
Der EU-Kommissar für Soziales, Beschäftigung und Integration, László Andor, forderte die Deutschen in einem Zeitungsinterview am 29. April zum wiederholten Male auf, mehr auszugeben und weniger zu exportieren. Dabei sprach er von Lohndumping und verwies auf die Exportüberschüsse. Um die anderen Länder zu stärken, müsse Deutschland vom Exportmodell Abschied nehmen, das Sparen unterlassen und Mindestlöhne einführen.
Dies ist blanker Unsinn! Die Zusammenhänge, die der Kommissar hier festzustellen glaubte, sprechen der volkswirtschaftlichen Theorie und den gesamtwirtschaftlichen Fakten Hohn.





Erstens: Die absolute Lohnhöhe ist für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit nicht entscheidend. Relevant sind die Lohnstückkosten. Diese sind in der Tat in der letzten Dekade in Deutschland wesentlich moderater gestiegen als in den meisten anderen Euroländern, allen voran die heutigen Krisenländer. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass die deutschen Lohnstückkosten in der Dekade zuvor erheblich schneller angestiegen sind als in den Partnerländern. Es hat sozusagen eine Korrektur stattgefunden.
Zweitens: In der Exportindustrie selber wird gut verdient; ihre Erfolge resultieren aus Produktivitätsfortschritten und Anpassungsflexibilität. Dies ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die deutsche Wirtschaft durch eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen gekennzeichnet ist. Das ist z.B. in Frankreich anders; die dortigen Großunternehmen, die zudem eng mit staatlichen Akteuren verbandelt sind, können diese Flexibilität nicht aufbringen. Hier müssen die französische Regierung und die Europäische Kommission ansetzen.
Drittens: Die deutschen Exportmärkte sind nicht nur in Europa beheimatet. Deutsche Exporte werden zu über 60 Prozent außerhalb der Eurozone abgenommen (mit steigender Tendenz seit 1999). Verteuern sich die deutschen Exporte, gewinnen keineswegs automatisch andere Europäer.
Viertens: Das Problem (zu) niedriger Löhne in Deutschland findet sich vornehmlich im Sektor der nicht-handelbaren Güter und Dienste (auch Binnengüter genannt), also den Sektoren, die mit dem Außenhandel bestenfalls indirekt zu tun habe, nämlich als Vorleistung für Exporte oder mit Importen konkurrierende Güter. Sie selber haben kaum ausländische Konkurrenz (außer in Grenzgebieten): Es handelt sich z.B. Friseure, Wachdienste, Einzelhandel. Ein Mindestlohn hier (der mit Sicherheit unter dem Gleichgewichtslohn in der Exportindustrie liegen wird) verringert die deutschen Exporte kaum, es sei denn nicht-handelbare Güter und Dienste verteuern sich dadurch als Vorleistungen stark.