
Demnächst flattert unter Umständen Post ins Haus aller Bürger der Europäischen Währungsunion (EWU). Entweder kommt dann ein Scheck, oder die Anfrage nach der Bankverbindung. Vielleicht reicht ja auch die offizielle Aufforderung, diese bekanntzugeben. Dann würde es das sogenannte Helikopter-Geld geben, also die Zahlung von Geld an alle Bürger ohne Gegenleistung.
Dies zumindest scheint der neueste Coup der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihres Präsidenten Mario Draghi zu werden. Das Ziel dieser Maßnahme wäre offenbar in der Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und anschließenden Steigerung der Inflationsrate, möglichst natürlich auf knapp unter 2 Prozent. Wenn sämtliche Bürger die zusätzliche Kaufkraft nutzen und das Geld schnell im Inland ausgeben würden, dürften – gleichbleibende Produktion und einigermaßen vollständige Kapazitätsauslastung vorausgesetzt – die Preise in der Tat steigen. Allerdings muss geprüft werden, welche Summe des Helikopter-Geldes die EZB in die Hand nehmen muss.
Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung
"Die Beschleunigung der Anleihekäufe unter dem 'Quantitative Easing' erhöht die Dosis des Gifts. Die Notenbanken werden zu den größten Gläubigern ihrer Staaten, das ankaufbare Material wird immer knapper. Die Maßnahmen sind Ausdruck einer verzweifelten Suche der EZB nach immer mehr Stimulanz für die Märkte. Dabei sind diese gar nicht mehr nötig. Besser wäre gewesen, erst die Wirkung der ohnehin schon expansiven Schritte vom Dezember abzuwarten."
"Die EZB-Entscheidung stellt die Banken auch in Zukunft vor massive Probleme und ist ein Risiko für die Finanzmarktstabilität in Europa. Gerade die kleinen und mittelgroßen Banken sowie Sparkassen, die von Fristentransformationen leben, werden durch die Entscheidung benachteiligt. Sie werden in Zukunft Probleme haben, profitabel zu arbeiten. Zudem ist nicht klar, ob die Strategie der EZB aufgeht. Die Banken könnten gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen, um profitabel zu arbeiten. Dies würde der Strategie der EZB widersprechen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der EZB mittelfristig zu nachhaltigem Wachstum führen."
"Die Kritik an der Linie der Notenbank sollte nicht überzogen werden. Denn solange für deutsche Finanzanlagen eine Sicherheitsprämie gezahlt wird, ist das extrem niedrige Zinsniveau hierzulande eben auch und vor allem ein Ergebnis der hohen Unsicherheit über die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa."
"Das ist eine gute Nachricht für die Börsianer und für die Schuldenländer im Süden. Für die deutsche Bevölkerung ist das katastrophal. Die Sparer werden enteignet. Das ist eine gigantische Umverteilung von Norden nach Süden. Politisch birgt das einen großen Sprengsatz, wenn man das mit der Flüchtlingskrise zusammentut. Das ist brandgefährlich.
Im Ergebnis wird das nichts bringen. Man lullt die Schuldenstaaten ein. Sie machen keine Reformen, die Produktivität steigt nicht. Nord und Süd driften so noch weiter auseinander. Die deutschen Exporteure können vielleicht kurzfristig ein bisschen profitieren, weil der Euro weiter geschwächt wird. Auf der anderen Seite ist es aber schlecht für die Importeure."
"Die EZB hat die von ihr selbst geschürten Erwartungen noch übertroffen und den geldpolitischen Expansionsgrad mit zahlreichen Instrumenten weiter ausgeweitet. Allerdings ist dies nicht positiv zu beurteilen. Sobald die Kapitalmärkte etwas mehr Volatilität zeigen, 'verspricht' Mario Draghi, dass er 'etwas tun werde'. Die EZB 'tut' tatsächlich sehr viel. Aber es ist nicht Aufgabe der EZB, für dauerhaft steigende Kurse zu sorgen. Auch bewegt sich die EZB mittlerweile außerhalb ihres Mandats. Die Grenzen zur direkten Staatsfinanzierung werden fließend. Die Entscheidung von heute war ein weiterer Schritt in die falsche Richtung."
