Freytags-Frage

Was ist der europäische Fiskalpakt noch wert?

Seite 2/2

Zombie-Banken finanzieren Zombie-Staaten

Gleichzeitig wissen alle Beteiligten nur zu gut, dass es ohne fiskalische Disziplin überhaupt keinen ernsthaften Anreiz zu Reformen gibt. Das heißt: Die mit neuen Schulden gekaufte Zeit wird verschwendet. Ohne Reformen gibt es keine Investitionsanreize, ohne Investitionen gibt es keinen Aufschwung, ohne Aufschwung wird es auch im nächsten Jahr neue Schulden geben müssen.

Starker Norden, schwacher Rest
Platz 81 - Griechenland:Griechenland ist am härtesten von der Euro-Krise getroffen worden – überwunden hat es sie noch lange nicht. Der griechische Gütermarkt liegt weltweit auf Platz 85, was zum einen an dem schwachen Wettbewerb liegt (Rang 71) und zum andern an dem unflexiblen Arbeitsmarkt (Rang 118). Nichtsdestotrotz fruchten die Reformen: Das Haushaltsdefizit hat sich verringert. Will Griechenland wieder wettbewerbsfähig werden, ist die Arbeit damit aber noch lange nicht getan. Griechenlands Institutionen sind nach wie vor ineffizient, ebenso die Regierung (Rang 129). Der Finanzmarkt hat sich von der Krise bis heute nicht erholt (Rang 130), genau so wenig der Bankensektor (Rang 141). Der Zugang zu Krediten gehört zu einem der größten Probleme der griechischen Wirtschaft (Rang 136). Die Innovationsfähigkeit Griechenlands (Rang 109) und das Bildungssystem (Rang 111) sind ebenfalls große Baustellen. Es ist noch viel zu tun. Quelle: dpa
Platz 49 - Italien:Weit vor Griechenland aber immer noch weit entfernt von einer Topplatzierung liegt Europas drittgrößte Volkswirtschaft: Italien. Die staatlichen Institutionen gelten als ineffizient (Rang 106) genau so wie die Arbeit der Regierung (Rang 143). Der Arbeitsmarkt ist unflexibel und trägt nicht zum Aufschwung bei (Rang 136). Auch finanziell läuft es in Italien nicht besonders gut. Die Unternehmen leiden nach wie vor unter den Schwierigkeiten, an frisches Geld zu kommen (Rang 139) und an den hohen Steuern (Rang 134). Italien hat Reformen dringend nötig, die helfen, seine guten Voraussetzungen zu nutzen. Es verfügt über starke Unternehmen (Rang 25), die ein nicht zu verachtenswertes Innovationspotenzial haben (Rang 39) und sich auf wettbewerbsintensiven Märkten messen (Rang 12). Solange Italien aber nicht die notwendigen Reformen umsetzt, wird es sein Potenzial nicht umsetzen können und weiter wenig wettbewerbsfähig sein. Quelle: dpa
Platz 36 - Portugal:Die Probleme der Banco Espirito Santo rufen den Portugiesen die beinahe überwunden geglaubte Finanzkrise zurück in die Erinnerung. Entmutigen lassen sollte sich das Land davon aber nicht. Ganze 15 Ränge ist es seit dem vergangen Jahr aufgestiegen, was zeigt, dass die ambitionierten Reformen wirken. Der Arbeitsmarkt ist flexibler geworden (Rang 119) – allerdings ist hier noch einiges zu tun. Weiter aufbauen kann Portugal auf seine starke Infrastruktur (Rang 18) und seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte (Rang 29). Die Konzerne in Portugal haben allerdings nach wie vor ein Schuldenproblem (Rang 129), ebenso der Staat selbst (Rang 138). Der Finanzsektor hat sich bis jetzt nur minimal erholt (Rang 104), weswegen der Zugang zu Krediten weiter eingeschränkt ist (Rang 108). Der Arbeitsmarkt muss flexibler werden (Rang 40) und an der Innovationsfähigkeit muss auch weiter gearbeitet werden (Rang 37). Trotzdem sehen die Autoren Portugal auf einem guten Weg. Quelle: REUTERS
Platz 35 - Spanien: Auch Spanien loben die Autoren. Hier zeigen die Reformen erste Wirkungen. Das Haushaltsdefizit ist zwar nach wie vor hoch, aber gesunken (Rang 128). Der Finanzsektor ist robuster geworden (Rang 85), der Arbeitsmarkt flexibler (Rang 120) – in beiden Bereichen ist aber noch viel Luft nach oben. Die staatlichen Institutionen gelten als korrupt (Rang 80) und die Regierung als ineffizient (Rang 105). Trotzdem profitiert Spanien von seiner exzellenten Infrastruktur (Rang 6) und einer gebildeten Bevölkerung (Rang 8). Würde der Arbeitsmarkt besser funktionieren (Rang 120), könnte Spanien diese Potenziale noch weiter ausschöpfen. Auch das Innovationspotenzial Spaniens ist ausbaufähig (Rang 60) – zum Beispiel durch höhere Investitionen in die Forschung (Rang 52). Quelle: REUTERS
Platz 29 - Estland: Estland ist nicht nur eines der jüngsten Euro-Länder, sondern auch, was die Wettbewerbsfähigkeit angeht, das stärkste osteuropäische Land. Das liegt vor allem daran, dass Estlands Arbeitsmarkt effizienter ist als der anderer Länder in der Region (Rang 11). Daneben glänzt Estland mit einem starken Bildungs- und Ausbildungssystem (Rang 20), was hoffen lässt, dass Estland sein Innovationspotenzial (Rang 30) weiter ausbaut. Auch in die Infrastruktur sollten die Esten laut den Autoren deutlich mehr investieren (Rang 38), denn sie liegt weit unter dem westeuropäischen Standards (Rang 58). Quelle: dpa
Platz 25 - Irland:Als Enda Kenny 2011 irischer Ministerpräsident wurde, hatte er alle Hand voll zu tun. Irland hatte die Finanzkrise übel mitgespielt. Immer noch ist die finanzielle Lage Irlands nicht gut und die Staatsverschuldung hoch (Rang 130). Dafür funktionieren der Güter- (Rang 10) und der Arbeitsmarkt (Rang 18) hervorragend, was sich auf lange Zeit auszahlen wird. Die Unternehmen sind innovativ (Rang 20) und technologisch gut ausgestattet (Rang 12). In Kombination mit dem exzellenten Bildungs- und Ausbildungssystem (Rang 8) und einer jungen Bevölkerung, werden diese Faktoren dazu führen, dass Irlands Wettbewerbsfähigkeit weiter zunimmt und weiter zu den führenden Euro-Staaten aufschließt. Quelle: dapd
Platz 23 - Frankreich:Europas zweitgrößte Volkswirtschaft bereitet den Europäern schon länger Sorgen. Als Frankreichs Präsident François Hollande gewählt wurde, versprach er den Umbruch: Er wollte Unternehmens-freundliche Reformen umsetzen, um Wirtschaftswachstum zu schaffen und die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Auf Frankreichs Arbeitsmarkt hat sich bis dato allerdings wenig verändert (Rang 61, vorher: Rang 71). Die hohe Staatsverschuldung hat dazu geführt, das Frankreichs Kreditwürdigkeit herabgestuft wurde. Nichtsdestotrotz besteht für Frankreich nach wie vor Hoffnung. Die Infrastruktur gehört zu den besten der Welt. Auch in puncto Bildung schneidet Frankreich gut ab, was Frankreich hohes technologisches Potenzial auch künftig befördern wird (Rang 17). Zudem bietet Frankreich ein gutes Umfeld für Innovationen. Trotzdem läuft etwas schief. Der Abstand zu Ländern wie Irland wird kleiner. Quelle: dpa

