
Ein US-Präsident besucht Deutschland, kommt aber nicht nach Berlin, sondern reist zur Hannover-Messe. Barack Obamas Stippvisite in die niedersächsische Handelshauptstadt in dieser Woche war vor allem ein Signal an die Deutschen, denn vielen ist nicht klar, dass die USA der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik sind. Knappe zehn Prozent deutscher Exporte (über 113 Milliarden Euro) gingen 2015 in die USA, damit sind die USA noch vor Frankreich der wichtigste Exportmarkt für die deutschen Hersteller. Und knappe fünf Prozent (fast 60 Milliarden Euro) unserer Importe stammen aus den USA; das bedeutet Platz 4 der Importstatistik.
Obwohl es im Zuge der alles überschattenden Flüchtlingskrise der Europäischen Union (EU) etwas ruhiger um die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) geworden ist, ist der Widerstand gegen TTIP immer noch enorm. In den Niederlanden werden im Moment Unterschriften für ein Referendum gegen TTIP gesammelt. Am Samstag vor der Eröffnung der Messe versammelten sich etwa 30.000 TTIP-Gegner in Hannover. Die Demonstration war friedlich, der Ton bleibt aber aggressiv und oftmals unversöhnlich.
TTIP-Gegner gehen kaum auf Diskussionen ein
Beim Widerstand gegen TTIP fallen zuvorderst drei Dinge auf. Erstens nehmen die Gegner offenbar gar nicht zur Kenntnis, dass ihre Kritik bereits zahlreiche Änderungen der Agenda und der Kommunikation hervorgerufen hat. Das ist vor allem vor dem Hintergrund ärgerlich, dass gerade die Sorge um die Demokratie im Vordergrund vieler kritischer Äußerungen stand. Ist es demokratisch, überhaupt nicht in die Sachdiskussion einzusteigen?
Was ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA bringt
Die Zölle zwischen den USA und den EU sind bereits niedrig. Sie liegen im Schnitt zwischen fünf und sieben Prozent, sagt der deutsche Außenhandelsverband BGA. Da jedoch jährlich Waren im Wert von mehr als einer halben Billion Euro über den Atlantik hin- und herbewegt werden, kann die Wirtschaft Milliarden sparen. Europäische Chemieunternehmen haben 2010 für Exporte in die Vereinigten Staaten fast 700 Millionen Euro in die US-Staatskasse gezahlt. Umgekehrt führten die USA gut eine Milliarde Euro nach Brüssel ab. Wirtschaftsverbände erwarten durch den Fall der Zollschranken weniger Bürokratie für mittelständische Unternehmen und mehr Geld für Investitionen, etwa in Forschung und Entwicklung.
Die deutsche Wirtschaft verspricht sich Impulse in Milliardenhöhe. "Das Freihandelsabkommen könnte unsere Exporte in die Vereinigten Staaten um jährlich drei bis fünf Milliarden Euro erhöhen", sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland (AmCham) rechnet mit einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 1,5 Prozent. Viele Unternehmen hoffen zudem darauf, einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA zu bekommen.
Fast unlösbar scheinen die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den USA und der EU in Fragen der Landwirtschaft. "Für die Amerikaner sind Hormonfleisch und Genmais kein Problem, für Europäer ist das dagegen ein 'No-Go'", sagt der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Da kann man sich auch nicht in der Mitte treffen." Die Handelskammer AmCham empfiehlt daher, dass Thema außen vor zu lassen. "Das Thema Agrar würde die Gespräche nur belasten", sagt AmCham-Ehren-Präsident Fred Irwin. "Deshalb wäre es gut, das beiseite zu schieben."
Bei der Angleichung technischer Standards. "Das fängt bei der Länge der Stoßstangen an und hört beim Krümmungswinkel des Rückspiegels auf", sagt BGA-Experte Nagel. "Hier gibt es seit Jahrzehnten unterschiedliche Standards, die sich nicht in wenigen Jahren angleichen lassen." Die Chemieindustrie fordert, vor allem Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz stärker aufeinander abzustimmen.