"Die EZB hat mit der Verkündung ihrer Maßnahmen massiv überrascht und im Prinzip alles auf den Markt geworfen, was sie kann. Dabei geht sie technische und politische Risiken ein. Mit diesen Maßnahmen nimmt die EZB in Kauf, Marktblasen zu erzeugen, wenn die Liquidität in der blutleeren konjunkturellen Entwicklung nicht in die Realwirtschaft findet."
"Die heute vom EZB-Rat beschlossenen Maßnahmen zur Ausweitung der Liquidität werden nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Noch mehr billiges Geld und noch niedrigere Zinsen führen nicht zu mehr Investitionen. Im Gegenteil: Die bizarre Welt der negativen Zinsen verunsichert Unternehmen und Verbraucher, belastet die Altersvorsorge und erhöht die Anreize zur Verschuldung, sowohl der Unternehmen und Privathaushalte, als auch der Staaten. Ohnehin malt die EZB mit ihrer Konjunktureinschätzung unnötig schwarz."
"Die EZB sendet mit ihrer Entscheidung ein starkes Signal, dass sie alle ihre Instrumente entschieden nutzen wird, um ihrem Mandat der Preisstabilität wieder gerecht zu werden. Die weitere Expansion der Geldpolitik ist massiv und überraschend. Das anhaltende Risiko der Deflation und die sich abschwächende europäische Wirtschaft lassen der EZB keine andere Wahl, als ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Es sollte nicht vergessen werden - bei allen Sorgen in Deutschland über die Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik -, dass es Aufgabe der EZB ist, Geldpolitik für die Eurozone und nicht nur für Deutschland zu machen. Die Entscheidung der EZB bedeutet eine noch längere Phase der Nullzinspolitik in Europa."
"Die EZB hat sich noch tiefer in die Sackgasse manövriert. Mit größter Sorge sieht die Versicherungswirtschaft, dass die Notenbank ihre schon extrem expansive Geldpolitik noch weiter signifikant gelockert hat. Denn immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass diese monetären Anreize ihr Ziel nicht erreichen. Besonders deutlich wurde das seit Jahresbeginn auf den Aktienmärkten oder beim Euro-Wechselkurs, wo Verluste beziehungsweise eine Aufwertung im krassen Gegensatz zur Haltung der Geldpolitik standen.
Schlimmer noch: Mittlerweile ist sogar zu befürchten, dass diese unorthodoxe Geldpolitik das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich beabsichtigt ist - nämlich mehr Wachstum und eine höhere Inflation. Die Notenbank läuft daher zunehmend Gefahr, von den Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns eingeholt zu werden."
"Doktor Draghi hat die Dosis deutlich erhöht. Wie von uns befürchtet, hat er die Geldpolitik der EZB leider deutlicher gelockert als die meisten erwartet hatten. Diese Geldpolitik wird kaum in der Realwirtschaft ankommen. Denn die Nebenwirkungen sind massiv. Das Produktivitätswachstum lässt nach, weil auch unrentable Investitionen wegen der niedrigen Zinsen attraktiv erscheinen. Es steigt das Risiko, dass es in Deutschland am Immobilienmarkt zu Überhitzungen kommt. Außerdem wird der Anreiz für Euro-Länder gesenkt, notwendige Reformen durchzusetzen. Alles in allem verschlechtert diese lockere Geldpolitik langfristig die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, so dass sie sich heute schon zurückhalten. Die Medizin wird nicht wirken, auch wenn man die Dosis erhöht."
"Die EZB hat heute abermals ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht und setzt ihren immer expansiveren Kurs fort. So wurden die Zinssätze zurückgenommen und die QE-Maßnahmen ausgeweitet. Wir gehen davon aus, dass eine Abkehr von diesem Pfad - zumindest bis auf weiteres - nicht in Sicht ist."
