Freytags-Frage

Wie sieht die EU der Zukunft aus?

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Komplizierte Geldpolitik

Sein Vorschlag aber krankt an dem Problem, dass seine große Liebe, die der Kolumnist im Übrigen weitgehend teilt, dadurch eher geschädigt wird. Und dies gleich in verschiedener Hinsicht, wie sich zeigt, wenn man die geplante Erweiterung der Eurozone untersucht.

- Die Geldpolitik wird immer komplizierter, je mehr und unterschiedliche Länder in einem Währungsraum zusammengefasst werden. Was jetzt schon kaum machbar erscheint, wird in Herrn Junckers Szenario unmöglich.

- Es wurde von Beginn an deutlich, dass das recht kluge Regelwerk der EWU von niemandem – auch der Kommission nicht – ernst genommen wurde. Die EWU kann aber nur funktionieren, wenn alle die Regeln einhalten. Der Vorschlag des Kommissionspräsiden ist in keiner Weise geeignet, die Disziplin zur Einhaltung der Regeln zu erhöhen. Nun hat sich Herr Juncker selber nie zur Einhaltung der Regeln bekannt, sondern sie mindestens in seinen Handlungen und Nebenbemerkungen für überflüssig erklärt. Insofern durfte man auch nichts erwarten. Vor dem Hintergrund drohen bei Erweiterungen der Eurozone nur Probleme!

- Mit der Idee, die Eurozone schnell in Verbindung mit dieser beabsichtigten Laxheit zu erweitern, spielt Herr Juncker zudem erneut den Populisten in der EU in die Karten. Es wird ein leichtes sein, die Ressentiments der Anhänger des Front National oder der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) mit der Frage, ob nun auch für Rumänien gezahlt werden soll, aufzubringen. Es stellt sich schon die Frage, warum der Kommissionspräsident nicht einmal zwei Wochen vor der Bundestagswahl und der Wahl in Österreich diesen Vorschlag unterbreitet. Immerhin ist er seit Jahrzehnten ein wesentlicher Akteur in der EU.

Dass seine Rede keine ökonomische Rationalität aufweist, könnte man noch verstehen, denn beim Projekt Eurozone wurde ja mehr oder weniger bewusst darauf gesetzt, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten langfristig nicht gelten, was immer noch nicht bewiesen ist und zum Schaden der Bürger der Eurozone vermutlich auch nie bewiesen werden wird. Dass Herr Juncker aber auch politisches Fingerspitzengefühl vermissen lässt, ist recht ungewöhnlich. Oder wollte er der Bundesregierung einen Knüppel zwischen die Beine werfen?

Was die Zukunft Europas angeht, so scheint der Kommissionspräsident komplett im Widerspruch zur vermutlich einzig nachhaltigen und damit in der langen Frist wahrscheinlichsten Option zu liegen: Variable Geometrie oder Europa á la carte.

Diese Option muss man nicht mögen, sie ist aber auch nicht so übel, wie viele Menschen glauben, die sich unsicher fühlen, wenn andere Leute auf der Party andere Kleidung tragen. Sie ist dennoch eine recht deutlich durchscheinende Alternative. Eine präferenzgerechte Intensität der Integration mit dem Binnenmarkt als Kern dürfte erheblich dazu beitragen, dass die Angst vor der EU in vielen Mitgliedsländern abnimmt und die Vorteile der Integration wieder sichtbarer werden.

Das zu erkennen und zu akzeptieren, ist für jemanden, der dreißig Jahre in einer sich ständig vertiefenden EU einer der treibenden Akteure war, verständlicherweise schwierig. Es wird also noch ein wenig dauern, bis sich die Rationalität Bahn bricht. Aber es wird passieren.

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