Freytags-Frage
Welche Folgen hat das Postengeschacher in Brüssel? Quelle: REUTERS

Welche Folgen hat das Posten-Geschacher in Brüssel?

Den EU-Personalpoker haben die Staats- und Regierungschefs mit der Nominierung anderer Kandidaten beendet, als ursprünglich auf dem Tableau standen. Was bedeutet die Wahl der Politiker für die nähere Zukunft der EU?

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Endlich gibt es Klarheit – wenigstens für die nächsten Tage, bis das Europaparlament über die neue Kommissionspräsidentin abstimmt. Nach intensiven Verhandlungen und vielen Bluffs, Vetos und Beleidigungen hat sich der Europäische Rat auf die Neubesetzung von vier Spitzenpositionen geeinigt. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen soll Kommissionspräsidentin werden, der Belgier Charles Michel wird als Ratspräsident vorgeschlagen, und der Spanier Josip Borrell soll Hoher Beauftragter, sozusagen der europäische Außenminister werden. Auf Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) soll die bisherige IWF-Chefin Christine Lagarde folgen. Damit sind die politischen Lager einigermaßen vollständig und drei große Länder sowie das Gründungsmitglied Belgien vertreten.

Viele Kommentatoren haben sich zur Befähigung der vier Kandidaten geäußert; es war von zweiter oder dritter Wahl die Rede; Sorgen über die Zukunft der Geldpolitik wurden laut, aber auch Lob über die Fähigkeiten im Krisenmanagement vor allem der beiden Damen. Diese Fragen nach der Leistungsfähigkeit sind aber zu trennen von den Fragen, wie der Prozess der Entscheidungsfindung wahrgenommen wird und welche Konsequenzen er hat.

Erstens wird die Hinterzimmer-Verhandlungsführung kritisiert. Offenbar wollen viele Menschen, dass Verhandlungen heute total transparent und offen geführt werden – dann könnte man sie sich vermutlich sparen, denn es geht immer um Interessen, Kompromisse und die Gesichtswahrung. Das kann nur in einer gewissen Abgeschiedenheit geschehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es absurd, Verhandlungen in geschlossenem Kreis als undemokratisch zu verurteilen.

Eine zweite Kritik wiegt da schon etwas schwerwiegender. Offenbar war die ursprüngliche Absicht, den erfolgreichen Spitzenkandidaten im Europawahlkampf zum Kommissionspräsidenten zu küren, zumindest von den Regierungschefs der Europäischen Union (EU) nie richtig ernst gemeint. Denn sowohl der französische Präsident Emanuel Macron als auch der ungarische Ministerpräsident Victor Orban hatten eine jeweils sehr klare Haltung gegen den Kandidaten der EVB, Herrn Weber, beziehungsweise den sozialdemokratischen Kandidaten, Herrn Timmermans. Es ist unwahrscheinlich, dass sie diese Haltung seit dem Wahltag, also seit Ende Mai entwickelt haben und sich vorher nicht darüber im Klaren waren. Die Gegenargumente gegen beide Kandidaten beziehen sich nicht auf diesen Zeitraum.

Im europäischen Parlament, das sich bereits einmal massiv gegen einen Kommissionspräsidenten gewehrt und den Prozess der Neubesetzung dadurch erheblich verzögert hat, dürfte diese Missachtung eines wichtigen Anliegens der Parlamentarier für Verstimmung sorgen. Noch ist nicht klar, ob Frau von der Leyen wirklich gewählt wird. Denkbar ist allerdings, dass die Wahl in knapp zwei Wochen gegen einige Zugeständnisse an das Parlament (z. B. Initiativrecht oder länderübergreifende Listen) erkauft werden wird – also das berühmte Hinterzimmer in diesem Zeitraum brummen wird. Ob ein solches Vorgehen der europäischen Sache dient, ist offen.

