Freytags-Frage

Wären wir besser dran ohne Regierung?

Italien steht ohne eine handlungsfähige Koalition da, dennoch geht das öffentliche Leben weiter. Welche Rolle spielen Regierungen und brauchen wir sie überhaupt noch?

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huGO-BildID: 30304384 ARCHIV - Die Abgeordneten des neu gewählten italienischen Parlamentes haben sich am 15.03.2013 zur erste Sitzung im Senatssaal in Rom, Italien, versammelt. Die Regierungsbildung zeichnet sich als äußerst schwierig ab. Foto: Guido Montani/ansa (zu dpa «Der populistische Tsunami wirbelt Rom durcheinander» vom 18.03.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Der Kolumnist hat gerade einige Tage in Rom verbracht, wo man gegenwärtig eine Regierung sucht. Zwar ist die alte Regierung noch im Amt, sie scheint im Moment jedoch nicht sehr handlungsfähig zu sein. Dennoch funktioniert das Leben in Italien offenbar ganz normal: Die Züge fahren, die Museen haben geöffnet, die Polizei arbeitet reibungslos, die Schulen sind in Betrieb, an den Universitäten wird geforscht, und die Straßen sind voller Vespas. Mit anderen Worten, alles läuft wie immer und problemlos.

Das wirft die alte Frage auf, welche Rolle Regierungen spielen sollten und welche sie tatsächlich spielen. Wichtig ist die öffentliche (innere und äußere) Sicherheit, die Setzung und Durchsetzung von Regeln, Gesundheit und Soziales, die Bereitstellung öffentlicher Güter, zu denen wir den Verkehr und die Ausbildung zählen können, die Internalisierung von externen Effekten, z.B.im Umweltbereich  sowie die Regulierung von Märkten, auf denen man weiteres Marktversagen, d.h. asymmetrisch verteilte Information und natürliche Monopole erkennt. Somit ist es gerechtfertigt, die Märkte für Versicherungen, Bankgeschäfte und Telekommunikationsdienste zu regulieren.

Dabei belassen es allerdings nur wenige Regierungen, streng genommen fällt uns eigentlich keine ein. Stattdessen wird die Regulierung oft übertrieben. Statt der Beseitigung von Marktversagen wird der regulierte Sektor unterstützt; es gibt zusätzliche Einkommen, sog. Renten zu gewinnen. Wenn die Energiewirtschaft Monopologewinne einfährt, liegt es nicht daran, dass zu wenig, sondern zu viel reguliert wird. Gleiches gilt auf den Märkten für Handwerksdienstleistungen: Anstatt das Problem asymmetrisch zwischen Anbietern und Nachfragern verteilter Informationen zu lösen, schafft der Staat Markteintrittsbarrieren, die die im Markt agierenden Unternehmen (auch als Insider bezeichnet) vor dem potentiellen Wettbewerb (durch die Outsider) schützen.

Außerdem werden zahlreiche Aufgaben von Regierungen in Auftrag gegeben und von staatlichen Institutionen erledigt, die besser von privaten Akteuren übernommen werden. Nicht zu den Kernaufgaben von Regierungen zählt zum Beispiel die Festlegung der Energiepreise, der Aufbau einer (letztlich nicht wettbewerbsfähigen) Solarbranche, die Rettung von zum Teil wüst spekulierenden Bankern oder der Betrieb von Luftfahrtgesellschaften, Stahlwerken, Wohnungsbaugesellschaften und Müllabfuhren. Studien aus vielen Ländern und über viele Industrien und Dienstleistungsbranchen hinweg zeigen, dass private Anbieter systematisch effizienter arbeiten als staatliche.

