
Es war eine vielbeachtete und beachtliche Rede zu Europa. Vergangene Woche sprach Bundespräsident Joachim Gauck über den europäischen Staatenbund. "Europa: Vertrauen erneuern - Verbindlichkeit stärken", nannte er seine Rede. Ohne die Details anzusprechen, ist der Bundespräsident auf die enorme Bedeutung der europäischen Integration für alle Menschen in ganz Europa eingegangen; sämtliche relevanten Facetten wurden beleuchtet. Ein Schwerpunkt lag auf der Bedeutung der Vielfalt, die Europa zu bieten hat und die das Pfund ist, mit dem wir Europäer wuchern können. Besonders wichtig, spürbar und selbstverständlich ist die europäische Integration für die Generation der Twens und jünger. Sie kennen keine Welt ohne "Europa".





Anders als viele Politiker, die die europäische Integration und ihre Bedeutung beschwören, hat der Bundespräsident darauf verzichtet, als Jubler aufzutreten und alle Kritik und Skepsis am Detail als nationalistischen Populismus oder populistischen Nationalismus abzutun. Ganz im Gegenteil: Er hat deutlich gemacht, dass die Sorgen der Menschen und ihre Bedenken gegen Regelbruch, unkritische Hilfsmaßnahmen, Gängelung durch Geldgeber sowie die Arroganz der Eurokraten ernst zu nehmen sind. Es wurde auch (zumindest zwischen den Zeilen) deutlich, dass die Gefahr für die Integration nicht so sehr von den Skeptikern, sondern viel mehr von den politischen Verursachern der Krise ausgeht.
Aller Kritik zum Trotz überwiegt das positive Fazit, und das völlig zu Recht. Die europäische Integration muss bewahrt werden, und zwar annähernd um jeden Preis. Allerdings - und auch das wurde deutlich in der Rede des Bundespräsidenten - nicht in monotonem Tempo und auf kürzester Strecke. Gelegentlich gilt es innezuhalten und über den richtigen Weg zu "streiten"; Herr Gauck sprach von der Agora und der Bürgergesellschaft, die er in dieser Agora um den richtigen Weg ringen sehen möchte. Ihm ist zuzustimmen.
In gewisser Weise haben die italienischen Wähler ihm nur drei Tage später rechtgegeben. Allerdings haben sie ihre Zustimmung auf einigermaßen absurde Art kundgetan, indem sie nämlich zwei Politclowns so viele Stimmen gegeben haben, dass das Land in eine Pattsituation mit nicht absehbaren Folgen für Italien, die EWU und die gesamte Europäische Union (die Befindlichkeiten des Finanzsektors sind zu vernachlässigen) gestürzt haben.
Zum Ausdruck kommen bei der Wahl vor allem die Frustration und Unsicherheit, die im ersten Teil der Europarede angesprochen werden. Dass Mario Monti für seine rationale - wenn auch letztlich im Ergebnis zu zaghafte - Reformpolitik so abgestraft wird, hängt vermutlich auch mit der Besserwisserei der europäischen Eliten zusammen. Auch in Italien scheint sich der Eindruck zu verfestigen, Opfer einer europäischen Austeritätspolitik ohne Augenmaß und Rücksicht auf nationale Eigenheiten zu sein. Dass die Reformpolitik auch ohne Euro notwendig geworden ist, spielt dabei keine Rolle.