Noch eines wird den europäischen Bürgern anhand des Prozesses der Entscheidungsfindung deutlich ins Gedächtnis gerufen. Es sind alle Beteiligten solange glühende Europäer, solange es ihren Interessen dient. Ansonsten geht es wohl doch um nationale Interessen. Die Berufung des Außenbeauftragen, Herrn Borrell aus Spanien, soll ein Teil des Deals gewesen sein, damit die spanische Regierung zustimmt – Spanien war nach eigenem Empfinden wohl einfach mal dran. Das dachte man in Deutschland im Grunde genommen auch hinsichtlich der Leitung der EZB; aber es schien der deutschen Regierung wichtiger zu sein, die Kommissionspräsidentin zu stellen. Frankreich glaubt scheinbar, immer dran zu sein, und die Osteuropäer wollten einen in der Flüchtlingsdebatte liberal und moderat auftretenden Kommissionspräsidenten verhindern. Dies sind nur die auffälligsten Beispiele.

Es kann nur spekuliert werden, ob zudem noch finanzielle Absprachen getroffen wurden. Auszuschließen ist es nicht, gerade vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen über die nächste Budgetperiode. Deutlich wird auf jeden Fall, dass man den Begriff „Europäische Werte“ immer mit einer Währungseinheit verbunden denken sollte. Ansonsten verkommt er schnell zur hohlen Phrase.

Das ganze Prozedere wird auf jeden Fall diejenigen befeuern, die in der EU ein bürokratisches Monster oder den Ausverkauf der nationalen Interessen sehen. Die Populisten in den nationalen Parlamenten, aber auch im Europaparlament, dürften sich veranlasst sehen, ihre groben Attacken auf die EU zu verschärfen. Deshalb ist es wichtig, dass die Neubesetzung der Posten jetzt schnell und in großer Geschlossenheit (damit ist nicht Einstimmigkeit, aber ein fairer Umgang gemeint) abgeschlossen wird.
Wenn dieser Prozess reibungslos abläuft, muss man nichts Schlimmes befürchten. Immerhin ist die Bilanz der Europäischen Kommission unter dem Präidenten Juncker nicht allzu erfolgreich: In seine Amtszeit fielen der Brexit mit den anschließenden Verhandlungen, der innereuropäische Konflikt um die Flüchtlingsströme, der weitere Aufstieg der Populisten und der Beginn der Handelskriege. Diese Ereignisse ihm anzulasten, wäre natürlich weder fair noch sinnstiftend. Allerdings kann man auch nicht behaupten, dass die EU-Kommission diese Problem meisterhaft bewältigt oder zu ihrer Lösung beigetragen hätte. Es ist nicht zu erwarten, dass eine neue Kommission unter einer sehr erfahrenen Präsidentin diese Messlatte reißen wird.

Die Nachfolger von Ratspräsident Tusk und der EU-Außenbeauftragten Mogherini haben da mehr zu leisten. Diese beiden Posten waren eher gut besetzt. Viel Spielraum zur eigenen Gestaltung scheinen beide Posten nicht herzugeben. Dennoch waren beide sichtbar. Es ist zu früh zu beurteilen, wie die Nachfolger einschlagen.

Was die Geldpolitik angeht, die große Sorge der Deutschen, kann man wohl mit einer Fortführung der bisherigen Nullzinspolitik rechnen (das hätte man allerdings auch mit einem deutschen EZB-Präsidenten). Vielleicht kann man hoffen, dass Frau Lagarde sich etwas resoluter gegen die Forderungen der Finanzminister nach geldpolitischer Alimentierung unsolider Finanzpolitik zur Wehr setzt. Immerhin steht die Unabhängigkeit der EZB auf dem Spiel.

Vor diesem Hintergrund sollte man doch erwarten, dass die Aufregung sich bald legt. Das Prozedere der vier Neubesetzungen ist so verlaufen, wie man es kannte und wie es zu erwarten war. Die Folgen des Postengeschachers sind zunächst gering. Nun kommt es auf die Arbeit der neuen Amtsträger an.

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