Freytags-Frage
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Wird Europa dank Trump wieder groß?

Die Weltmächte ducken sich weg und verfolgen eine verantwortungslose Handelspolitik. Jetzt muss die EU ihre Chance ergreifen und den Ton angeben – mit Frankreich und Deutschland an der Spitze.

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Der erste Antrittsbesuch nach ihrer Wiederwahl führt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Paris. An diesem Freitag ist sie bei Präsident Emmanuel Macron zu Gast. Frankreichs Erwartungen sind einerseits hoch, weil die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag deutlich für Europa ausgesprochen hat. Andererseits dürfte Merkels Absage an eine Schuldenvergemeinschaftung Macron enttäuscht haben. Dass es heute zur Haftungsunion kommt, ist unwahrscheinlich.

Dessen ungeachtet könnten die Kanzlerin und der Präsident heute wichtige Weichen stellen. Durch die verantwortungslose Handelspolitik der USA, die Intensivierung des Kalten Krieges durch die russische Regierung und das zunehmend autokratische und regellose Verhalten der chinesischen Führung steigt der Bedarf nach rationaler und regelkonformer Politik dramatisch an.

Das ist die Chance, auf die Europa gewartet hat. Bislang war es nach eigenem Empfinden zu klein, um die Weltpolitik zu gestalten. Durch das Wegducken der Weltmächte und deren egozentrischer, irrationaler Politik kann Europa mit geschickten Initiativen eine regelgebundene, internationale Ordnung wiederherstellen. Anstatt sich in nutzlosen innereuropäischen Verteilungskonflikten aufzureiben, sollten die Regierungschefs in größeren Dimensionen denken und handeln.

„Tausende Arbeitsplätze in Europa sind gefährdet“
Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin Quelle: dpa
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz Quelle: REUTERS
Sigmar Gabriel (SPD), Bundesaußenminister Quelle: dpa
Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident Quelle: AP
Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl Quelle: dpa
Brigitte Zypries (SPD), Bundeswirtschaftsministerin Quelle: dpa
Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Quelle: dpa

Es gibt verschiedene Wege, europäische Pflöcke einzuschlagen. Der nächstliegende Vorschlag bezieht sich auf den internationalen Handel: Zu Recht haben sich die europäischen Politiker aller Fraktionen gegen die protektionistischen Maßnahmen der US-Administration ausgesprochen. Diese richten sich nicht explizit gegen Dumping – was im Falle chinesischer Stahlexporte vermutlich richtig wäre – sondern werden mit Sicherheitsinteressen begründet. Das ist blanker Unsinn, denn am sichersten ist die Versorgung mit wichtigen Gütern dann, wenn sie von vielen Seiten und auf Wettbewerbsmärkten gewährleistet wird.

Allerdings haben auch diejenigen recht, die die europäische Handelspolitik wegen einiger protektionistischer Übertreibungen – vor allem gegenüber Entwicklungsländern – kritisieren. Hier könnten Merkel und Macron in Vorleistung treten: eine einseitige Liberalisierung Europas in der Landwirtschaft, eine Öffnung europäischer Märkte, die Abschaffung der Zolleskalation in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie und einen Abbau von Subventionen für europäische Landwirte. Der Widerstand gegen eine entwicklungsfreundliche gemeinsame Agrarpolitik kommt vor allem aus Frankreich und Deutschland. Sie – und nur sie – wären also zu diesen Ankündigungen in der Lage.

Um den Widerstand zu überwinden würde es vermutlich reichen, auf produktbezogene Subventionen und Zölle zu verzichten und stattdessen zunächst hohe, dann langsam auslaufende, produktneutrale Zahlungen an heutige Landwirte zu leisten. Zudem könnte man neben den bisherigen Geldern auch einen Teil der Entwicklungshilfegelder verwenden.

Die Vorteile einer Vereinbarung

Im Anschluss an die Ankündigung und die ersten glaubwürdigen Schritte in Form von einseitiger Liberalisierung könnten Deutschland und Frankreich zu einer Konferenz aller Regierungschefs der Welthandelsorganisation (WTO) einladen, auf der wesentliche Schritte zu einer weiteren multilateralen Liberalisierungsrunde eingeleitet würden, die weit über den Agrarhandel hinausgingen. Idealerweise würde noch auf der Konferenz eine Vereinbarung getroffen werden.

Eine solche Vereinbarung hätte mehrere Vorteile: Es würden konkrete Maßnahmen gegen das Flüchtlingsproblem ergriffen. Von einer Öffnung der Agrarmärkte in der westlichen Welt darf man sich signifikante Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft der Entwicklungsländer versprechen, die zu Spillovers in anderen Sektoren führen könnten. Damit würde zumindest mittelfristig der Wanderungsdruck für gut ausgebildete junge Menschen aus Afrika sinken. Zudem würden die Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, dann als Märkte für europäische Unternehmen interessant.

Darüber hinaus zeigten die Europäer dem US-Präsidenten damit, dass sie „auch stark“ sind. (Eine andere Sprache als diejenige Halbwüchsiger scheint der Präsident nicht zu verstehen.) Das Betteln der europäischen Handelspolitiker in den letzten Tagen darum, eine Ausnahme bei den Zöllen zu erhalten, ist nicht nur auf unerträgliche Weise untertänig und weinerlich, sondern auch nicht zielführend. Die Asiaten, die gerade die transpazifische Vereinbarung (TPP) ohne die USA unterschrieben haben, zeigen, wie man mit dem Präsidenten umzugehen hat.

Letztlich würden sich Merkel und Macron als große Europäer beweisen, was sie mit einer Haftungsunion innerhalb der Eurozone garantiert nicht schaffen würden. Wären die Vereinigten Staaten unter Präsident Trump nicht bereit, sich an dieser Konferenz und Verhandlungsrunde zu beteiligen, wäre das kein Problem. In der Runde könnte man sich auf plurilaterale Ergebnisse einigen, die für diejenigen, die nicht mitmachen wollten, nicht gelten würden. Kehren die USA, zum Beispiel unter einem neuen Präsidenten, an den Verhandlungstisch zurück, wäre es ein Leichtes, sie zu integrieren.

Die neue Bundesregierung hat die Chance, ihre Kritiker, die ihr Mutlosigkeit vorwerfen, Lügen zu strafen und den großen Wurf zu wagen. Vielleicht sorgt Präsident Trump ja – ohne es zu wollen – dafür, dass die Welt doch wieder besser wird. Angela Merkel und Emmanuel Macron müssen die Chance nur nutzen.

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