Brauchen wir eine Regierung? - Die Antwort ist eindeutig

Wer in Italien um die Macht ringt
In Höchstform: Silvio Berlusconi (Mitte-Rechts-Bündnis)Mit Speck fängt man Mäuse. Silvio Berlusconi lockt die Wähler damit, die Eigenheimsteuer abzuschaffen, die bereits bezahlte Steuer zurück zu zahlen und eine Generalamnestie für Steuer- und Bausünden zu erlassen. Auch der viermalige Ministerpräsident Berlusconi stand vergangenes Jahr wegen Steuerhinterziehung vor Gericht.  Hinzu kommen unter anderem Sex-Eskapaden mit der Marokkanerin Ruby im Jahr 2010. Trotzdem ist der Milliardär bei den Italienern beliebt, der aktuell in zahlreichen Talkshows seinen Charme spielen lässt. Der medienerprobte 76-Jährige ist zwar Gesicht und Initiator des Mitte-Rechts-Bündnisses, Kandidat für das Ministerpräsidentenamt ist jedoch Angelino Alfano.Chancen : Laut den letzten Umfragen vom 8. Februar liegt das mögliche Ergebnis des Mitte-Rechts-Bündnisses zwischen 27.8 und 29.5 Prozent. Damit wäre es zweitstärkste Kraft. Berlusconis Ziel ist daher eine möglichst instabile Regierungskoalition, um bei Gesetzesentwürfen mitreden zu können. Quelle: dpa
Berlusconis Marionette: Angelino Alfano (Mitte-Rechts-Bündnis)Sollte Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis die Wahl gewinnen, dann würde nicht Berlusconi, sondern sein ehemaliger Justizminister Angelino Alfano (rechts) Ministerpräsident werden. Da laut Umfragen das Bündnis ohnehin wohl nur zweitstärkste Kraft wird, kann Silvio Berlusconi dies egal sein. Denn er zielt darauf ab, die Regierungskoalition aus der Opposition heraus zu beeinflussen. Sein offizieller Kandidat war bereits wegen Verbindungen zur Mafia in der Presse. Quelle: dpa
Der moderate Mann: Pier Luigi Bersani („Italia. Bene Commune.“)Einen erfahrenen Wirtschaftsexperten schickt das Mitte-Links-Bündnis „Italia. Bene Commune.“ ins Rennen. Ihr Spitzenkandidat Per Luigi Bersani will gegen die Probleme Italiens mit einer gemäßigten Politik vorgehen: Eine moderate Sparpolitik und eine moderate Sozialpolitik stehen auf seinem Programm. Der Sprössling einer Handwerkerfamilie aus bescheidenen Verhältnissen kennt sich auf dem politischen Parkett bestens aus. Der ehemalige Lehrer war unter anderem Wirtschaftsminister unter Romano Prodi und Koalitionspartner von Mario Monti.Chancen : Die letzten Umfragen vom 8. Februar sagen dem Mitte-Links-Bündnis ein Ergebnis zwischen 33,2 und 35 Prozent voraus:  Damit liegt Bersani vorn. Quelle: AP/dpa
Italiens Anti-Politiker: Beppe GrilloEr sieht sich nicht als Politiker, sondern als Aktivist: Beppe Grillo mischt Italiens politische Landschaft mit seiner „MoVimento 5 Stelle“ (Bewegung 5 Sterne) auf. Während sich Berlusconi im Fernsehen inszeniert, sind Internet und öffentliche Plätze die Bühne von Beppe Grillo. TV-Auftritte meidet er, stattdessen spricht er in Italiens Städten. Dabei lockt er stets Menschenmassen an, so wie auf diesem Foto am 16. Februar in Turin. Sein Blog beppegrillo.it gehört zu den erfolgreichsten der Welt. Er selbst tritt jedoch nicht als Spitzenkandidat an – dies erlaubt sein Parteiprogramm nicht, das keine vorbestraften Politiker ins Parlament lassen will. Seine Bewegung tritt überhaupt ohne Spitzenkandidat an. Das gehört zu seinem Feldzug gegen die politischen Verhältnisse.Chancen: Obwohl er politischer Neuling ist, ist Grillos Bewegung laut Umfragen bereits drittstärkste Kraft. Die Prognosen vom 8. Februar gehen von einem Ergebnis zwischen 14,7 und 18,8 Prozent aus. Damit liegt der Aktivist vor dem 2012 abgetretenen Präsidenten Mario Monti. Quelle: dpa
Der gefallene Stern: Mario Monti (Agenda Monti per l'Italia)Der ehemalige italienische Ministerpräsident feierte Erfolge: Er brachte das Land auf Sparkurs und stellte das internationale Vertrauen in Italien wieder her. Doch die zahlreichen eingeführten Abgaben und Steuern machten ihn bei den Wählern wenig populär. Schließlich sprach ihm die Berlusconi-Partei „Popolo della Libertà“ Anfang Dezember 2012 nicht mehr ihr Vertrauen aus, Monti trat zurück. In der jetzigen Parlamentswahl tritt er mit seiner „Agenda Monti per l'Italia“ (Aagenda Monti für Italien) an, die sich aus Parteien der Mitte zusammen setzt. Bei den meisten Italienern wirkt der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar und Mailänder Professor jedoch zu technisch, gestelzt und abgehoben.Chancen: Viertstärkste Kraft soll Mario Montis Bündnis werden, wenn man nach den Umfrageergebnissen vom 8. Februar geht. Demnach erlangt seine Agenda zwischen 12,9 und 16 Prozent der Stimmen. Quelle: dpa
Der Mafia-Schreck: Antonio Ingroia (Rivoluzione Civile)Als Staatsanwalt widmet sich der 53-Jährige Antonio Ingroia dem Kampf gegen die Mafia, mit der er auch in zahlreichen Publikationen auseinander setzt. Mit der neu gegründeten "Rivoluzione Civile", der "Bürgerlichen Revolution" ist er nun in den Wahlkampf gezogen, der vor allem Mitte-Links-Parteien angehören.Chancen: Antonio Ingroias Bündnis bildet laut Umfragen das Schlusslicht unter den aussichtsreichsten Kandidaten. Die Prognosen vom 8. Februar gehen von einem Ergebnis zwischen 3,7 und fünf Prozent aus. Quelle: Reuters

