser - mit einer Mehrheit von 62 Prozent gegen einen Brexit. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte in Edinburgh an, Vorbereitungen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Boris Johnson deutete jedoch bereits an, dass er als Premierminister da nicht mitspielen würde: „Wir hatten ein Schottland-Referendum 2014 und ich sehe keinen echten Appetit auf ein weiteres in der nahen Zukunft“, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag im „Daily Telegraph“. Auch Premierminister David Cameron erteilte einem erneuten Schottland-Referendum eine Absage.
In beiden Teilen der Insel herrscht Sorge, der Brexit könnte dazu führen, dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden und der Friedensprozess gestört wird. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny versicherte, seine Regierung arbeite eng mit Belfast und London zusammen, um die Grenzen offenzuhalten. Ähnlich wie in Schottland stimmte auch in Nordirland eine Mehrheit der Wähler gegen den Austritt des Königreichs aus der EU. Die nordirische nationalistische Partei Sinn Fein forderte bereits eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands.
Das britische Pfund verlor seit dem Brexit-Votum massiv an Wert gegenüber dem Dollar und fiel auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Auch die Börsenkurse stürzten zeitweise in den Keller. Der britische Finanzminister George Osborne versuchte am Montag, Sorgen an den Märkten zu zerstreuen. Großbritannien sei auf alles vorbereitet, sagte Osborne. Noch am Tag nach der Brexit-Entscheidung war Notenbank-Chef Mark Carney vor die Kameras getreten und hatte angekündigt, die Bank of England könne bis zu 250 Milliarden Pfund in die Hand nehmen, um weitere Verwerfungen zu verhindern. Trotz allem verlor das Pfund weiter an Wert.
Stattdessen könnte man sich vorstellen, dass die USA direkt mit den Briten ein bilaterales Freihandelsabkommen anstreben wird. Die Verhandlungen darüber dürften recht schnell vorankommen, da ihnen weder Sprachprobleme noch eine höchst komplexe Interessenvielfalt á la EU im Wege stehen. Zudem sind die USA und Großbritannien in Fragen des Außenhandels vermutlich im Grundsatz einiger als die europäischen Staaten untereinander.
Verbrüdern gegen die EU?
Es hat sogar die Überlegung gegeben, Großbritannien aufzufordern, einen Beitritt zur transpazifischen Partnerschaft (TPP) anzustreben. Dies käme den USA, Kanada, Japan und anderen Asiaten, aber auch Neuseeland und Australien sicherlich sehr entgegen, für die Briten wäre es ein guter Ersatz für die Mitgliedschaft im Binnenmarkt. Auch andere Partner wie Indien oder China dürften an einem derart vernetzten Großbritannien ein ernsthaftes Interesse verspüren.
Schließlich wäre es sogar denkbar, dass das schwächelnde Commonwealth durch derartige handelspolitische Offensiven wiederbelebt wird. Im Moment wird die Zukunft des Commonwealth ergebnisoffen diskutiert, mit einer klaren handelspolitischen Vorgabe könnte sich das ändern.
Dieses Szenario dürfte auch für Investoren interessant sein; denkbar wäre sogar eine Verlagerung von Produktionsstätten auf die britischen Inseln. Damit ergäbe sich für die Europäische Union ein ernsthaftes Problem. Aus der Position der Stärke gegenüber Großbritannien würde dann nämlich eine Position der Schwäche in der Weltwirtschaft ergeben:
Erstens wäre Großbritannien im Zweifel sogar attraktiver als Investitionsstandort als vor dem Brexit, und zweitens wäre die EU nicht mehr erste Adresse für potenzielle neue Freihandelsabkommen. Zwar gibt es bereits Überlegungen, Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland abzuschließen, und selbst ein Freihandelsabkommen mit China wird bereits in der Öffentlichkeit diskutiert. Dazu liegt eine Studie des CEPS in Brüssel vor. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die drei Länder in diesem Szenario mit derselben Intensität an Abkommen mit der EU arbeiten würden.
Drittens ist nicht auszuschließen, dass diese Dynamik zentrifugale Kräfte freisetzt, indem andere EU-Mitglieder ebenfalls den Ausstieg aus der EU wählen.
Denkbar ist sogar, dass beide Szenarien oder Dynamiken eintreten. Der britische Schaden würde sicherlich kurzfristig eintreten. In der mittleren oder längeren Frist könnte sich aber Großbritannien als Handelspartner empfehlen und der EU den Rang ablaufen. In diesem Fall wäre die EU der große Verlierer des Brexit.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Die Lehre daraus für die EU ist eindeutig. Es ist nicht angemessen, den Briten bei den anstehenden Verhandlungen arrogant und abweisend gegenüber aufzutreten. Das heißt natürlich nicht, dass deshalb die Regeln des Binnenmarktes aufgeweicht werden; Härte in der Sache ist durchaus angebracht. Großbritannien muss als Partner aber ernstgenommen werden; seine Beteiligung im Binnenmarkt muss weiterhin angestrebt werden.
Gleichzeitig sollte die EU ihre Bemühungen um weitere Handelserleichterungen mit Drittländern glaubwürdig fortsetzen. Aus europäischer Perspektive wäre es ein Drama, wenn aus falschverstandenem Ärger über den Brexit und Fehleinschätzungen über die relative Position Großbritanniens zukünftige Chancen leichtfertig verspielt werden. Der Brexit darf nicht den Startschuss in europäischen Isolationismus bilden.