"Es handelt sich um eine weitere massive geldpolitische Lockerung. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit QE (geldpolitische Lockerung) halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Ausweitung der Anleihekäufe die Inflation nachhaltig erhöhen wird. Der Markt für Unternehmensanleihen ist in Europa zu klein, als dass sich aus deren Einbeziehung ein großer Effekt ergeben dürfte. Gleichzeitig setzt die weitere Senkung der Einlagenzinsen die Erträge der Banken noch stärker unter Druck.
Ich halte Instrumente wie die langfristigen Kreditlinien (TLTROs), die direkt an der Kreditvergabe ansetzen, für sinnvoller als den weiteren Ankauf von Anleihen. Allerdings hängt auch hier die Wirksamkeit davon ab, ob es überhaupt eine Kreditnachfrage gibt, die zu befriedigen ist."
"Die EZB beschleunigt ihre geldpolitische Irrfahrt. Die heutige Zinsentscheidung der EZB verstärkt den Abwärtsstrudel für die Sparer. Langfristige Altersvorsorgekonzepte werden ebenso entwertet, wie zinsabhängige Institute in risikoreichere Geschäfte gedrängt werden. Es ist absolut unnötig, die deutsche Kreditwirtschaft zu einer umfangreicheren Kreditvergabe zu nötigen."
"Mit ihren heute verkündeten Maßnahmen ist die EZB ihrem monetären Kurs extrem treu geblieben. Allerdings zeugt das große Bündel an Maßnahmen von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter. Denn auch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. Die Bilanz ist ernüchternd: So ist es der EZB nicht einmal gelungen, die am leichtesten von ihr zu beeinflussenden Indikatoren in die gewünschte Richtung zu drehen."
"Es ist vollkommen unnötig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn heute noch weiter aufgedreht hat. Die Notenbank überzeichnet die Deflationsrisiken. Der Geldmarkt im Euro-Raum ist durch die EZB-Politik faktisch stillgelegt. Wirtschaftsreformen sowie die Sanierung von Bankbilanzen werden verschleppt. Doch auf all diesen Feldern hat die EZB heute noch einmal eine Schippe draufgelegt."
Die heutige Entscheidung der europäischen Zentralbank, den Leitzins auf Null Prozent zu senken, hat gravierende Folgen für sämtliche Formen der kapitalgedeckten Vorsorge. Nach Ansicht des Bund der Versicherten e. V. (BdV) steht die private Versicherungswirtschaft vor einem Wendepunkt. Alle Formen der privaten Vorsorge basieren darauf, dass an den Kapitalmärkten Zinsen erwirtschaftet werden können. „Sowohl die private Krankenversicherung als auch die private Altersvorsorge haben bei dauerhaftem Null-Zins keine Zukunft“, erklärt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV.
Dieses Problem mag ein Beispiel illustrieren. In der Eurozone lebten im Jahr 2015 etwa 338 Millionen Menschen, die ungefähr 10,4 Billionen Euro Bruttosozialprodukt erwirtschafteten, also etwa 30.000 Euro pro Kopf. Nehmen wir an, jeder der Bürger erhielte 1.000 Euro einmalig überwiesen, also etwas über drei Prozent des durchschnittlichen Jahreseinkommens. Dann machte das etwa eine Geldmengensteigerung von 338 Milliarden Euro aus, etwas über 10 Prozent der Bilanzsumme der EZB, die bei etwa 2,9 Billionen Euro liegt. Das wäre doch eine Hausnummer, knapp sechs Monate expansive Geldpolitik (quantitative easing) auf einmal.
Wenn ein Großteil des zusätzlichen Geldes nachfragewirksam würde, also die gesamtwirtschaftliche Nachfrage beispielsweise um 250 Mrd. Euro anstiege, wären Preiseffekte zu erwarten. Ob diese ausreichten, hängt von den Gütern und Diensten ab, die nachgefragt werden. Wenn zum Beispiel viele Menschen die neue Kaufkraft dazu nutzen würden, einen Strandurlaub zu buchen, dürfte – angesichts der in diesem Jahr offenbar sehr guten Auslastung der spanischen Urlaubsorte – eine Preissteigerung dort unausweichlich sein. Bei anderen Gütern wäre dies sicherlich anders. Es kommt also auf die Preiselastizität des Angebots ab; sind Kapazitäten unterausgelastet, wird es geringe Preiseffekte geben; dann ist das Wachstumspotential hoch. Umgekehrt wäre es bei hoher Kapazitätsauslastung. Damit kann die EZB in jedem Fall nicht beide Ziele gleichzeitig erreichen.
