Der erste Antrittsbesuch nach ihrer Wiederwahl führt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Paris. An diesem Freitag ist sie bei Präsident Emmanuel Macron zu Gast. Frankreichs Erwartungen sind einerseits hoch, weil die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag deutlich für Europa ausgesprochen hat. Andererseits dürfte Merkels Absage an eine Schuldenvergemeinschaftung Macron enttäuscht haben. Dass es heute zur Haftungsunion kommt, ist unwahrscheinlich.
Dessen ungeachtet könnten die Kanzlerin und der Präsident heute wichtige Weichen stellen. Durch die verantwortungslose Handelspolitik der USA, die Intensivierung des Kalten Krieges durch die russische Regierung und das zunehmend autokratische und regellose Verhalten der chinesischen Führung steigt der Bedarf nach rationaler und regelkonformer Politik dramatisch an.
Das ist die Chance, auf die Europa gewartet hat. Bislang war es nach eigenem Empfinden zu klein, um die Weltpolitik zu gestalten. Durch das Wegducken der Weltmächte und deren egozentrischer, irrationaler Politik kann Europa mit geschickten Initiativen eine regelgebundene, internationale Ordnung wiederherstellen. Anstatt sich in nutzlosen innereuropäischen Verteilungskonflikten aufzureiben, sollten die Regierungschefs in größeren Dimensionen denken und handeln.





Es gibt verschiedene Wege, europäische Pflöcke einzuschlagen. Der nächstliegende Vorschlag bezieht sich auf den internationalen Handel: Zu Recht haben sich die europäischen Politiker aller Fraktionen gegen die protektionistischen Maßnahmen der US-Administration ausgesprochen. Diese richten sich nicht explizit gegen Dumping – was im Falle chinesischer Stahlexporte vermutlich richtig wäre – sondern werden mit Sicherheitsinteressen begründet. Das ist blanker Unsinn, denn am sichersten ist die Versorgung mit wichtigen Gütern dann, wenn sie von vielen Seiten und auf Wettbewerbsmärkten gewährleistet wird.
Allerdings haben auch diejenigen recht, die die europäische Handelspolitik wegen einiger protektionistischer Übertreibungen – vor allem gegenüber Entwicklungsländern – kritisieren. Hier könnten Merkel und Macron in Vorleistung treten: eine einseitige Liberalisierung Europas in der Landwirtschaft, eine Öffnung europäischer Märkte, die Abschaffung der Zolleskalation in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie und einen Abbau von Subventionen für europäische Landwirte. Der Widerstand gegen eine entwicklungsfreundliche gemeinsame Agrarpolitik kommt vor allem aus Frankreich und Deutschland. Sie – und nur sie – wären also zu diesen Ankündigungen in der Lage.
Um den Widerstand zu überwinden würde es vermutlich reichen, auf produktbezogene Subventionen und Zölle zu verzichten und stattdessen zunächst hohe, dann langsam auslaufende, produktneutrale Zahlungen an heutige Landwirte zu leisten. Zudem könnte man neben den bisherigen Geldern auch einen Teil der Entwicklungshilfegelder verwenden.