Freytags-Frage

Wie kann die EZB ihre Unabhängigkeit retten?

Seite 2/2

Nachhaltigkeit der Wirtschaftspolitik sieht tatsächlich anders aus

All dies macht eine Zinswende in der Zukunft immer unwahrscheinlicher. Der Druck auf die EZB, das Zinsniveau dauerhaft niedrig zu halten, wird weiter steigen, und es wird für sie immer schwerer, zu einer stabilitätsorientierten Geldpolitik zurückzufinden. Dies wird vermutlich dadurch verstärkt, dass die Regierungen in der EWU – auch getrieben von einer zunehmend aggressiv reagierenden und langfristig immer weiter in die Armutsfalle abrutschenden Bevölkerung – immer mehr Geld für soziale Belange ausgeben und den staatlichen Anteil an der Wirtschaft immer weiter erhöhen. Dafür müssen sie immer mehr Schulden aufnehmen, die sie idealerweise gleich drucken lassen. Dann könnte als Ergebnis nicht nur marktwirtschaftliche Ordnung zerstört werden, sondern die Inflationsrate gleich so stark ansteigen, dass die EZB ihr Inflationsziel tatsächlich deutlich – und dieses Mal nach oben – verfehlt.
Wenn dieses Szenario realistisch ist, sieht die Zukunft der Eurozone düster aus.

Denn die Krise würde so zum Dauerzustand werden, und die Stabilität des Währungsraumes bleibe dauerhaft gefährdet. Dadurch wird dann auch die gesamte europäische Integration gefährdet. Leider hat sich die EZB offenbar derartige ordnungspolitische Gedanken nicht gemacht. Oder sie hat diese Überlegungen weit von sich geschoben, ganz im Sinne von Morgenstern: „Weil, so schließt er (sie) messerscharf, ‚nicht sein kann, was nicht sein darf’.“ Das wäre natürlich grob fahrlässig, aber nicht erstaunliche; würde es doch schlüssig zur in den letzten Jahren demonstrierten Wagenburgmentalität europäischer Entscheidungsträger passen.
Dennoch ist es für die notwendige Zinswende nicht zu spät. Dies gilt besonders deswegen, weil dann trotz leicht steigender Zinsen die Regierungen weiterhin Zinskosten reduzieren könnten, indem sie bei fälligen Prolongationen noch immer recht hochprozentige Anleihen gegen – dann im Vergleich zu heute etwas teurere – recht niedrig verzinste Anleihen tauschen könnten.

Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung

Solche Zinserhöhungen würden vermutlich den Regierungen eher einen Reformschub verleihen und gäben Sparern und Banken einen Anreiz, sowohl die Ersparnis als auch die Kreditvergabe zu erhöhen. Allerdings ist der Zeitraum, in dem dies funktioniert gering, denn sobald sämtliche Staatsschulden mit einem Zins nahe bei Null verzinst werden, wird der politische Widerstand gegen Zinserhöhungen zu stark sein.
Die Unabhängigkeit der EZB ist somit tatsächlich in Gefahr, allerdings nicht durch die Kritik aus Berlin, sondern durch die Willfährigkeit gegenüber Rom, Paris und anderen (darunter sicherlich ursprünglich auch Berlin). So interpretiert könnte die Initiative der Unionspolitiker eine ordnungspolitische Wende einleiten, die die Unabhängigkeit der EZB gerade stärkt. Denn nur, wenn sie nicht auf die Wünsche reformunwilliger Regierungen eingehen muss, kann sie eine stabilitätsorientierte Geldpolitik betreiben. Die EZB müsste dann natürlich handeln wollen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%