Fünf Szenarien Warum ein Kerneuropa die EU zerstören könnte

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Rückkehr zu langfristigem Wachstum und sozialer Absicherung

3. Szenario: Vereinigte Wachstumszentren gehen allein voran

Im dritten Szenario hat sich ebenfalls ein Kerneuropa gebildet. Die EU existiert zwar noch, spielt aber keine Rolle mehr. Deutschland, Frankreich, die Benelux-Länder sowie die skandinavischen Staaten haben sich zu regionalen Wachstumszentren zusammengeschlossen. Der Wertewandel hin zu einer Gesellschaft ohne Wachstum hat hier nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Im Kerneuropa haben sich die wirtschaftlich gesunden und finanziell starken Länder verbündet. Die schwächeren Länder, vor allem in Süd- und Osteuropa, haben sie zurückgelassen.

An Griechenland hängt mehr als nur der Euro

 Dieses Kerneuropa hat es zu erheblichem Wohlstand gebracht und spielt in der technologischen Weltspitze mit. Aber: Die Staaten sind überaus anfällig für Rezessionen, sobald die globale Konjunktur einbricht. Zudem verschlafen sie es, auf den demografischen Wandel angemessen zu reagieren. Zu wenige Einwanderer kommen nach Kerneuropa. Die Älteren in der Bevölkerung kontrollieren die politische Agenda.

4. Szenario: Nationalismus macht Schule

Die Gesellschaften Europas sind nach rechts gerückt. Auslöser dafür waren der Austritt von Großbritannien und der Niederlande aus der EU sowie die knappe Niederlage des rechtsextremen Front National bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich. In ganz Europa bekamen nationalistische Bewegungen Aufwind, auch im Süden und Osten des Kontinents.

Damit die Europäische Union nicht zerfällt, leiteten die moderaten Volksparteien in den Mitgliedsländern einen radikalen Kurswechsel ein. Sie nahmen wesentliche Forderungen der extremen Rechten in ihre Programme auf. Die Folge: Es gibt kaum noch Zuwanderung in die EU, die Außengrenzen werden mit Hochtechnologie gesichert, sodass Flüchtlinge nicht mehr auf den Kontinent gelangen. Wirtschaftlich geht es der EU nicht gut. Ihr fehlen Fachkräfte, die wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen Nord und Süd haben sich massiv verstärkt. Viele Mitgliedsstaaten haben große Probleme bei der Armutsbekämpfung.

Wie stehen Griechenland, Spanien und Co. da?
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Die Lohnstückkosten sind in Griechenland, Irland und Spanien vergleichbar hoch. Für Griechenland senkt das die Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung deutlich herab.
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Alle vier Länder haben den Abbau der Staatsausgaben verbessert. Besonders Griechenland war hier auf einem guten Weg, bis im Januar Syriza an die Macht kam.
Mit dem Abbau der Staatsverschuldung haben alle vier Länder noch ein Problem und sind noch weit entfernt von einem akzeptablen Stand. Am besten schlagen sich hier Spanien und Irland.
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5. Individualisierte EU verliert im globalen Wettbewerb

Trotz aller Bemühungen kann die Europäische Union im fünften Szenario mit den aufstrebenden Boomregionen der Erde nicht mithalten. Zwar hat der Staatenbund die Krisenjahre einigermaßen überstanden. Danach folgte aber eine politische Lethargie. Keine weitere Vertiefung und  keine tiefgreifenden Strukturreformen der nationalen Volkswirtschaften – Europa dümpelt vor sich hin. Und weil es seine Probleme kaum gelöst bekommt, kann es auch international nicht mithalten.

In diesem Europa ist sich jeder selbst der nächste – auf Staatenebene und individuell. Viele sprechen von einem Zwei-Klassen-Europa. Besonderes Merkmal. Es ist eine Generation Armut entstanden, die sich der Resignation hingibt.

Die Wissenschaftler haben die Szenarien mit Hilfe von 40 Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen erarbeitet. Die fünf Zukunftsvisionen unterscheiden sich teilweise erheblich – von einer geeinten und funktionierenden EU bis hin zu einer Art gescheiterten Kontinent. Gleichwohl gibt es einige Trends mit großer Beständigkeit über die einzelnen Szenarien hinaus, darunter:

  • ein „Europa der zwei Klassen“

  • die Konzentration der wirtschaftlichen Prosperität auf wenige Wachstumszentren

  • die Integration Europas in ein zunehmend technologisch getriebenes „Global Village“

  • eine primär über nationale und kaum europäische Interessen getriebene Meinungsbildung

  • unzureichende Haushaltsspielräume in einer entscheidungsfähigen Anzahl an EU-Mitgliedsstaaten

  • die Etablierung nationalistischer Regierungen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten.

Für die Wissenschaftler ist klar: Nur wenn sich die Politik diesen europäischen Trends annimmt, ist eine Rückkehr zu langfristigem Wachstum und sozialer Absicherung möglich.

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