Vermutlich wäre aber ohnehin das Wachstumsziel dem Inflationsziel untergeordnet, entschiede sich die EZB für Helikopter-Geld – schon aus Staatsräson. Denn es sieht ja schon seit einigen Monaten so aus, als diene die EZB ausschließlich den Finanzministern, vor allem denen des Südens. Helikopter-Geld wäre ein weiteres Indiz.
Ein simples Rechenbeispiel zeigt die Logik. Das durchschnittliche Geldvermögen der deutschen Haushalte beträgt laut Berechnungen aus dem Herbst 2015 44.700 Euro. Spart eine repräsentative Bürgerin ihr Helikopter-Geld, hat sie nun 45.700 Euro Vermögen. Bei einer Inflationsrate von 2 Prozent sinkt das Vermögen innerhalb eines Jahres auf 44.786 Euro; das Helikopter-Geld ist dann schon weg. Nach fünf Jahren gleichbleibender Inflation und Nullzins bleiben noch 41.309 Euro. Dies ist ein Geschäft für die EZB (als Finanzier klammer Regierungen) und keines für die Bürger. Steigt die Inflation gar dauerhaft auf fünf Prozent (wer kann schon die Inflationsrate genau vorhersagen, kommt es einmal dazu?), bleiben unser Sparerin nach fünf Jahren noch etwas über 35.000 Euro; der Verlust beträgt über 23 Prozent.
Das simple Beispiel macht deutlich, dass das Geschenk der EZB ein unheilvolles Geschenk sein würde. Kurzfristig gäbe es einen Kaufkraftzuwachs, der mittelfristig mit erheblichen Vermögenseinbußen einherginge. Wenn die Menschen die Logik persönlich gespürt hätten und nicht nur im Abstrakten verstehen, wäre die Reputation der EZB wohl flächendeckend zerstört und die Glaubwürdigkeit weitere Politikankündigungen entsprechend gering.
Wie groß muss die Verzweiflung sein, wenn die Zentralbank nicht nur keinen Zins mehr von den Leuten verlangt, sondern ihnen das Geld gleich schenkt? Der nicht als Polemiker bekannte ehemalige EZB-Vizepräsident Otmar Issing hat seine Fassungslosigkeit bereits deutlich gemacht. Nicht nur für ihn wäre es ein Offenbarungseid, griffe die EZB zu dieser Maßnahme. Man kann also nur hoffen, dass es nicht dazu kommt.
Helikoptergeld in Gold investieren
Wenn doch, bleiben den Bürgern wenige Option, sich gegen die Enteignung zu schützen. Gesamtwirtschaftlich rational wäre es dann, wenn alle Empfänger das Geld ablehnten; dann käme es nicht zu einer künstlich stimulierte Nachfragesteigerung mit Preiseffekten. Die EZB könnte aber darauf vertrauen, dass es ein europaweites Gefangenendilemma geben würde: Wenn ein Bürger weiß, dass alle anderen Bürger das Geld ablehnen, wäre seine eigene Nachfragesteigerung nicht preiswirksam; es würden viele so denken. Deswegen müsste man das Geld annehmen.
Dann bliebe die Option, das Helikoptergeld (und noch einen weiteren Teil des Vermögens) in Aktien, Immobilien oder Gold anzulegen. Dann sänke der Preisdruck und man schützte sich gegen Inflation, allerdings nicht gegen mögliche Preisblasen. Deshalb gibt es immer noch die weitere Möglichkeit, aus dem Euro auszusteigen. In Lateinamerika haben die Menschen ihren Weichwährungen regelmäßig den Rücken gekehrt und in Dollar investiert beziehungsweise nur Dollar für knappe Güter und Dienste akzeptiert. Soweit sind wir noch nicht, aber Helikopter-Geld wäre schon eine bedenkliche Beschleunigung auf den Weg in eine Weichwährungsunion!