Wahrscheinlich setzen die Regierungen der Problemländer Frankreich, Italien und einige andere darauf, dass die fiskalische Klemme irgendwann automatisch zu einer Fiskal- beziehungsweise Schuldenunion führt und sich die heimischen Probleme dadurch externalisieren lassen – die Steuerzahler der weniger verschuldeten und damit bedrängten Länder zahlen einfach mit, ohne dass die französische und italienische Regierung sich ernsthaft mit ihren Gewerkschaften anlegen müssen, ganz so als ob das die Lösung des Problems wäre.

Natürlich wissen die Regierungen in Rom, Paris und Berlin ganz genau, dass dies keine Lösung ist. Am Ende wären die Probleme nur ein wenig anders verteilt, und die französische Regierung hätte einen politischen Erfolg gegen das „Spardiktat“ oder das „Verschuldungsreduzierungsdiktat“ aus Berlin erzielt. Eine Wahlperiode wäre wahrscheinlich gesichert. Danach sähe es vermutlich noch schlimmer aus, nur dieses Mal auch in Deutschland.

Anders seht man die Schuldenunion in Berlin, Solidarität hin oder her. Damit ist das Dilemma der Bundesregierung angesprochen. Sie kann einer Schuldenunion nicht zustimmen, weil sie damit rechnen muss, dass die Wähler sich noch stärker als bisher der AfD zuwenden würden. Diese hätte nämlich dann Recht behalten mit der These, dass die Eurozone für Deutschland ein Vabanquespiel sei. Das kann die Bundesregierung nicht zulassen, was wiederum in Rom und Paris mit Sicherheit kein Geheimnis ist.

So bleibt nur, weiterhin auf Pump zu konsumieren und der Europäischen Zentralbank die undankbare Aufgabe zuzuschieben, diesen Pump zu finanzieren, entweder direkt, was sie bislang noch vermeiden konnte, oder indirekt über die Banken (die sich von jetzt an ja angenehmerweise selber reguliert). Zombie-Banken finanzieren Zombie-Staaten!

So wie es jetzt aussieht, ist der Fiskalpakt nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt wird. Er wird vermutlich auch in Zukunft nicht durchgesetzt werden. Stattdessen dürfte das Elend weitergehen. Strukturwandel würde so unterdrückt werden, und die Hälfte der Alterskohorte zwischen 15 und 35 würde ohne Aussicht auf eine angemessene Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben aufwachsen.

Die Europäische Kommission und die Bundesregierung werden vermutlich gezwungen sein, dieses Spiel noch eine Weile mitzuspielen. Oder sie riskieren doch den Konflikt und versuchen, geltendes Recht durchzusetzen. Die nächste Generation würde es Ihnen danken.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%