Die deutschen Exporteure warnen davor, aus dem Freihandelsabkommen eine Art Wirtschafts-Nato zulasten anderer Handelspartner zu schmieden. "Uns stört das Gerede um eine Wirtschafts-Nato", sagte der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Ein Freihandelsabkommen ist nicht dazu da, sich gegen Dritte abzuschotten nach dem Motto 'Jetzt verbünden wir uns gegen die bösen Chinesen'." In der Politik wird das zum Teil genau andersherum gesehen. "Es bleibt nur noch wenig Zeit, gemeinsam mit den USA Standards zu prägen, bevor Wachstumsmärkte wie China und Indien den Takt angeben", sagte der Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrats, Thomas Raabe.
Sie können Produkte billiger einkaufen, verspricht beispielsweise der Verband der Automobilindustrie (VDA). "Das würde auch die Kosten eines Autos für den Verbraucher senken", sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Auch andere Branchen können mit einer Kostensenkung rechnen. Ob sie den Vorteil an ihre Kunden weitergeben oder den eigenen Gewinn damit steigern, bleibt ihnen überlassen. Produkte können außerdem schneller erhältlich sein, wenn sie einheitlich zugelassen werden - etwa wenn die US-Aufsicht FDA ein neues Medikament freigibt, das damit automatischen die Zulassung in den EU erhält. (Quelle: Reuters)
Zweitens scheinen viele Gegner typische Vertreter der Mittelschicht zu sein. Ihre Jobs und die zukünftigen Arbeitsplätze ihrer Kinder hängen maßgeblich von einer funktionierenden und entsprechend offenen Wirtschaft ab.
Dass sie dies in ihrem Urteil nicht berücksichtigen, passt drittens irgendwie verhängnisvoll in die Zeit (und korrespondiert zudem mit der ersten Beobachtung): Ausländerfeindlichkeit gegen Flüchtlinge, Nationalismus in Europa, der drohende Brexit sowie eine weitverbreitete Grundstimmung gegen Freihandel spiegeln eine allgemeine tiefsitzende Verunsicherung angesichts zahlreicher komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen sowie den Wunsch nach einfachen Lösungen wider und erinnern fatal an den Isolationismus der 1930er Jahre.
Deshalb sollten diejenigen, die den Abschluss von TTIP als ein Mittel, nicht das schlechthin, zur Aufrechterhaltung des Wohlstandes hierzulande betrachten, ihre eigenen Argumente sorgfältig bedenken und diejenigen der Kritiker ernst nehmen. Letzteres fällt vor allem dann schwer, wenn der Eindruck überwiegt, es gehe gar nicht mehr um das bessere Argument. Dennoch lohnt es sich!
Worum geht es bei TTIP? Das geplante transatlantische Abkommen geht über ein reines Freihandelsabkommen hinaus, weil es auch Kooperationen bei Regulierungen und Investitionsschutzabkommen vorsieht. Seine globale Bedeutung erführe der transatlantische Wirtschaftsraum durch seine schiere Größe: Er würde rund 40 Prozent des Welt-BIP und ein Drittel des Welthandles umfassen.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Das Ziel der Vereinbarungen ist es erstens, eine Freihandelszone zu schaffen, was angesichts der Komplexität der Wertschöpfungsketten nicht einfach ist. Zölle abzubauen ist dabei der kleinste Schritt; der auch deshalb leicht fällt, weil die Durchschnittszölle in der EU und den Vereinigten Staaten ohnehin schon sehr niedrig sind. Deshalb liegt der Schwerpunkt auf dem Abbau sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse; darunter fallen Regulierungen, Subventionen, diskriminierende Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens und Verwaltungsvorschriften, wettbewerbspolitisch motivierte Industriepolitik und ähnliches. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Standards, die nach Auffassung vieler Kritiker durch TTIP nach unten abgesenkt werden könnten. Dem ist in der Tat vorzubeugen.