Hinzu kommt ein Weiteres; Regierungen verhalten sich oftmals im Ergebnis gegen die Interessen ihrer Bürger. So ist nicht recht verständlich, warum die Bundesregierung eine Energiewende anberaumt, ohne die Voraussetzungen auf der Ebene der Infrastruktur auch nur zu bedenken geschweige denn zu schaffen, warum in Deutschland zahlreiche staatliche Großprojekte unglaublich stümperhaft angegangen werden, warum ohne Not und offenbar auch ohne jeden Plan die Wehrpflicht abgeschafft wird und warum die Bundesregierung geltendes EU-Recht einfach übergeht, um mit deutschen Steuergeldern griechische, spanische und zypriotische Eliten sowie Banker aus der ganzen Welt vor Vermögensverlusten zu bewahren (unter anderem mit der Folge, als Nazis beschimpft zu werden!).

Italien weiterhin ohne neue Regierung

Wären wir also besser dran ohne Regierung? Italien macht es ja vor, und Belgien ist sogar mehr als ein Jahr ohne Regierung gut gefahren.

Um es klar zu sagen, die Antwort ist negativ. Wir brauchen eine Regierung, und zwar eine gute Regierung! Dies ist natürlich eine alberne Forderung, denn die Regierung ist nur so gut, wie sie sein muss, um nicht abgewählt zu werden. In Deutschland muss man zur Zeit offenbar nicht besonders gut sein, um dieses Schicksal abzuwenden. Es reicht, wenn man den Eindruck vermittelt, alles im Griff zu haben.

Also formulieren wir es anders: Wir brauchen eine Regierung, die ernsthaftem Wettbewerb ausgesetzt ist, deren Politik also nicht alternativlos ist. Dies liegt nur an uns selbst. Wir können selber mit Forderungen oder alternativen Angeboten die politischen Eliten unter Druck setzen, damit diese wieder Politik für und nicht gegen die Bevölkerung machen. Selbst wenn die Alternativen nicht erfolgreich sind, können sie doch die Diskussion verändern und - um in der Sprache der Wettbewerbspolitik zu sprechen - den Incumbent (auf deutsch: den Altsassen) so unter Druck setzen, dass er die Nachfrager (im Beispiel der Politik die Bürger) wieder ernst nimmt. Mit anderen Worten: Auch der politische Markt muss wieder bestreitbar werden! Packen wir es an!

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